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ENGLAND VON INNEN: Sieben Kuriositäten aus dem britischen AlltagslebenWer Audi mag, der wird England lieben

ALSFELD/ENGLAND. Seit sechs Monaten ist OL-Redakteur Juri Auel in England unterwegs. Fast schon ein echter „local“, stolpert er immer noch über Kuriositäten, die Briten vom gemeinen Oberhessen unterscheiden. Lesen Sie, warum Audi-Fans in England immer ein offenes Ohr finden und Spezi-Trinker lieber zu Hause bleiben sollten. Sieben Alltagsbeobachtungen von der Südküste des Vereinigten Königreiches.

Geben Sie der Stimme in Ihrem Kopf doch mal einen englischen Akzent, wenn Sie die folgenden drei Worte lesen: „Vorsprung – durch – Technik.“ Den Slogan des Autoherstellers Audi kennt hier jeder. Es ist das erste, was viele Engländer heraus stammeln, wenn sie ein Gegenüber aus Deutschland treffen. „Was heißt das denn?“, wollen sie dann wissen.

Schon witzig. Während viele deutsche Unternehmen international klingende Werbebotschaften kreieren lassen, die einer Vergewaltigung der englischen Sprache manchmal ziemlich nahe kommen, wirbt Audi auf der Insel einfach in seiner Muttersprache. Der Trick funktioniert. Deutschland steht eben immer noch für Qualität, gute Autos und pfiffige Ingenieure.

Ein deutscher Slogan transportiert diesen Stereotyp verlustfrei. VW macht das Selbe. Wer einen englischen Volkswagen-Spot sieht, dem strahlt am Ende ein dickes, deutsches, „Das Auto“ ins Gesicht. Und die Macher des Haaraufbau-Shampoos Alpecin werben mit „German engineering for your hair.“ 

Big Brother ist ein Brite. Definitiv.

„Big Brother is watching you!“ Wäre Großbritannien auf der Suche nach einem Werbeslogan, wäre das ein ziemlich passender. Die Briten sind eines der am best überwachtesten Völker der Erde. Klar, auch bei uns gibt es Überwachungskameras. Aber hier sind sie buchstäblich an jeder Ecke. Überall. In Taxis, an Polizisten, an jedem halbwegs öffentlichen Platz warnt ein Schild vor dem „CCTV“, wie die Engländer Überwachungskameras nennen.

Haben einen überall im Blick: Überwachungskameras gibt es in England an jeder Ecke.

Haben einen überall im Blick: Überwachungskameras gibt es in England an jeder Ecke.

Einige Pubs warnen davor, dass die Polizei direkten Zugriff auf ihre Kameras hat. Auf der Autobahn werden die Kennzeichen gescannt, wer die KFZ-Steuer nicht gezahlt oder den Wagen nicht versichert hat, bekommt ein Problem. In Supermärkten stehen Pults mit den Überwachungsmonitoren demonstrativ an den Eingängen. Die Botschaft ist klar: „Die Cams sind nicht nur Deko, wir behalten euch im Auge.“

Anfang des Jahres gab es erneut eine Diskussion, ob das nicht vielleicht doch ein wenig zu viel sei. Kritiker sagen, die Polizei „ertrinke“ in einer Bilderflut, die zudem keinen wirklich großen Einfluss auf die Aufklärungsquote für Verbrechen habe. Einige Bezirke kürzten die Budgets für die Kameraüberwachung.

Spezi ist in den Pubs unbekannt

Wer sich nach einer Wanderung entlang der steilen Rosamunde-Pilcher-Küsten Cornwalls mit einem spritzigen Spezi erfrischen will, der muss jetzt stark sein. Der Geschmack von Cola küsst Orange ist auf der Insel unbekannt. Auf den Getränkekarten der Pubs sucht man das Gesöff vergeblich.

Wer in einem Pub Spezi trinken möchte, muss es sich schon selber basteln: Das Getränk ist in England unbekannt.

Wer in einem Pub Spezi trinken möchte, muss es sich schon selber basteln: Das Getränk ist in England unbekannt.

Wer nachfragt und seinen Wunsch erklärt, blickt in verwirrte bis teilweise angewiderte Gesichter. „Cola mit Fanta? Um Gottes Willen, das geht ja gar nicht!“ Das Gleiche gilt übrigens für Cola mit Bier. Ein süffiges Diesel schlürfen – für viele Briten undenkbar. Wer ein „Shandy“ bestellt, bekommt allerdings ein Radler serviert. Das lässt man dann doch noch durchgehen.

