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Altmeister des Kabaretts, Thomas Freitag, hält Alsfeld für eine Oase der MenschlichkeitGrandiose Jonglage gepaart mit perfekten Parodien

ALSFELD. „Ich weiß nicht mehr, was 1972 war“, brüllt er ins Telefon. Und dann stand er – durch den Seiteneingang reingekommen – mit seinem ersten Wutausbruch des Abends auf der spärlich dekorierten Bühne: Thomas Freitag, der Altmeister des politischen Kabaretts. Diese Woche zu Gast in seiner Geburtsstadt Alsfeld, in die das Vogelsberger Gipfel Kabarett zum Ende seiner sechsten Spielzeit den brillanten Kabarettisten eingeladen hatte. Alsfeld, übrigens, sei die „Oase der Menschlichkeit“ oder anders „der Dalai Lama als Stadt“ – so sieht es zumindest Freitag, der als Fünfjähriger gegenüber dem Hessen-Stübbchen gewohnt hat.

Freitag hielt was er versprach: Er jonglierte in hohem Tempo mit literarischen und politischen Zitaten und schlüpfte dabei immer wieder meisterhaft in verschiedene Rollen – beispielsweise in die des Fritten-Siggis, des Stadtbibliothekaren Schüttlöfflers, des Bank-Angestellten Frank Webers oder des bayrischen Landwirtes, der zu seinem Entsetzen künftig laut parteipolitischer Entscheidung mit seinen beneidenswert großen Daumen seine Stammtischparolen twittern soll, lieber aber im Suff in einer Parallelwelt wäre als in einer Digitalwelt. Nicht grundlos griff der Vollblutmime in der ausverkauften Aula der Albert-Schweitzer-Schule Alsfeld auf echte, vermeintlich einfache Menschen zurück – aufgrund der fachlich, intellektuellen und charakterlichen Substanzlosigkeit der aktuellen Politikerführungsriege sei er quasi dazu gezwungen. Wobei, auch letztere – angeführt von Mutti Merkel, deren Beruf er immer noch nicht kenne – gewohnt humoristisch-bissig ihr Fett weg bekamen.

Trüffelsuche nach Ausbildungsnachweisen

Zurück zur Einstiegsszene: Die Bürokratie ist ein penibler Tagebuchautor. Fehlen am Ende eines Arbeitslebens einige Seiten für den Rentenbescheid, gilt es die Zeitlücken zu schließen. Doch diese führen zu einer Suche, die einer Trüffeljagd gleicht: man wühlt in Kisten und Kartons und kramt so die eine oder andere Erinnerung hervor. Thomas Freitag hat daraus zu seinem 40-jährigen Bühnenjubiläum ein großartiges Programm gemacht: „Das Beste – die Jubiläumsedition“. Immer wieder fallen Jahreszahlen, die Freitag zu Seitenhieben auf die Politik nutzt. „1982 – was weiß ich, was ich da gemacht habe! Ein Ausbildungsnachweis fehlt? Unserer Regierung fehlt der doch regelmäßig!“ Doch dies war erst die Aufwärmphase.

Freitag beschränkte sich glücklicherweise in seiner Auswahl aus vier Jahrzehnten Bühnenpräsenz nicht darauf, herausragende Nummern zu recyceln, er zog nicht nur eine Zwischenbilanz, sondern er bezog auch ganz klar Stellung zu aktuellen politischen und gesellschaftlichen Ungereimt- und Ungerechtigkeiten. Er wetterte gegen die Bürokratie, Staatsverschuldung und Bankenkrise solidarisierte sich mit Hartz IV-Empfängern, entlarvte Macht und Profitgier und schimpfte natürlich auch genügend über Politiker – wie beispielsweise über die „Kampfdrohne aus Hannover“, Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen, die als „vielseitig begabte Karrierefrau“ mit großem Interesse die Auslandsaufenthalte der Bundeswehr familienfreundlich gestalten wolle: „Vor Ort eine Kita einrichten heißt auf gut Deutsch, während die lieben Kleinen in der Kita sitzen, spielen Mutti und Vati draußen Krieg!“ – oder wie wäre es gleich damit, Legoland anzugreifen?!

