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ENGLAND VON INNEN: Zu Gast bei einer britischen Pro-Asyl-Demo in Torquay„Danke, Deutschland, für euer Engagement!“

ALSFELD/ENGLAND. Eines haben England und Deutschland dieser Tage gemeinsam: Die Flüchtlingskrise ist das beherrschende Thema in den Medien und den Köpfen der Leute. Unser Redakteur Juri Auel ist gerade auf der Insel unterwegs. In Torquay traf er Demonstranten, die mehr Menschen in ihrem Land Schutz gewähren wollen und dabei anerkennend über den Kanal nach good old Germany blicken. 

Es ist die Wut, die Clare Burgess hierher gebracht hat. Wut, gemischt mit Scham über eine Asylpolitik, derer Großbritannien ihrer Ansicht nach nicht würdig ist. Deswegen steht sie mit gut 40 anderen auf dem Vorplatz des Bahnhofs von Torquay, einer Urlaubsstadt in Südengland. Sie wollen ein Zeichen setzen. Ein Zeichen für mehr Menschlichkeit. Von Deutschland sprechen an diesem Tag alle mit höchstem Respekt und Anerkennung.

„Wie kann es sein, dass eines der reichsten Länder der Welt so wenig Flüchtlinge aufnimmt?“, fragt sich die 28-Jährige Arbeitslose und macht dabei eine ratlose Handbewegung. Hilfsbereitschaft sei doch mal eine wichtige Tugend, ein Markenzeichen ihres Landes gewesen. „Es ist das, was uns zu Briten macht. Nein, eigentlich ist es sogar das, was uns erst zu Menschen macht“, sagt Clare Burgess.

"Britannien war mal hilfsbereit", sagte Clare Burgess, hier zusammen mit Stephen Morley, auf der Demo.

„Britannien war mal hilfsbereit“, sagte Clare Burgess, hier zusammen mit Stephen Morley, auf der Demo.

Das Foto eines toten Flüchtlingsjungen an einem türkischen Strand ging vergangene Woche um die Welt und hat auch Großbritannien tief bewegt. David Cameron hat daraufhin verkündet, 15.000 syrische Flüchtlinge aufnehmen zu wollen. Caroline Lucas, die ehemalige Vorsitzende der Grünen in England und Wales, erwähnte das Bild in einem Gastbeitrag im britischen Guardian. In ihrem Artikel ruft sie zu Protesten für eine bessere Asylpolitik auf und wirbt für eine Willkommenskultur.

Organisator des Demo: Grünen-Politiker Sam Moss.

Organisator des Demo: Grünen-Politiker Sam Moss.

Sam Moss folgte ihrem Aufruf, indem er recht spontan die kleine Kundgebung am Bahnhof organisierte. Er ist der Vorsitzende der Grünen vor Ort und möchte gern mehr Flüchtlinge in seinen Bezirk holen. „Torquay ist eine Urlaubsstadt“, sagt er. „Im Sommer leben hier 70.000 Menschen mehr als im Winter.“ Wenn man Hotels, Pensionen und leerstehende Wohnungen zusammenrechne sei also viel Platz für die kommenden Monate vorhanden, sagt Moss. Eine Online-Petition soll den Druck auf die Bezirksregierung erhöhen, mehr für Asylsuchende zu tun.

„Wir sollten eine fairen Anteil tragen“

Wie viele Flüchtlinge schon in seinem Bezirk leben, hat Moss gerade nicht parat. Dafür aber eine andere Zahl: 40.000. So viele Flüchtlinge wolle die EU umverteilen. Laut dem drei Monate alten Quoten-Plan soll Großbritannien bei der Umverteilung außen vor bleiben. „Wir denken, wir sollten einen fairen Anteil tragen“, sagt er. Letztes Jahr gewährte Großbritannien etwas mehr als 12.000 Menschen Schutz.

Klare Botschaft auf dem Schild: Ein Demonstrant in Torquay.

Klare Botschaft auf dem Schild: Ein Demonstrant in Torquay.

„Danke für das, was ihr tut, Deutschland!“, sagt Vince Thomas mehre Male an diesem Tag. Und er ist nicht der einzige, der das tut. Nicht immer ist man in Großbritannien glücklich über das, was Merkel und ihre Landsleute tun und sagen. Von Vormundschaft und der Gier nach Macht ist dann die Rede. Doch die Hilfsbereitschaft der Deutschen in den vergangenen Tagen und die schiere Zahl der Menschen, denen sie Asyl gewähren, hat viele Briten beeindruckt. Die positiven Meldungen verdrängen die Nachrichten von brennenden Flüchtlingsheimen. „Ihr leistet so viel mehr als wir“, sagt Vince Thomas. „Danke, und Grüße nach Deutschland!“

Das Königreich sei eine Insel, der Platz begrenzt. Dieses Argument hört man von Asyl-Kritikern in England ziemlich häufig. Als ob andere Länder grenzenlos wären „Nur weil etwas Wasser zwischen uns ist, können wir doch nicht so tun, als seien wir kein Teil Europas“, sagt Annika Palmer, die für ein Kinderhilfswerk arbeitet.

Der fehlende Gemeinsinn, darüber klagt auch Steve Pocock. Der Egoismus verneble den Leuten die Sinne. „Wir müssen das Denken der Menschen verändern“, sagt er. Wer über Flüchtlinge schimpft, hat seiner Meinung nach das Problem nicht verstanden. „Es ist unsere Schuld. Wir haben es in diesen Ländern nicht geschafft, Krieg in Frieden zu verwandeln.“

"Großbritannien ist ein Teil Europas und muss Verantwortung übernehmen", meint Annika Palmer.

„Großbritannien ist ein Teil Europas und muss Verantwortung übernehmen“, meint Annika Palmer.

Flüchtlinge, egal ob aus Osteuropa oder den Kriegsgebieten des Nahen Ostens bräuchten jetzt vor allem eines: Sicherheit. „Über Quoten kann man sich später unterhalten“, meint Steve Pocock. Der Meinung ist auch Theodore Logan. Als beim Gruppenfoto alle gemeinsam „Refugees Welcome“ (Flüchtlinge Willkommen) rufen, ruft der Elfjährige mit der Sonnenbrille cool und bestimmt hinterher. „Und ich meine damit alle Flüchtlinge, nicht nur die aus Syrien.“

Klare Meinung, schon in jungen Jahren: der 11-jährige Theodore Logan (rechts) mit einem "Refugees welcome"-Schild.

Klare Meinung, schon in jungen Jahren: der 11-jährige Theodore Logan (rechts) mit einem „Refugees welcome“-Schild.

 

 

Von Juri Auel – mehr über den Autor

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Anmerkung: In einer früheren Version des Textes hieß es, der EU-Plan sehe vor, dass Großbritannien allein 40.000 Flüchtlinge aufnehmen soll. Das ist allerdings die Zahl der Menschen, die in der ganzen EU umverteilt werden sollen. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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