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Sie hungern, sind krank und erliegen letztendlich ihrem Leiden und doch fühlt sich niemand verantwortlich für das Leben streunender KatzenWer ist für uns zuständig?

ALSFELD. Dünn, ausgehungert und verängstigt sitzt sie in einer Ecke eines alten Gebäudes. Mit dem Hinterteil gegen eine Mauer gedrängt, versucht sie bei jedem Annäherungsversuch auszuweichen, bevor sie endgültig die Flucht ergreift. Streunende Katzen gibt es in Alsfeld und Umgebung viele und es werden immer mehr, da sich offenbar niemand für die Kastration der schnellvermehrenden Vierbeiner zuständig fühlt. Wer trägt hier die Verantwortung für diese Katzen?

Bettina Reser kann bei Szenen wie diesen einfach nicht mehr wegsehen. Bereits 2014 entdeckte die engagierte Tierschützerin auf einem öffentlichen Gartengrundstück eines ehemaligen Hofes im Alsfelder Stadtteil Lingelbach mehrere herrenlose Katzen, die sich in einem schlechten gesundheitlichen Zustand befanden. Das reichte der Tierfreundin und sie beschloss die Katzen einzufangen, um einer Pflicht nachzugehen, für die sich sonst offenbar niemand mehr verantwortlich fühlt. Bei dem Tierzentrum in Gelnhausen, das ein Fundtiervertrag mit der Stadt Alsfeld hat, wurde Reser abgewiesen. Aus deren Sicht handelte es sich nicht um Fundtiere, sondern herrenlose Tiere, für die sie nicht zuständig sind. Nicht bereit die Findelkinder ohne Hilfe ihrem Schicksal zu überlassen, ließ Bettina Reser die Katzen im Tierheim Alsfeld behandeln, kastrieren und chippen. Mit den Kosten von 1.215,59 Euro ging sie dabei zum Wohle der Katzen in Vorleistung und stellte sie anschließend der Stadt in Rechnung. Reser tat damit, worauf sie sich auch während der Verhandlung berief, die Aufgabe der Gemeinde.

Seit 2014 läuft der Rechtsstreit, der am 14. Februar 2016 vor dem Verwaltungsgericht in Gießen zur Verhandlung stand. Die Klage wurde Anfang März durch das Verwaltungsgericht in Gießen zu Gunsten der Stadt Alsfeld abgewiesen. Gemäß dem Urteil handelte es sich dabei nicht um Fundkatzen, sodass der Klägerin kein Aufwendungsersatzanspruch nach dem Fundrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zustehe. Für Reser: ein unfassbares Urteil.

Niemand fühlt sich verantwortlich

Für den Verwaltungsrichter stand zunächst die Frage im Raum, ob es sich um Fundtiere oder herrenlose wilde Tiere handelte. Als Fundtier wird rein rechtlich ein verlorenes oder entlaufenes Tier angesehen, welches nicht offensichtlich herrenlos ist und von einer Person an sich genommen wurde, die nicht zuvor Eigentum oder Besitz an dem Tier hatte. Zudem lasse sich ein Tier erst dann als Fundtier qualifizieren, wenn es an einem ungewöhnlichen Ort, an einem für das Tier fremden Ort, oder in hilfloser Lage vorgefunden wird. Das Tier müsse dabei kastriert und geschützt sein und sich von selbst hochheben lassen. Klare gesetzliche Vorstellungen, die in der Realität allerdings keinen Bestand haben. „Ich wurde nicht als Finderin klassifiziert weil ich die Tiere zuerst einfangen musste, bevor ich mich um sie kümmern konnte. Außerdem hätte ich sie der Stadt melden sollen und ihr einen Spielraum lassen sollen, um die Situation zu erfassen. Ich habe diese Katzen, die sich in einem schrecklichen gesundheitlichen Zustand befanden, der Stadt gemeldet. Es hat sich nichts getan, also habe ich selbst gehandelt“, bestätigt die Tierschützerin. Diese Tatsache allein soll also der Beleg dafür sein, dass es sich nicht um Fundtiere handelt. Unvorstellbar.

