Gesellschaft3

Zum Jahreswechsel: Die OL-Redakteure Axel Pries und Juri Auel schauen zurück – Flüchtlinge und die neue Rolle der Journalisten – Im Video: Impressionen des JahresIn der Hoffnung auf die guten Kräfte 2016

2015 – das war’s dann wohl fast. Und was bleibt? War das Jahr 2015 ein gutes, ein erhebendes oder wichtiges? Da hat jeder auch seine ganz persönlichen Sichtweisen, das ist klar. Es gibt aber Gemeinsamkeiten, die alle betreffen, und da bietet das abgelaufene Jahr eine große Neuerung für uns Deutsche und uns Europäer: Weltpolitik spielt sich nicht mehr in den Tagesthemen ganz weit weg ab. Sie ist hier, sichtbar in ganz vielen deutschen Städten, wahrgenommen noch als Ausnahmesituation. Ist da so – eine Ausnahme – oder müssen wir uns umstellen? Die OL-Redakteure Axel Pries und Juri Auel schauen zurück: Was war 2015 für sie?

Als Journalist arbeitet man eigentlich nach dem Grundsatz, nicht alles an sich heran zu lassen. Wer zu einem Unfall rausfährt, muss sich darauf einstellen, Schreckliches zu sehen und trotzdem seine Arbeit tun zu müssen: fotografieren, nachfragen, Fakten sammeln und daraus eine Geschichte schreiben, die einigermaßen emotionslos das Geschehen wieder gibt. Das wird dann veröffentlicht, und man hat dann damit mit eher wenig zu tun. Man ist ja nur Berichterstatter. So ist das auch mit Politik: Wo andere sich erhitzen, soll man als Zeitungsmensch den kühlen Überblick bewahren.

Impressionen eines Jahres im Video:

 

Das hat sich geändert – mir scheint vor allem im Jahr 2015 und in einer Online-Redaktion. Denn die Ankunft der Flüchtlinge in unserer Region nach einem eher ereignisarmen Jahresablauf ist ein Ereignis, das nicht nur alle und jeden betrifft, sondern die Gesellschaft auch massiv spaltet. Und plötzlich ist man als Reporter, Berichterstatter, Journalist mitten drin. Im Oktober, als die Flüchtlinge kamen und die vielleicht bedeutendste Wende im deutschen wie europäischen Insel-Denken herbei führten, war das für mich als Verantwortlicher in einem Magazin natürlich ein Großereignis. Eines, für das ich mich einsetzte. Hieß, zum Beispiel: Eine Woche lang musste ich jeden Abend raus und bis spät in die Nacht berichten, was sich Neues tat. Das waren die Bürgerversammlung in verschiedenen Städten – neben üblichen Abendveranstaltungen – bis die Flüchtlinge dann endlich ankamen.

Zusammen mit einem Kollegen aus Berlin habe ich jene Nacht vor der Großsporthalle in Alsfeld verbracht. Um 1 Uhr waren die angekündigten Busse noch nicht da, aber dann mochte ich auch nicht mehr heim, sondern wollte unbedingt das Ereignis miterleben – und dokumentieren. Wann war es: 3 Uhr, als dann die ersten Menschen aus den Fahrzeugen kletterten? Familien mit schlafenden Kindern auf dem Arm, derweil der Kollege und ich Bilder machten, bis die Straße mit einer Plane abgeriegelt wurde. Morgens um 9 Uhr saß ich danach am Rechner, noch ziemlich müde, aber zufrieden, mit aktueller, lebendiger Berichterstattung aufwarten zu können. Das war ein vielleicht historisches Ereignis, und ich wollte es nicht verpassen.

Doch die viele nächtliche Arbeit war es dann gar nicht, die mir in der Folge Magendrücken verursachte. Das waren die Reaktionen in der Leserschaft. Anders als in früheren Jahrzehnten, als Print-Zeitungen alleine durch die längeren Produktionsabläufe eine gewisse Distanz schafften zwischen Ereignis und Publikumsreaktion, und somit Emotionen kühler abliefen, ließ nun die Leserschaft spontan das überlaufende Herz in die Kommentarspalten fließen. Und was kam, hat mich zum Teil erschüttert an Kälte und kalter Wut.