Freilauf für Einkaufswagen

Okay, es ist vielleicht tatsächlich ein wenig spießig-deutsch, das hier jetzt aufzuschreiben. Aber es verwirrt nun mal. Mich zumindest. Britischen Einkaufswagen fehlt das Münz-Nupsi. Na Sie wissen schon. Dieses Ding, in dem man manchmal vergeblich versucht, seinen Euro oder den Einkaufswagenchip (auch so ein herrlich, verkorkst langes Wort aus englischer Sicht übrigens) hineinzustecken. Das hat zur Folge, dass die Parkplätze vor einem britischen Supermarkt aussehen, als hätten die Einkaufswagen Freilauf.

Stören das deutsche Ordnungsgefühl: Einkaufswagen auf einem englischen Supermarkt-Parkplatz.

Stören das deutsche Ordnungsgefühl: Einkaufswagen auf einem englischen Supermarkt-Parkplatz.

Die Leute lassen sie überall stehen. Der Trieb, den doofen Chip wiederbekommen zu wollen, fehlt. Dafür sind die Wagen mit einer Art elektronischen Fußfessel ausgestattet: Versucht man, das Einkaufsgefährt zu mopsen und überquert dabei die Grenze des Parkplatzes, blockiert eines der Räder. Das war’s dann.

Was allerdings gefällt, sind die Selbstscan-Kassen. Sowas kannte ich bislang nur von IKEA. Hier hat jedes Winzkiosk so ein Terminal. Cola übern Scanner ziehen, piep, Kreditkarte durchziehen, Kassenbon abreißen, fertig. Geht echt schnell – und macht an manchen Tagen sogar Spaß.

Die Kirche als Anwaltsbüro

England ist das Land von vielem. Genau so, wie es das Land der Höflichkeit, des Fußballs und des Biers ohne Schaum ist, ist es das Land der Kirchen. In jeder Stadt gibt es mehrere – hunderte von Jahre alte und etwas modernere, in denen die Leute Gottesdienst in einem Backsteinhaus feiern. Konfessionen wie Methodisten und Baptisten sind öfter vertreten als bei uns. Die meisten Kirchen gehören allerdings der anglikanischen Church of England, der englischen Staatskirche.

England, das Land der Kirchen. Überall finden sich auf der Insel prächtige Gotteshäuser wie dies hier: York Minster, das Wahrzeichen der Stadt, die in Amerika unter dem Namen New York neu gegründet wurde.

England, das Land der Kirchen. Überall finden sich auf der Insel prächtige Gotteshäuser wie dies hier: York Minster, das Wahrzeichen der Stadt, die in Amerika unter dem Namen New York neu gegründet wurde.

Manch größere Kirchen und Klosteranlagen sind aufwendig restauriert, es gibt Souvenirshops, Toiletten und ganze Restaurants in den heiligen Mauern. Viele andere, kleinere Kirchen stehen leer. Die Menschen gehen eben auch in England nicht mehr so oft zum Gottesdienst.

Manchmal werden sie umfunktioniert. In der Kleinstadt Newton Abbot gibt es mindestens zwei Kirchen, die zweckentfremdet wurden. In der St. Joseph’s Church hat eine Anwaltsfirma ihre Kanzlei eingerichtet, die St. Leonard’s Kirche war mal ein Gebrauchtmöbelladen. Jetzt steht sie zum Verkauf.

Vor Gericht keine Fotos, aber viele Fußfesseln

Ich hätte Ihnen hier gern ein Foto aus einem englischen Gerichtssaal gezeigt. Doch das darf ich nicht. Anders als bei uns, herrscht hier im gesamten Gerichtsgebäude striktes Fotografierverbot. Also auch kurz vor der Verhandlung, wie in Deutschland eigentlich üblich, darf nicht geknipst werden. Ich wollte im Wartebereich des Gerichts in Torquay lediglich ein Schaubild abfotografieren, welches den Aufbau des Saals erklärte. Prompt stand ein Wachmann neben mir. „Löschen, bitte“, lautete seine Anweisung.

Das Amtsgericht heißt hier Magistrates‘ Court. Kleinere Delikte oder Zivilsachen werden dort verhandelt. In kleineren Städten wie Torquay sitzen unbezahlte Laien, die so genannten magistrates, auf der Richterbank. Meistens sind es Würdenträger der Stadt. Ihnen steht ein Jurist als Berater zur Seite. Auf dieser unteren Gerichtsebene geht es vergleichsweise schlicht zu. Lediglich der Gerichtsdiener trägt eine Robe, Staatsanwalt, Verteidiger und Richter tragen Anzug. Beim Crown Court, dem britischen Strafgerichtshof, ist das anders. Hier tragen die Juristen Robe und Perücke.