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Die künstlerischen Fähigkeiten des gebürtigen Alsfelders Thomas Freitag sind unbestreitbar. Alle Fotos: Anja Kierblewski

Der Gewinner des Kleinkunst-Preises Baden-Württembergs verglich die aktuelle Regierung mit einem Hühnerhaufen – nicht ohne dies gleich wieder zu widerlegen, schließlich hätten Hühner Eier. Als Schriftsteller schreibe er selbst gerade ein Buch, darüber, was Politikern peinlich ist. „Es hat nur vier Seiten, inklusive Umschlag.“

Auch das Thema Flüchtlinge fand natürlich Platz in seinem Programm: Früher war es der Sarotti-Mohr, der am Bankschalter um Spenden bat, „50 Jahre später kommen die Menschen persönlich zu uns und man fragt sich, was haben die Spenden gebracht, mit denen wir dachte uns frei zu kaufen.“

Knallhart analysiert: Optimierungswahn führt ins Burnout

Aber er ging noch weiter: Er stellte die geplante „Pflegeversicherung 3“ in Aussicht, bei der statt Pflegeleistungen Sprachkurse abgerechnet werden könnten, da man schließlich nicht auf Kroatisch, Rumänisch oder Chinesisch „Wisch‘ mir den Po!“ fordern könne. Er kritisierte die Privatisierung der Verantwortung, bei der man derart über den Tisch gezogen werde, dass man die entstehende „Reibungshitze als Nestwärme“ empfinde. „Wir müssen uns der Politik anpassen, an uns arbeiten, organisieren und mobil sein.“ Mit großartigen Gesten, Mimik und Ton verdeutlichte er das Problem anhand einer Szene im Ehebett, wo des nächtens die Eheleute den nächsten Tag planen – flexibel, mobil, allgegenwärtig. Zum Schluss stillt der Dachdecker das Baby, das Pony operiert die Herrentorte in München und Mutti kann endlich wieder schlafen – bis zum Burnout, der Arbeitslosigkeit oder Altersarmut.

Thomas Freitag als Frank W. im Beichtstuhl... leider findet er nicht das Gehör. Der Pfarrer hat andere Sorgen!

Thomas Freitag als Frank Weber im Beichtstuhl… leider findet er nicht das Gehör. Der Pfarrer hat andere Sorgen!

Ohne wilden Klamauk – fast poetisch und geradezu surreal – Freitags Darstellung der Beichte von Bankangestellten Frank Weber, der getrieben vom schlechten Gewissen seinen 10.000-Euro-Diebstahl beichten möchte und sich nicht ernst genommen schnell wieder in die Kindheit zurückversetzt fühlte, als er sich das „Schienbeintreten“ ausdachte, um überhaupt etwas bei der Beichte sagen zu können – schließlich sei die Beichte in seiner Jugendzeit der Adrenalinkick schlechthin gewesen, ähnlich wie heute das S-Bahn-Surfen. Einen solche Kick wünschte sich wohl auch der Beichtvater, der statt die Absolution zu erteilen lieber sein Leid über zunehmende Respektlosigkeit gegenüber moralischer Instanzen und die mangelnde Wahlbeteiligung klagt und tiefe Einblicke in das Gemeindeleben gab, an dem nur noch wenige Gläubige über 90 Jahre teilnehmen, denen man die Bibel allerdings nicht mehr vorlesen müsse, da „sie alles selbst miterlebt haben“!

Der messerscharfe Analytiker nahm den Bildungsstand unter die Lupe. So zitierte er an dieser Stelle Shakespeares „Romeo und Julia“ und brach herunter, wie Mercutio heute parlieren würde: „Ich mach dich Krankenhaus!“ Bildungsstand und Betreuungsplätze bewegten Freitag sehr, aber auch den Bibliothekar Schüttlöffler, dessen Wut sich gegen den Zeitgeist und politischen Irrsinn richtet, gegen angebliche Alternativlosigkeit, gegen das Sparen an der Kultur, Kapitalismus und Gleichmacherei – unterhaltsam und böse das Szenario gegen den Kulturkahlschlag, bei dem sich Schüttlöffler nicht anders zu helfen weiß, als sich mit seinen Büchern als Geiseln zu verbarrikadieren.

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Veronica Ferres spielt Schillers Bruder in der Menopause „Der Räuber“

So böswitzig wie bei Freitags Parodie, in der Friedrichs Schiller einem Verleger der Gegenwart sein Manuskript zu „Die Räuber“ vorlegt, ist dem Kulturbetrieb schon lange nicht mehr der Spiegel vorgehalten worden, wie an diesem Abend in Alsfeld: Aus dem Drama, das die Rivalität zwei gräflicher Brüder schildert, in dem es um einen Konflikt zwischen Verstand und Gefühl und dem Verhältnis von Gesetz und Freiheit geht, möchte der Verleger ein Mainstream-Stück machen. Der aberwitzige Dialog im Ein-Mann-Theater endet damit, dass Karl „Karla“ heißt, ein Intimpiercing wie Charlotte Roche hat, die zunächst von Zuhause ausreißt, um dann doch von Veronica Ferres in den Wechseljahren gespielt zu werden – natürlich in Cornwall, nein doch in Schweden, da dort die Krimis gut ankommen. Natürlich müsse ein Adeliger auf einem Pferd mitspielen, der Burnout hat und mit Fistelstimme spricht, nur damit Till Schweiger das Hörbuch vertonen kann. Oder war es doch ganz anders? Freitags temporeichen Ausführungen, unterbrochen von publikumsgesteuerten Lachsalven, war nicht mehr ganz genau zu folgen.

