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Kolumne: "Rike's Report" am Samstag: Dürfen sich Mediziner vegetarisch ernähren?Tofu und Skalpell – Ist das noch vertretbar?

Kennen Sie den schon? „Warum schreien Vegetarierinnen beim Orgasmus nicht? Ganz einfach: Sie können nicht zugeben, dass ihnen ein Stück Fleisch so viel Freude bereitet!“.

Auch sehr beliebt: „Dürfen Vegetarier überhaupt Schmetterlinge im Bauch haben?“. Oder aber auch folgender Satz aus dem Vegetarier-Alltag: „Kinder, kommt rein, das Essen wird schon welk!“. Bereits seit einigen Jahren, schlage ich mich als Mitglied dieser exotischen Randgruppe mit ähnlichen Witzen und Sprüchen herum – langweilig, geschmacklos und nervig. Aber das Schlimmste: Als Nicht-Fleischesser darf ich nicht einmal darüber lachen.

Doch das Glück ist mit den Vegetariern: Seit dem Beginn meines Studiums, darf ich mich mit einer ganz neuen und unerforschten Problematik dieses Themenbereichs beschäftigen und mir den Kopf zerbrechen. Denn in dem Moment, in dem ich im letzten Jahr zu Skalpell und Prometheus* griff, schien sich mein Umfeld auf die eine, alles entscheidende Frage zu stürzen, die meinen weiteren Lebensweg prägen sollte: Dürfen Vegetarier überhaupt Medizin studieren?

Erstmals wurde ich in meiner Schulzeit damit konfrontiert: In einem Biologiekurs sezierten wir unter anderem die Lunge eines Schweins. Ich muss zugeben, dass meine begeisterte Faszination für diese Arbeit einigen der Gruppe ein gewisses Unwohlsein bescherte – nichtsdestotrotz waren wir uns im Grunde genommen einig: Wow! Dennoch folgte nach einigen Stunden die unvermeidliche Frage: Müsste ich, als Vegetarierin, es nicht ekelhaft finden, tierische Organe aufzuschneiden? Oder viel eher: Hatte ich kein Mitleid mit den Tieren, dessen Körperteile vor uns lagen? Schon bald fand ich mich in Erklärungsnot wieder und fragte mich selbst: Wieso esse ich kein Fleisch, habe aber hingegen kein Problem damit ebendieses aufzuschneiden? Darf ich überhaupt ethische Gründe meiner vegetarischen Ernährung zu Grunde legen und dann das Sezieren als dermaßen interessant und „abgefahren“ empfinden? So sehr ich allerdings nach Gründen, Ausreden, Erklärungen und Rechtfertigungen suchte, ich fand keine. Und kam zu dem Entschluss: Wieso auch? Es war kein Tier für mich gestorben – und das Schweineherz in Relation zur Anzahl von Schnitzeln auf Deutschlands Tellern innerhalb eines Jahres zu setzen, daran wollte ich gar nicht denken.

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Kittel und Tofu – Sind diese Dinge wirklich miteinander zu vereinbaren?

Glücklich darüber, mich nie wieder für derartige Taten rechtfertigen zu müssen, wähnte ich mich in Sicherheit. Doch: „Nichts ist so gut, wie es zunächst den Anschein hat“, wie schon Georg Eliot wusste. Oder: „Der Schnee ist eine erlogene Reinlichkeit“, um es mit Goethes Worten auszudrücken. Aber wie dem auch sei – in jedem Fall hatte ich mich geirrt. Denn wenige Monate später brach erneut eine Welle der schockierten Ungläubigkeit über mich herein: Wie kann ich Medizin studieren, wenn ich doch Vegetarier bin? Die Gegenfrage meinerseits war eindeutig: Was bitteschön hat mein Essverhalten mit meinem Berufswunsch zu tun? Neugierig geworden bohrte ich nach und erhielt verschiedenste Erklärungen. Hier ein paar Beispiele:

1. Körperspender zu sezieren, geschweige denn eine Leiche oder Blut zu sehen, muss ich als ekelerregend empfinden. Grund: Ich esse kein Hähnchen.

2. Die Humanmedizin im Allgemeinen sollte ich verschmähen – war sie doch in den letzten Jahrzehnten Grund für Tierversuche und Tierleiden. Mein Motiv: Ich esse keine Bockwürstchen.

3. Die Transplantation von Rinderherzklappen oder in Zukunft sogar ganzen Schweineherzen muss für mich ein No-Go sein. Der Antrieb dahinter: Ich esse keine Markklößchen.

Ebenso zahlreich wie diese und ähnliche Gründe waren allerdings, ganz zur Freude meiner Hoffnung in die Menschheit, auch die Reaktionen á la „Wer stellt solch dumme Fragen?“. Meiner Erfahrung nach: Zu viele. Umso wichtiger finde ich es deshalb, eigene Überlegungen in den Ring zu werfen: Dürfen Postboten überhaupt E-Mails verschicken? Und kann einem Metzger das Essen von Gemüse zum gesellschaftlichen Verhängnis werden? Und wo kommen wir hin, wenn sich ein Chocolatier für eine Diät entscheidet?

Trotz dieser unbeschreiblich relevanten, vor Diskussionsbedarf triefenden Problematiken, lassen Sie uns also folgendes tun: Gönnen wir meinen Artgenossen ihre vegetarische Lebensweise und stellen uns stattdessen lieber die Frage: Bekommen Fleisch essende Humanmediziner Hunger, wenn sie im Präp-Saal vor den Seziertischen stehen?

 

In diesem Sinne: Einen schönen 1. Mai!

Ihre Rike

*Für alle Nicht-Mediziner: Prometheus ist ein Lernatlas der Anatomie.

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