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INTERVIEW mit Wolfgang Taschner, Ex-Chef der Vogelsberger Kriminalpolizei„Es nimmt Ausmaße an, die es früher nicht gab“

ALSFELD. Raub, Mord und Totschlag – Wolfgang Taschner hat sich fast sein ganzes Leben lang damit beschäftigt. Der 60-Jährige war noch bis vor kurzem Leiter der Kriminalpolizei Vogelsberg. Bevor es richtig in den wohlverdienten Ruhestand ging, traf er sich nochmal mit Oberhessen-Live. Taschner erzählt über ein totes Mädchen, den Kosovo – und was er von Til Schweiger hält.

Oberhessen-Live: Herr Taschner, schön, dass Sie hier sind. Sind Sie auf dem Weg hierher überfallen worden?

Wolfgang Taschner: (lacht) Nein.

Das ist gut, denn man liest ja wirklich ständig darüber, dass Leute überfallen werden. Sind sie deshalb Polizist geworden?

Das ist eine sehr gute Frage. Ein Nachbarsjunge hat ein halbes Jahr vor mir bei der Polizei angefangen und hat mir ein bisschen was davon erzählt. Das war sehr interessant und daraufhin habe ich mich auch beworben.

 Wie kamen Sie dann speziell zur Kriminalpolizei?

Ich habe zunächst die Ausbildung bei der Schutzpolizei gemacht und war nach der Ausbildung erst mal vier Jahre in Frankfurt tätig. Ich habe damals auch die Demonstrationen zur Fahrpreiserhöhung mitgemacht und dabei gab es gravierende Ereignisse, die einen zum Nachdenken gebracht haben, ob man den richtigen Beruf hat. Zum Beispiel kann ich mich gut daran erinnern, dass bei einer Demonstration ein Demonstrant von einem Wasserwerfer überfahren worden ist. Das war aber nicht der Fall Sare, der bundesweit für Schlagzeilen gesorgt hat.

Die ehemalige Arbeitsstätte von Wolfgang Taschner: Die Alsfelder Polizeistation.

Die ehemalige Arbeitsstätte von Wolfgang Taschner: Die Alsfelder Polizeistation.

Die Demonstranten sind dann durch Frankfurt gezogen und haben „Mörder! Mörder!“ gerufen und wenn man als junger Mensch dann so etwas zu hören bekommt, dann kommt man ins Grübeln. Ein Grund für den Wechsel zur Kriminalpolizei war auch, dass die beruflichen Aufstiegschancen Anfang der 80er Jahre bei der Kriminalpolizei ungleich besser waren als bei der Schutzpolizei.

Das war sicherlich ein Ereignis, was Sie noch lange beschäftigt hat.

Ja klar, man überprüft sich selbst und ob die Berufswahl wirklich richtig war, aber es gab natürlich darüber hinaus eine ganze Ecke an Ereignissen, die überaus positiv waren und die mich eigentlich in meiner Berufswahl bestätigt haben.

Wie lange haben Sie jetzt tatsächlich als Polizist gearbeitet?

Das waren jetzt fast 44 Jahre.

Das ist eine sehr lange Zeit, in der Sie viele Erfahrungen haben sammeln können. Wie würden Sie sich selbst als Polizist einschätzen im Nachhinein?

Ich sag mal, der Slogan „die Polizei, dein Freund und Helfer“, der steht da auf jeden Fall zu Recht und das sollte immer im Vordergrund stehen.

Abschied mit Urkunde: Polizeipräsident Alfons Georg Hoff überreicht Wolfgang Taschner seine Urkunde. Foto: Polizei

Abschied mit Urkunde: Polizeipräsident Alfons Georg Hoff überreicht Wolfgang Taschner seine Urkunde. Foto: Polizei

Viele Polizisten sagen, die Bevölkerung sehe das mittlerweile anders. Sie sagen, die Polizei sei bei den Bürgern nicht mehr beliebt. 

Nein, ich glaube, dass das Ansehen bei der breiten Bevölkerung immer noch positiv belegt ist.

Dennoch ist die Zahl der Angriffe auf Polizisten und Polizistinnen in den letzten Jahren gestiegen. 

Die Tätlichkeiten gegen Polizeibeamte oder auch gegen Hilfskräfte des Roten Kreuzes sind häufig von Alkoholkonsum der Angreifer begleitet. Es fallen Hemmungen und die Achtung vor der „staatlichen Autorität“, der Staatsgewalt, geht verloren. Das steht aber nicht für die Mehrheit der Leute. Es sind einzelne, mit denen auch andere Berufsgruppen, wie zum Beispiel Lehrer, ihre Probleme haben. Eigentlich für mich unverständlich.