Magendrücken von unverblümt rassistischem Gedankengut

Es waren gar nicht die abwägenden Kritiker der Flüchtlingspolitik, die mir vor Augen hielten, was unter der Decke unter friedlichen Gesellschaft wirklich schlummert. Sondern jene, die ganz unverblümt rassistisches Gedankengut von ganz weit rechts durchblicken ließen – und mir in persönlichen Mails schon Parteilichkeit vorwarfen, wenn ich nur nicht löschte, dass jemand Linker sie als rechtsaußen stehend bezeichnete. Nicht jede Gehässigkeit habe ich toleriert. Andersherum die Beschwerden vom linken Ufer: wie ich derart rechtsradikale Meinungen stehen lassen könne… Derweil von eben jener Seite manche Beleidigungen auftauchten, die ich ebenfalls löschen musste. Ich war mitten drin in der Schlacht, zwischen den Frontlinien, versuchte, einen Kurs zu halten, der irgendwie noch als demokratische Diskussion durchgehen konnte.

Bilder eines historischen Ereignisses: Ankommende Flüchtlinge in Alsfeld.

Bilder eines historischen Ereignisses: Ankommende Flüchtlinge in Alsfeld.

Die Überwachung der Kommentarspalten bei Oberhessen-live und auf Facebook war zeit- und kraftraubend – und die Debatte darin ziemlich fruchtlos, weil zunehmend nur noch von Leuten geführt, die offenbar partout nicht verknusen können, wenn Andere andere Meinungen haben. Was mich ein bisschen beruhigt: Anderen Online-Zeitungen ging es nicht anders, und sogar das große Spiegel-Online hat kapituliert: Zu gewissen Themen gibt es gar keine Kommentar-Möglichkeit mehr, weil zu aggressiv damit umgegangen wurde. Darüber denke ich auch gerade nach.

So war das Jahr 2015 – mein zweites als Verantwortlicher einer Online-Redaktion – für mich ein aufregendes und sehr lehrreiches Jahr. Eines, in dem mir auch die Rolle als Journalist mal wieder wirklich bewusst wurde – eine wachsende Rolle in einer sich verändernden Welt. Als dann übrigens im Laufe der Wochen die Gemüter sich abkühlten und offenbar wurde, dass es auch in unserer Region ganz viele „Gutmenschen“ gibt, die menschlich handeln, aber nicht Kommentarspalten füllen, war ich bei meiner Abneigung gegen Radikalismus von rechts wie links mit unserer Gesellschaft  ein bisschen versöhnt. Und gehe mit diesem Gedanken auch ins neue Jahr: Es wird mit Sicherheit ein schwieriges – ich hoffe auf die guten Kräfte.

Axel Pries

 

Ein toller Sommer und ein denkwürdiger Herbst

Ich bin ein Riesenfan von Jahresrückblicken im Fernsehen. Halbsätze wie „Stimmt. Das weiß ich noch“, oder „Ach, das war dieses Jahr?“ gehen mir dann durch den Kopf. Aus meiner persönlichen Sicht als OL-Redakteur wird 2015  vor allem mit zwei Dingen fest verbunden bleiben: mit dem Sommer, den ich als Gastreporter an der phantastischen Südküste Englands verbracht habe und dem Moment, als die große Weltpolitik plötzlich in Gestalt von 1000 Flüchtenden in den Vogelsberg schwappte.

„Da gehe ich nicht hin!“, war mein erster Gedanke, als ich das Verlagsgebäude auf meinem Bildschirm sah. Die Agentur, über die ich ein Praktikum in einer englischen Zeitung gebucht hatte, hatte mir kurz vorher die Adresse meines zukünftigen Arbeitsplatzes geschickt. Google Street View zeigte ein grauen, heruntergekommenen Klotz, der, positiv formuliert, „morbiden Charme“ versprühte. Bei Twitter fand ich Fotos aus der Redaktion. Uralt-Technik, abgegriffene Tische, beinahe war es mir, als könnte ich den Muff des alten Hauses durch meinen Computer riechen.