Reser räumte im Zuge der Verhandlungen ein, dass man bei zurückgelassenen Tieren zunächst immer von Fundtieren ausgehen müsse und bezog sich dabei auf einen ähnlichen Fall, der von einigen Jahren schon mal vor dem Verwaltungsgericht stand. Dabei wurde die Stadt Reiskirchen zur Zahlung verurteilt, wobei es damals hieß, dass gefundene Katzen im Zweifelsfall immer erst mal als Fundtiere anzusehen sind und die Kommunen die Verantwortung übernehmen müssen. Für den Richter war die Aussage allerdings zu pauschal und er wies den Einwand zurück. Dies spielte dem Standpunkt der Alsfelder Stadtverwaltung in die Karten, die sich nicht verantwortlich für die, ihrer Meinung nach, streunenden Katzen sehen. „Die Stadt hat bestimmte Aufgaben, denen sie nachkommt. Wir nehmen die Verantwortung für Fundtiere wahr und arbeiten hier mit dem Tierzentrum in Gelnhausen zusammen. In diesem Fall handelt es sich allerdings um herrenlose Katzen, die nicht in das Zuständigkeitsgebiet der Stadt fallen“, so klingt es aus dem Ordnungsamt in Alsfeld. Ein Konflikt, der viel Diskussionsbedarf mit sich bringt.

Streunerkatzen: Ein Problem fehlender Zuständigkeit

Eine traurige Geschichte, die jedoch auf ein viel größeres Problem hinweist: eine fehlende gesetzliche Regelung beim Verfahren mit Streunerkatzen. Oberhessen-live berichtete bereits 2014 in dem Artikel „Eine Satzung gegen das Katzen-Elend“ über die Forderungen der Tierschützer auf gesetzliche Regelungen, um dem Elend herrenloser Katzen entgegen zu wirken. Dabei wurde auf die tierschützerische Verantwortung der Halter von freilaufenden Katzen appelliert, ihre Katzen zu kastrieren, um die unheimliche Vermehrung zu kontrollieren.

Bettina Reser 2014 mit Kater "Tibor": Der junge Kater schnurrt auf dem Arm von Bettina Reser, nachdem sie ihn als verwilderten Welpen von einem Hof geholt hat. Im Hintergrund: der Tierpfleger Thomas Schmidt. Fotos: aep/archiv

Bettina Reser 2014 mit Kater „Tibor“: Der junge Kater schnurrt auf dem Arm von Bettina Reser, nachdem sie ihn als verwilderten Welpen von einem Hof geholt hat. Im Hintergrund: der Tierpfleger Thomas Schmidt. Fotos: aep/archiv

„Nach §3 des Tierschutzgesetzes ist das Aussetzen von gehaltenen und betreuten Tieren gesetzlich verboten und damit illegal“, klärt Bettina Reser auf. Wenn man also niemanden etwas Illegales unterstellen möchte würde dies bedeuten, dass es keine herrenlosen Katzen gibt und bestätigt damit den Standpunkt der Klägerin, dass es sich um Fundtiere handelt. Realistisch betrachtet hat das allerdings kein Bestand – auch der enormen Vermehrung dieser Katzen geschuldet – weshalb die Stadt Alsfeld die Verantwortung von sich weist. Etwas widersprüchlich aber dennoch bahnt sich hier ein viel größeres Problem an.

Ein herrenloses Tier hat nach §959 des BGB keinen Besitzer mehr, weil der Eigentümer den Besitz in Absicht aufgegeben hat und damit auf sein Eigentum verzichtet. Solange dabei die herrenlosen Tiere keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, obliegt keiner Behörde in Deutschland die Aufgabe, sich um herrenlose Tiere zu kümmern. Sie sind damit auf sich allein gestellt – ganz egal ob sie dadurch verhungern oder von Krankheit zerfressen werden. Der Umgang mit herrenlosen Tieren, zu denen auch Streunerkatzen zählen, ist nicht gesetzlich geregelt und dem liegt keine Zuständigkeitsregelung zugrunde. Ein unbeschreibliches Manko des Gesetzes, findet auch  Reser: „Der Knüller des Urteils war die Aussage, ich hätte die Katzen einfach dort lassen sollen, wo ich sie gefunden haben. Das ist unglaublich – ich hätte sie einfach ihrem Schicksal überlassen sollen.“