Fotoverbot: Oftmals dürfen Gerichte in England nur von außen fotografiert werden. Das Bild zeigt den Gerichtskomplex Royal Courts of Justice in London.

Fotoverbot: Oftmals dürfen Gerichte in England nur von außen fotografiert werden. Das Bild zeigt den Gerichtskomplex Royal Courts of Justice in London.

Aus Laiensicht sieht es so aus, als werde in England noch ein wenig mehr nach dem biblischen Auge um Auge, Zahn um Zahn-Prinzip Recht gesprochen. Soll heißen: Die Strafen fallen hier manchmal etwas unorthodoxer aus. In Torquay musste zum Beispiel ein Mann seinen Führerschein abgeben. Er hatte mit seinem Auto eine Frau bedrängt. Ein Jahr Fahrverbot, ab sofort, entschied der Richter.

Außerdem bekam er noch am selben Abend Besuch von einer Firma, die ihm eine Fußfessel verpasste. Ein Jahr lang muss er nun von sechs Uhr Abends bis sechs Uhr Morgens zuhause sein. Das gleiche Überwachungsgerät bekam ein Herr angelegt, der wiederholt betrunken Auto gefahren war. Geldstrafen kamen bei beiden noch hinzu.

Fahren auf der falschen richtigen Seite

Irgendwann habe ich aufgehört zu zählen, wie oft ich als Beifahrer vor der falschen Autotür stand. Die Mehrheit der Welt fährt rechts, aber in immerhin 59 von 221 Staaten geht es anders herum. Die meisten Linksnationen zählten früher mal zum Einflussgebiet der Queen. Indien zum Beispiel.

Es ist also schon etwas britisch besonderes. Und die Briten wären nicht die Briten, wenn sie nicht auch auf diese Extrawurst stolz wären. „Nicht wir fahren auf der falschen Seite, ihr fahrt auf der falschen“, bekommt man dann zu hören. Das Gezanke, welche Seite die richtige ist, hat historische Gründe. Die Römer, Pferde und Napoleon haben irgendwas damit zu tun, glaube ich. Die Kollegen von der Süddeutschen haben das mal schön streberhaft aufgeschrieben. 

Auf der FALSCHEN Seite zu fahren, liebe Briten, ist für einen Kontinentaleuropäer tatsächlich Adrenalin in Reinform. Das fängt schon beim Busfahren an. Mindestens ein Mal habe ich am Anfang auf der verkehrten Seite der Straße gewartet. Zack, Bus verpasst. Danke, Linksverkehr, für gar nichts.

Schön konzentrieren: Mein erstes Mal im britischen Straßenverkehr.

Schön konzentrieren: Mein erstes Mal im britischen Straßenverkehr.

Selbst als Beifahrer macht es einfach Kopfaua, wenn der Fahrer auf der Autobahn plötzlich rechts an einem LKW vorbeizieht. Ich habe mich, zugegeben erst kürzlich, selbst ins linke Abenteuer gestürzt. Das Schalten mit Links ging einfacher als gedacht. Wenigstens etwas.

Viele Sträßchen auf dem englischen Land sind so eng, dass man gar nichts falsch machen kann. Es gibt nur eine Fahrbahn. Und links und rechts ist man von einer gewaltigen grünen Hecke umgeben. Ausweichen is nich. Als die Straße schließlich zweispurig war, bin ich natürlich die ersten Meter prompt auf der „falschen richtigen“ Seite, also rechts, gefahren. Die Macht der Gewohnheit ist eben ein echtes Biest.

Eine Kollegin fuhr zufällig hinter mir. Bei unserer Ankunft bei meiner Zeitung stieg ich aus und sagte stolz „Na, war doch gar nicht so schlecht.“ Sie schüttelte nur den Kopf. „Wir fahren hier auf der LINKEN Seite“, sagte sie mit mahnender Stimme. Da war die Gewohnheit anscheinend doch stärker, als ich selbst gemerkt hatte.

mehr über den Autor 

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+Die Briten wissen, was Party hard bedeutet 

+ Wenn der Bürgermeister auf die Waage muss: Englische Kommunalpolitik 

+„You guys have a stunning, strong community“ – Kommentar zum britischen Zusammenhalt  – auf Englisch 

+Wer schubst, bekommt ganz schnell Pubverbot  – über England und seine Fußball-Hooligans

+“Danke, Deutschland, für euer Engagement“ – Eine Pro-Asyl-Demo in Torquay 

Ein Gedanke zu “Wer Audi mag, der wird England lieben

  1. „Vorsprung durch Software“ ist im Englisch-sprachigen Raum jetzt sicherlich leichter zu erklären :-/

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