War der Arbeitsplatz von Juri Auel m Sommer 2015: Die Redaktion des Mid-Devon Advertisers.

War der Arbeitsplatz von Juri Auel im Sommer 2015: Die Redaktion des Mid-Devon Advertisers.

Die Webseite des Mid-Devon-Advertisers, so der Name der Zeitung, sah nicht besser aus. Es fehlte wirklich nur noch ein hüpfendes @-Zeichen als Beweis, dass dieses Relikt das letzte Mal aktualisiert wurde, als Windows 95 der letzte heiße Scheiß gewesen ist. Inzwischen ist sie top modern. 

Ich schrieb eine Email und lehnte das Angebot ab, man möge mir doch bitte eine andere Zeitung vorschlagen. Dass es nicht der Guardian werden würde, war ja klar. Aber deswegen muss es doch nicht gleich dieses Käseblatt sein, dachte ich mir. Wenige Tage später die Antwort. Daniela, das nette Mädel von der Agentur, riet mir, meine Bitte noch ein mal zu überdenken. Man habe schon öfter mit der Zeitung zusammengearbeitet, das Team sei super freundlich und erfahren im Umgang mit deutschen Studenten.

Danke, Daniela!

Mhh. Was nun, sprach Zeus. Ich ließ mich überreden. Rückblickend muss ich Daniela wohl danken. Auf Knien. Unterwürfig. Mit einem Blumenstrauß, so groß und schön, dass zwei Monatsmieten dafür drauf gehen. Mein Praktikum bei dieser Zeitung war, das lässt sich durchaus so sagen, eine der besten Entscheidungen in meinem noch jungen Leben.

Die Einrichtung und die Technik waren tatsächlich überholt. Aber die Menschen waren großartig. Am Ende gab es fast ein paar Tränen, als „the German Boy“ nach einem halben Jahr wieder zurück in seine Heimat flog. „Schmeiß nicht wieder Bomben auf unser Land, wenn du im Flieger sitzt“, hat mein Kollege John Balment zum Abschied zu mir gesagt.

Hihi, die Briten und ihr schwarzer Humor. Diese kleine Scharmützel und gegenseitigen Neckereien rund um die gemeinsame Vergangenheit versüßten die Arbeit, die auch in einem fremden Land manchmal vom Abenteuer zum grauen Alltag wird. Von Anfang an wurde ich herzlich aufgenommen, war ein Teil des Teams, das jede Woche die sechs Lokalausgaben des Mid-Devon Advertisers und seiner Schwesterblätter herausbringt.

Auf der Suche nach Geschichten

Die Engländer unterscheiden strikter als wir Deutschen zwischen Redakteuren, die die Zeitung bauen und Reportern, die die Storys besorgen. Ich gehörte zu letzteren. Ich interviewte eine Hollywood-Filmcrew, sprach mit Lokalpolitikern, schrieb über eine Gruppe Jungs, die an einer wahnwitzigen Ralley quer durch Asien und Europa teilnahmen und bewunderte die Briten in einem Kommentar dafür, dass sie den Erlös ihrer Bierfeste wohltätigen Zwecken spenden und nicht wie wir beim Ballermannurlaub mit der Burschenschaft versaufen. 

Für meine Lehrer, die mir 13 Jahre verzweifelt versucht haben, diese Sprache beizubringen, muss ich das nochmal ganz ausführlich dazu sagen: auf Englisch. Das alles geschah auf Englisch. Das war überhaupt der Grund, warum ich diese Reise auf mich genommen hatte. Ich wollte nicht mehr in Panik ausbrechen, wenn ich mit dieser Sprache in Berührung komme. Bei Referaten, Interviewpartnern, Fachliteratur. Deswegen hatte ich mich nach England aufgemacht.

Schon sehr früh ermutigte man mich, einen eigenen Artikel zu schreiben. Etwas aus deutscher Sicht am Besten. Die Unterhauswahlen waren gerade gelaufen. Das war perfekt. In einem Kommentar mit der Überschrift „View from Germany“ bauchpinselte ich die britische Seele, nannte Großbritannien die Wiege der liberalen, freiheitsliebenden Demokratie und erklärte den Engländern, warum sich die Deutschen nicht wirklich über den Sieg Camerons freuen können, der mit seinem EU-Bashing durch die Lande gepoltert war und die Gefahr eines Austritts der Britten aus der Union zu einer ernsten Gefahr werden ließ.