Deutsche Kriminalpolizisten sind in jüngster Zeit außerdem stark kritisiert worden. Ihre Aufklärungsquoten seien zu gering. Was entgegnen Sie solchen Aussagen?

Da kann ich ganz klar sagen, dass diese Aussage für Osthessen nicht zutrifft. Wir haben mit eine der höchsten Aufklärungsquoten. Allerdings muss man auch sagen – wenn man mehr Leute zur Verfügung hat, dann ist das natürlich umso besser. Viele Polizisten arbeiten am Limit.

Jetzt sind Sie nicht nur Polizist, sondern Kriminalpolizist. Was sollte man da besonders gut können?

Man muss zumindest das handwerkliche Zeug beherrschen. Man muss aber auch Verständnis für die Leute haben, mit denen man zu tun hat. Sowohl auf der Opferseite, wie auch auf der Täterseite. Man muss im Umgang mit den Tätern einen gewissen Anstand an den Tag legen.

Wie sieht ein anständiger Umgang mit Tätern aus? 

Die Antwort ist ganz einfach. Da kann ich für mich und alle meine Kollegen sprechen. Behandle andere so, wie du es dir für dich selbst wünscht. Damit bin ich immer gut gefahren.

Erinnerungen an den Fall Johanna Bohnacker

Was war der spektakulärster Fall in Ihrer Laufbahn?

Es sind nicht immer die Tötungs- oder Raubdelinkte, die am schlimmsten sind. Gravierende Delikte gibt es in allen Bereichen, sei es jetzt beim Betrug, beim Einbruch, beim Raub oder beim Rauschgift. In den Jahren hier im Vogelsbergkreis war natürlich sehr gravierend das Auffinden des Leichnams der Johanna Bohnacker. Das war das Mädchen, welches im Bereich Wetterau Bobenhausen vermisst gemeldet worden war und dann später hier im Dienstbezirk tot aufgefunden wurde.

Dann kann man auch einen Raubüberfall mit Täterfestnahmen in Ulrichstein anführen, bei dem drei Täter ihre Schusswaffe eingesetzt haben.

Mussten Sie selbst auch oft Gebrauch von Ihrer Schusswaffe machen?

Nein, zum Glück nicht.

Besonders wenn man in dem Bereich Todesermittlungen unterwegs ist, wird man immer wieder mit dem Tod konfrontiert und damit, dass das Leben doch sehr schnell zu Ende sein kann.

Das ist gut. Gibt es auch lustige Fälle, an die sie sich besonders erinnern?

Spontan fällt mir da erst mal leider nichts ein.

Polizist ist ja auch ein sehr ernster Beruf. Hat sie ihr Job menschlich etwas weiter gebracht? 

Besonders wenn man in dem Bereich Todesermittlungen unterwegs ist, wird man immer wieder mit dem Tod konfrontiert und damit, dass das Leben doch sehr schnell zu Ende sein kann. Nicht nur durch eine Gewalttat, sondern auch ganz normal. Von daher würde ich sagen, ist es wichtig, jeden Tag mit ein bisschen Dankbarkeit anzufangen.

Reiten und Tauchen bei der Polizei

Ist Polizeiarbeit geprägt von eher drögem Ermitteln? 

Ja gut, das ist abhängig von dem Bereich, wo man eingesetzt ist. Ich muss hier nochmal ausführen, dass der Beruf eines Polizisten eine Bandbreite hat, wie es glaube ich kein anderer Beruf bietet. Ob Sie nun als Hobby Reiten haben oder Motorrad fahren – das können Sie in diesem Beruf alles wahrnehmen. Es gibt Taucher, es gibt, oder die Kollegen vom SEK, die immer in der Werbung gezeigt werden,  oder die vom mobilen Einsatzkommando.

Im Gespräch: Wolfgang Taschner und OL-Volontärin Luisa Stock.

Im Gespräch: Wolfgang Taschner und OL-Volontärin Luisa Stock.

So als Laie stellt man sich den Polizeialltag ja immer wie im Fernsehen vor. Ist das sehr falsch? 

Es gibt schon Sendungen, die liegen näher an der Realität und andere wiederum, wo dann der Kommissar im Tatort – Til Schweiger – sich so aufführt, wie es normalerweise ein Kriminalbeamter nicht macht. Das ist der Unterschied.

Schauen Sie selbst denn gerne den Tatort?