Aus Tierschutzgesichtspunkten stellt die fehlende Zuständigkeitsregelung ein enormes Problem dar, da sich die Ordnungsbehörden hier nicht verantwortlich fühlen. Sie versuchen aufgefundene Katzen als vermeintlich herrenlose Katzen zu klassifizieren, um die mögliche Übernahme von Unterbringungs- und Versorgungskosten abzulehnen, womit die Finanzierung letztendlich auf örtliche und private Tierschutzvereine und Tierheime – in diesem Fall, einer privaten Tierschützerin – zurück fällt. Dabei handelt es sich um Kosten, die kaum mehr zu stemmen sind. Ein viel wichtigerer Aspekt ist dabei das Leid, welchem die Katzen täglich ausgesetzt sind und durch ein mangelndes Futterangebot hervorgerufen wird.

Das Problem muss von Grund auf angepackt werden

Trotz allem scheint der Umgang mit herrenlosen Katzen und die fehlende Zuständigkeit beziehungsweise die fehlende staatliche Verantwortungsübernahme kein primäres Ziel der Kommunen zu sein. Ein Missstand, den es – wie dieser Fall eindeutig beweist – zu korrigieren verlangt. Das Problem muss an der Wurzel gepackt werden um zu einer langfristigen Lösung zu gelangen.

von Luisa Stock

6 Gedanken zu “Wer ist für uns zuständig?

  1. Man kann das Eigentum an einem Tier nicht durch Aussetzen aufgeben – eben weil das verboten ist! Wenn das anders wäre, dann könnte man den Besitzer ja nicht wegen Verstoß genen §3 TschG bestrafen. Ein ausgesetztes Tier kann also schon aus diesem Grund niemals herrenlos sein!

  2. Der Mensch ist verantwortlich für das Leid unserer Mitgeschöpfe, also sollten wir alle die Verantwortung für solche Zustände tragen. Tiere haben das gleiche Recht auf Unversehrtheit wie auch der Mensch. Sie können ohne uns leben, aber wir nicht ohne sie!!!!!!!!!

  3. Merkwürdig…
    Ständig fühlen sich Städte und Gemeinden, für alles zuständig, wo ich mich dann frage, warum, doch wenn es um Tierwohl geht, zählt ausser dem eigenen, guten Leben, kein Anderes.
    Ich könnte kotzen bei so viel Arroganz und Ignoranz!

  4. Bestimmt machen sich jetzt die Parteien aus Alsfeld und Umgebung Gedanken darüber, wie sich das Problem lösen lässt. Oh nein ich vergaß, dass die Tiere ja keine Lobby haben. Also los, werte Politiker, handeln sie mal im Interesse der Tiere.

  5. @Bragato Manuela, Sie sprechen mir aus dem Herzen. es ist wirklich eine Schande, für welchen scheiss Geld ausgegeben wird. Tiere sind Lebewesen und haben auch Gefühle…….

  6. Das ist echt das allerletzte, die Frau kümmert sich weil die Stadt blind und taub ist und wird von den Gerichten der Blindheit und Taubheit noch unterstützt.
    Für die Flüchtlinge die auch nicht herrenlos sind wird gesorgt, aber nicht für unsere Tiere. Die Kommunen müssten sich schämen. Jede Kommune hat Budget für irgend einen Scheiss. Warum kümmert sich niemand darum. Überall liegen auch tote Tiere am Straßenrand rum und werden nicht entsorgt, weil der Förster nicht genug Geld dafür bekommt, niemand fühlt sich verantwortlich. Aber Hauptsache die Gelder werden für irgendwelche Sanierungen die nicht einmal nötig sind verplempert ……
    Ich könnte heulen über soviel Ignoranz soviel Dummheit der Politik der Bürgermeister und der Kommunen ……
    Jede Gemeinde sollte erst mal vor ihren Toren sauber machen bevor die Gelder an irgendwelche faulen Jugendlichen verschwendet werden die nicht mal Bock auf Arbeit haben……die kriegen Geld zum kiffen zum saufen…..damit sie sich den Pegel antrinken um diese armen Geschöpfe dann auch noch quälen können.
    Ein dickes Pfui an alle Kommunen .
    Macht endlich die Augen auf und kümmert euch ……..

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