Schwarz auf weiß: ein Ausschnitt des Artikels über die englischen Wahlen.

Schwarz auf Weiß: ein Ausschnitt des Artikels über die englischen Wahlen.

Mein erster Artikel auf Englisch. Gedruckt für 40.000 Leser. Das zauberte schon ein wenig Gänsehaut daher. Mein Englisch sei ziemlich gut. Der Text klinge zwar etwas deutsch, das sei aber gerade das tolle daran, sagten die Kollegen. Auch an meinem letzten Arbeitstag kam der gegengelesene Artikel mit rot markierten Fehlern zurück. Sei’s drum, ich bin ja auch kein Muttersprachler. Was zählt: Die Angst war weg! Die tägliche Arbeit und vielleicht auch das ein oder andere angesäuselte Gespräch mit einem lauwarmen englischen Bier im Pub hatten ihre Wirkung gezeigt. Englisch war von einem verhassten Feind zu einem guten Freund für mich geworden.

Dass es mir in England so gut ging, liegt nicht zuletzt an meiner Gastfamilie, die ich über die sechs Monate sehr lieb gewonnen habe. Terry und Jayne, die in dem netten Städtchen Paigton zusammen eine Motorradwerkstatt betreiben, haben gut für mich gesorgt. Sie waren mehr als die Sorte Gasteltern, die die Trottel vom Kontinent nur aufnehmen, um leichter ihre Rechnungen bezahlen zu können.

Verstrahltes Selfie zum Abschied: OL-Redakteur Juri Auel mit seinen Gasteltern Terry und Jayne

Verstrahltes Selfie zum Abschied: OL-Redakteur Juri Auel mit seinen Gasteltern Terry und Jayne

Egal was für ein Problem mich plagte, einer der beiden wusste immer Rat. Gemeinsam schauten wir uns die bezaubernden Küsten Cornwalls an, schlemmten und mampften was das Zeug hielt (Jayne war eine begnadete Köchin) und diskutierten buchstäblich über Gott und die Welt (meistens, nachdem wir geschlemmt hatten).

Den Kontakt in die Heimat pflegte ich auf Reporter-Art. In der Serie „England von Innen“ (hier finden Sie alle Artikel der Reihe) berichtete ich in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen von meinem Leben als German Boy auf der Insel. Von der für Deutsche manchmal verwirrenden britischen Höflichkeit, von eskalierenden Junggesellenabschieden mit nackten Hintern im nachmittäglichen Pub oder von den harten Regeln, mit denen die Politik versucht, englische Fußball-Rowdies zu bändigen.

Nicht vergessen werde ich auch die kleine Demonstration, auf der ich für Oberhessen-live in Torquay, der Urlaubsstadt, in der ich gewohnt habe, gewesen bin. Eine Hand voll Leute war zusammen gekommen, um für eine liberalere Flüchtlingspolitik zu demonstrieren. Ihr Vorbild: Deutschland. Über good old Germany sprachen an diesem Tag viele Menschen voller Bewunderung. Es war die Zeit, in der die Bilder von jubelten Einheimischen und strahlenden, ankommenden Flüchtlingen am Münchener Hauptbahnhof um die Welt gingen.

Die Bombe: als die 1000 Flüchtlinge angekündigt wurden

Was mich somit zu dem zweiten Thema bringt, mit der ich dieses Jahr immer in Verbindung bringen werde. Es kam der Punkt, an dem Tausende Flüchtlinge nicht nur mehr in München ankamen, oder in Berlin, oder in Gießen. Sondern hier, bei uns, in Alsfeld, Lauterbach, Mücke und Homberg. Ich war gerade im Auto unterwegs als der Sprecher im Radio verkündete, was als Mail aus der Pressestelle des Kreises auch schon im Postfach von Oberhessen-live eingetrudelt war. 1000 Flüchtlinge sollten in den nächsten Tagen im Kreis eintreffen, Sporthallen zu Notunterkünften umfunktioniert werden.

Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe (Ich hoffe, das diese Redewendung in diesem Zusammenhang nicht zu unpassend ist). 195 Mal wurde der Artikel in den sozialen Netzwerken geteilt, 26 Kommentare gingen allein direkt auf unserer Seite ein, bei Facebook waren es etliche mehr. Viele von ihnen waren dafür geeignet, in der Apotheke als Brechmittel verkauft zu werden. Nein, sie waren so hässlich, dass man auch das hässliche Wort für sie benutzen muss: Sie waren zum Kotzen!

Einige von den Schmierereien auf der digitalen Wand waren so derbe daneben, dass wir sie löschen mussten. Nicht weil sie unserer Meinung nicht entsprachen, sondern weil sie menschenverachtend, beleidigend und nicht zuletzt auch strafrechtlich relevant waren. Der Betreiber einer Internetseite kann nämlich auch für Pöbeleien seiner Besucher haftbar gemacht werden.

Umso überraschter war ich über die Stimmung auf der Bürgerversammlung, zu der die Politik das Volk eilig in die Alsfelder Stadthalle  zusammengetrommelt hatte. Es sollte der Auftakt einer regelrechten Erklärtournee des Landrats durch den Vogelsberg werden. Und überall reagierten die Menschen ähnlich. Sie reagierten so, dass ich für einen Moment tiefen Stolz für meine Heimat empfunden habe.

die Halle war voll: Blick in die Stadthalle bei der Bürgerbersammlung

Die Halle war voll: Blick in die Stadthalle bei der Bürgerversammlung

Ich hatte, die Hass-Kommentare vor Augen, Angst. Angst vor Szenen, wie sie aus zu vielen DGHs aus Sachsen in den Nachrichten zu sehen waren. Ein unmenschlicher, national verblendeter Mopp, der die Politiker beschimpft und insgeheim schon plant, die potentielle Unterkunft lieber anzuzünden, ehe diese „Terroristen und Vergewaltiger“ dort einziehen würden.

In Alsfeld gab es viele Fragen, darunter auch kritische, die verständlich waren. Wie ist das denn nun mit der Sicherheit? Wie lange bleiben die Flüchtlinge hier? Und ganz wichtig: Was passiert mit den Sportvereinen? Es meldeten sich allerdings nur einige wenige zu Wort, wie man sie aus Sachsen kennt. Jemand, der ein Ende „dieser Politik allgemein“ forderte und Flüchtlinge generell als illegale Einwanderer bezeichnete, löste verstörtes Murren und Kopfschütteln im Saal aus. „Danke, Alsfeld! Gut gemacht!“, wollte man nach diesem Abend über den Marktplatz rufen.

„Refugees are welcome here“

Das Thema, welches für dieses Land so wichtig war, dass es aus ihm sogar das Wort des Jahres gebastelt wurde, lieferte nach diesem Tag auch Stoff für einige Geschichten auf Oberhessen-live. In Kommentaren, die mein Kollege Axel Pries, veröffentlichte, machte er mehrfach die Haltung der Redaktion zu diesem Thema deutlich. Für OL gilt: „Say it loud, say it clear, refugees are welcome here!“. Bei den Nachrichten folgten wir dagegen  einem ganz einfachem journalistischen Grundsatz: „Sag, was ist!“

Das bedeutet, dass wir positive wie negative Neuigkeiten rund um das Thema Flüchtlinge verkündeten. Was zu der paradoxen Situation führte, dass wir kurioser Weise vom ganz rechten und vom ganz linken Rand gleichermaßen als „Lügenpresse“ betitelt wurden.

Von einer eskalierten Prügelei in der Homberger Unterkunft, bei der übrigens ein Reporter von uns durch die Polizei in seiner Arbeit behindert wurde, berichteten wir genau so wie über das Schicksal einer jungen Iranerin, die in der Alsfelder Großsporthalle untergebracht war und die Umstände dort kritisierte.