Ich schaue eigentlich weniger gerne Kriminalfilme. Das hängt aber auch vom Inhalt ab. Ich sage mal, belastende Themen hat man im Berufsleben genug. Da braucht man sich nicht Zuhause dann noch damit beschäftigen.

„Es nimmt Ausmaße an, die es früher nicht gegeben hat“

Haben sich auch die Verbrechen oder die Verbrecher mit der Zeit ein wenig geändert? 

Das eigentlich nicht. Die Täter haben jedoch dazu gelernt. Gerade was die Verursachung von Spuren betrifft. Der Ermittlungsaufwand, der betrieben werden muss, ist größer geworden. Es sind nicht mehr wie früher die örtlichen Täter in der Mehrzahl. Gerade beim Wohnungseinbruch haben vorherrschend sie überregionale – oder gar internationale – Täter.

Was ich dazu sagen muss: Auch die Reaktionen der“Otto-Normalbürger“ haben sich verändert. Sie kommen zu einer Ruhestörung hin oder zu einer häuslichen Gewalt und es nimmt Ausmaße an, die es früher nicht gegeben hat.

Wenn man einen solchen facettenreichen Beruf wählt, wie schafft man sich dann in der Freizeit Ablenkung?

Das ist abhängig von der Persönlichkeit eines jeden Einzelnen. Ablenkung kann Reisen, Gartenarbeit oder Spaziergänge mit dem Hund sein. Es gibt viele Möglichkeiten. Viele Kollegen sind in Sportvereinen tätig.

Ich kann sagen, dass ich in Bosnien in diesem halben Jahr mehr Tötungsdelikte erlebt habe, als hier in einem längeren Zeitraum.

Fällt es denn dann schwer, in der Freizeit abzuschalten?

Es ist mit Sicherheit so, dass einige Kollegen die Gedanken mit nach Hause nehmen – grade die Konfrontation mit dem Tod oder gravierenden anderen Straftaten. Ich komme nochmal zurück auf die Geschichte mit der Johanna Bohnacker. Ich hatte zu der Zeit eine Tochter, die etwa im gleichen Alter war. Und da muss man natürlich aufpassen, dass sich im Kopf nicht gewisse Sachen abspielen.

Wird man als Polizist durch solche Sachen im privaten Umfeld beeinflusst? 

Das glaube ich schon. Wenn man weiß, dass die Welt und alle Menschen nicht immer gut sind, dann versucht man natürlich auch Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Das kann dann dazu führen, dass man eventuell auch die eigenen Kinder mehr einschränkt, wo andere Eltern das nicht machen.

Auslandseinsätze in Kosovo und Bosnien

Wir haben viel über Ihre Vergangenheit gesprochen. Jetzt möchte ich gerne wissen: Was wünschen Sie sich für Ihre Zukunft und auch für die Welt?

(lacht). Für mich wünsche ich mir, dass ich noch lange und glücklich lebe mit meiner Familie. Für die Welt, das ist natürlich eine große Sache. Frieden. Frieden ist das A und O. Zumal ich auch zwei Mal in Bereichen gearbeitet habe, wo es nicht so ist. In Bosnien und im Kosovo.

Sie waren also auf Auslandseinsätzen?

Ich war 2007 im Kosovo für ein halbes Jahr als Polizeibeamter und 1998/1999 in Bosnien.

Polizist sein in Bosnien und Deutschland  – wo ist der Unterschied? 

Ich kann sagen, dass ich in Bosnien in diesem halben Jahr mehr Tötungsdelikte erlebt habe, als hier in einem längeren Zeitraum. Das ist auch das Problem. Die Menschen oder Männer dort unten haben im Krieg eigentlich legal getötet und wenn man dann nach dem Krieg in eine Konfrontation gerät, dann greift man schneller wieder zu den gewohnten Mitteln, als wenn diese Schranke vorher nicht schon gefallen wäre.

Das ist natürlich ein sehr ernstes Thema. Zum Abschluss möchte ich dann doch nochmal was Erfreuliches fragen. Wie stellen Sie sich denn Ihren Ruhestand vor?

Unruhig (lacht). Ja wie gesagt, meine Frau und ich beabsichtigen zu reisen und ich werde im August wieder Opa. Von daher ist also da für Beschäftigung gesorgt.

Herzlichen Glückwunsch! Herr Taschner, wir danken Ihnen rechtherzlich für die Zeit die Sie sich für uns genommen haben und wünschen Ihnen einen wohlverdienten und erholsamen Ruhestand.

Danke sehr.

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