Grandios Freitags Spiel als Siggi. Nein, nicht Siggi Gabriel, der Fettsteuer zahlen sollte – genauso wie Erhard, Strauß und Kohl, die eigene Überhangsmandate hatten. Siggi der Frittenbuden-Besitzer. Gestenreich prangerte dieser die heutige Ess- und Körperkultur an – überall werde analysiert, perfektioniert und optimiert. Die „Salatisten“ wären im Schlankheits- und Gesundheitswahn, dabei hätte Großmutter doch schon gewusst, was essen schmackhaft macht: „So lange kochen, bis die Vitamine tot sind… wenn nicht, wird mit dem Nudelholz noch mal drauf gehauen!“ Früher sei Essen eine Nebensache gewesen, bis vor einigen Jahren habe es noch anständige „Stullen“ gegeben. „Heute gibt es kaum noch eine Essenseinladung, bei der einem nicht erklärt wird, woher der Grappa kommt… oder dass der Dalai Lama höchstpersönlich über das Salz gelaufen ist.“

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Viel Applaus erntete der Erfinder der abstrusesten Geschichten bei seinen tiefen Einblicken ins Rentnerdasein – per Rentnertagebuch, das den Verlauf des ersten Ruhestand-Jahres skizzierte. Am Anfang hochmotiviert und voller Tatendrang – Unverständnis dem unrasierten, im Trainingsanzug durch den Alltag schlürfenden Nachbarn gegenüber – nimmt sich der Rentner euphorisch allerhand vor: Wasserrohre entkalken, Rasen mähen, Vogelhäuschen bauen…. Beschimpft die Senioren beim Obi-Holzzuschnitt als „Krampfadergeschwader“ und lästert über Gleichaltrige, die nur zum Arzt gehen, um mal jemanden zum Reden zu haben.

Doch plötzlich ändern sich seine Tagebucheinträge, der Rasen wird mehrfach gedüngt, damit er schneller wachsen kann und die Vögel der Nachbarschaft schreiben ihm höchstpersönlich einen Brief, mit der Bitte, nach dem 28sten Vogelhäuschen im Garten aufzuhören – es würde langsam peinlich werden. Nachdem das Sexleben mit der liebsten Gattin eingeschlafen sei, auch Rentner-Yoga ihm keine Freude mehr bereitet und er inzwischen herausgefunden hat, dass es in seinem einst verhassten Kreuzworträtsel 1376 Lösungen für russische Flüsse mit sieben Buchstaben gibt, sucht er nach Alternativen. Die findet er – auf dem „türkischen Arbeiterstrich“ in den er sich dunkel geschminkt und mit aufgeklebten Schnurrbad zwischen die Schwarzarbeiter Mehmet, Ali und Cengiz wiederfindet, um mit ihnen gemeinsam auf den Bau zu gehen. Wie sich dort rausstellt, teilen die Drei das gleiche Schicksal, denn sie heißen eigentlich Hans, Franz und Theo und sind auf der Suche nach einer sinnvollen Beschäftigung. Kurzerhand wird beschlossen einen eigenen Konzern zu gründen, mit Kurs auf wirtschaftlichen Erfolg. Eine Geschäftsidee gibt es auch schon: Vogelhäuschen.

Meisterhafte Parodie im Altersheim der VIP-Rentner

Unbestrittenes Highlight und Glanzstück des Abends war allerdings Thomas Freitags Brandt-Wehner-Strauß-Parodie. Die drei VIP-Rentner verfrachtete der ausgezeichnete Parodist in ein Dreibettzimmer im Altersheim und lässt sie dort munter drauflos granteln und intrigieren. Meisterhaft seine rasanten Rollenwechsel, in denen er die Protagonisten mit enormer Spielfreude sowie perfekter Stimmimitation nachahmte…. bis dort ein vierter Mitbewohner einzieht: Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki.

Dieser widmet sich zum Abschluss des Abends auf der Alsfelder Bühne dem deutschen Liedgut – in absurden Verrenkungen, rutschend auf dem Sessel, krabbelt auf der Bühne. „Wir versaufen unser Oma ihr klein Häuschen“ wird tiefgründig analysiert. Von Lachsalven der Zuschauer – allein wegen des darstellenden Spiels – war der Inhalt kaum wahrzunehmen. Doch nicht genug, tobender Applaus forderte eine Zugabe. Und die lieferte „der Komödiant unter den Spitzenkabarettisten“ sofort: Der Text eines Hamburger Gastronom, der ähnlich des Films „Der seltsame Fall des Benjamin Button“ das Leben rückwärts laufen ließ. „Stell dir vor, du liegst in der Erde, gräbst dich ans Licht, an den entsetzten Erben vorbei, zurück ins Altersheim (…) und kannst endlich das Leben in einem guten Orgasmus beenden!“

von Anja Kierblewski

Thomas Freitag (12 von 17)

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