So sieht es momentan in der Alsfelder Großsporthalle aus: Bauzäune und schwarze Plastikplanen formen Parzellen, um zumindest ein bisschen Privatsphäre zu bieten.

So sieht es momentan in der Alsfelder Großsporthalle aus: Bauzäune und schwarze Plastikplanen formen Parzellen, um zumindest ein bisschen Privatsphäre zu bieten. Das Foto hat uns eine Bewohnerin des Camps zur Verfügung gestellt.

Und an dieser Stelle ist es angebracht, auch ein wenig Kritik von unserer Seite in Richtung der Politik loszuwerden. Gerne hätten wir noch intensiver über das Thema Flüchtlinge berichtet, indem wir zum Beispiel die freiwilligen Helfer mit einer Reportage gewürdigt hätten. Doch das ging nicht. Schon als die ersten Feldbetten aufgebaut wurden, erklärte das Land Hessen die Sporthallen zum Sperrgebiet für Journalisten. Warum? Was hat man zu verbergen? Unzählige Fernsehberichte oder seriöse, gehaltvolle Reportagen in großen Zeitungen beweisen, dass Reporter mitnichten die Abläufe in einem solchen Camp stören oder gierig die Privatsphäre der Geflüchteten verletzen.

Dass wir Ihnen trotzdem von den Aufbauarbeiten in Alsfeld berichten konnten, war pures Glück. Wir kamen zufällig an der Großsporthalle an, als auch der Landrat und der Bürgermeister für eine Inspektion eintrafen und eine Ausnahme machten. Ansonsten wäre am Eingangstor Schluss gewesen. Sorry, liebe Nachwelt, aber von den durchaus als historisch zu bezeichneten Ereignissen im Sommer 2015 gibt es aus Alsfeld leider keine Innenansichten.

Unterm Strich überwiegen aber die positiven Erinnerungen an dieses Jahr. Mal sehen, was das nächste bringt.

Juri Auel

3 Gedanken zu “In der Hoffnung auf die guten Kräfte 2016

  1. Ich bin in der Regel kein Mensch, der Kommentare verfasst, aber an dieser Stelle möchte ich auch meine Meinung kundtun.
    Eine sehr schöne Zusammenfassung und aus meiner Sicht waren die Reportagen von OL immer weitgehend objektiv wenn es um die Flüchtlinge in der Region ging. Toleranz und Verständnis für die Nöte von Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen (wer macht das schon gerne freiwillig), aber auch Fragezeichen und Unsicherheiten von Menschen, die Fremdes und plötzliche Veränderungen (woher kommen plötzlich Menschen, die arabisch sprechen und einer anderen Kultur angehören)verunsichern sind normal und gehören zu einem Wandlungsprozess. Wie viele Italiener, Spanier, Türken und andere „Ausländer“ kamen zu uns in den 60er und 70er Jahren, die wir riefen und die unseren Wohlstand mitbegründeten. Sie sind heute normale Mitbürger und gern gesehene Nachbarn. Bei dieser momentanen Flut von „neuen Fremden“ wird es sich um einen Zustand von Verteilung handeln. Einige werden hier bleiben wollen und froh sein eine neue Bleibe gefunden zu haben. Aber ich denke die meisten werden in die Ballungszentren weiterziehen, um sich Arbeit und Auskommen zu sichern, die sie hier in unserer Region nicht finden werden. Aus beruflichen Gründen bin ich viel gereist und auch in Länder, aus denen jetzt Menschen kommen, die unsere Hilfe brauchen. Dort wurde ich immer willkommen geheißen und freundlich behandelt und bewirtet. Ich würde mich freuen, wenn auch wir dies können. Nicht jeder Mensch, der aus Syrien, Libanon, Afghanistan und Palästina kommt ist ein Nörder oder Terrorist, sondern ein Mensch, der als solcher behandelt werden muss.
    Ich wünsche allen einen schönen Jahreswechsel und alles Gute in 2016.

    Herzliche Grüße aus dem Schwalmtal

Comments are closed.

Schreibe einen Kommentar

Bitte logge Dich ein, um als registrierter Leser zu kommentieren.

Einloggen Anonym kommentieren