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Jährliche Bilanz der Ernte fällt unterschiedlich aus – Vorstellung eines modernen HofsErnte 2015: durchschnittlich gut oder schlecht

BLEIDENROD/VOGELSBERGKREIS (aep). Irgendwie scheinen bei der Ernte 2015 im Vogelsbergkreis die Meinungen auseinander zu gehen. Da wird wegen der Trockenheit mal Ertragsausfall beklagt, dann wieder die leichte Erntearbeit als positiv hervorgehoben und die Qualität als überraschend gut bezeichnet – so auch bei jährlichen Erntegespräch, zu dem der Kreisbauernverband am Freitag nach Homberg-Bleidenrod lud. Das liegt vielleicht daran, so meint Kreislandwirt Andreas Kornmann, dass es eine ziemlich durchschnittliche Ernte war – aber mit Problemen für bestimmte Landwirte.

Auf den Hof der Familie Lein in Bleidenrod hatte der Kreisbauernverband für die jährliche Erntebilanz geladen und dabei auch hohen Besuch vom Hessischen Bauernverband mit gebracht: den Vizepräsidenten Karsten Schmal, der für ganz Hessen spürbare Ertragseinbußen infolge Wassermangel im Frühjahr konstatierte, nachdem der Kreisbauernverbandesvorsitzende Kurt Wiegel die Teilnehmer begrüßt hatte. Der Ort des Rückblicks bot zugleich Gelegenheit, einen modernen landwirtschaftlichen Betrieb vorzustellen, der mit rund 250 Kühen durchaus in die Klasse der Massentierhalter fallen könnte – dessen Tiere aber ein ganz anderes Bild bieten, als Tierschützer kritisieren.

 

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Rückblick auf die Ernte: Karl-Peter Mütze, der Kreisbauernverbandsvorsitzende Kurt Wiegel und Karsten Schmal, Vizepräsident des Hessischen Bauernverbandes.

Keine feuchte Dunkelheit, engen Boxen und Spaltenböden: Die Kühe können sich in Gruppen bewegen, auf Stroh ablegen oder fressen, wie sie möchten. Die halboffenen Ställe von der Größe eines Flugzeughangars bieten Licht und Luft – und darauf legt der Landwirt Volker Lein Wert, der den Betrieb zusammen mit Ehefrau Andrea und den Söhnen Nicholas sowie Christoph bewirtschaftet. Die Größe müsse sein, erläuterte er, um bei sinkenden Preisen über die Mengen noch die Familien ernähren zu können. Aber: „Ich habe ein gutes Gewissen dabei!“

Schmal: Dürre und Einbußen bis zu 30 Prozent

Ein viel zu trockenes Jahr und Ertragseinbußen von bis zu 30 Prozent je nach Standort: Dieses negative Bild der Ernte 2015 hessenweit zeichnete der Vizepräsident Karsten Schmal in seinem Rückblick. Wie auch der Vogelsberger Kreislandwirt Andreas Kornmann gegenüber Oberhessen-live bereits erklärt hatte, habe es durch die Trockenheit eine Spreizung der Erträge gegeben – vor allem bei der Winter-Gerste: Je nach Bodenqualität holten die Bauern von weniger als drei bis über neun Tonnen Gerste pro Hektar vom Feld. Bei der wichtigsten Getreideart, dem Winterweizen, seien die Erträge hingegen in Durchschnitt sechs Prozent unter dem Vorjahresergebnis geblieben. Auch Sommergerste, Triticale und Hafer lägen unter dem Durchschnitt, während der Roggen leicht überdurchschnittlich abgeschnitten habe. Von deutlicher Ertragseinbuße sei auch der Winterraps betroffen: Da gab es hessenweit ein Minus von 15 Prozent.

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„Kein schlechtes Gewissen dabei“: Volker Lein (l.) erzählt von der Tierhaltung auf dem Hof, und neugierige Kühe vernahmen’s – möglicherweise.

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Geschäftsführer Möser: „immer noch eine gute Ernte“

Auch die Raiffeisen-Warendienst-Genossenschaft Alsfeld-Kirchhain registrierte einen Rückgang des Ertrags durch weniger Anlieferungen, stellte der Geschäftsführer Dr. Jörg Möser fest – wobei zugleich die Qualität besser gewesen sei als erwartet. Im längerfristigen Vergleich sei es „immer noch eine gute Ernte“ geworden.

Die größten Sorgen aber hätten die Rinderhalter, zeigten sich alle Fachleute einig. Deren Grundfutter-Erzeugung habe unter der Trockenheit stark gelitten: Auf den Wiesen ist viel zu wenig Gras gewachsen. Die ersten beiden Schnitte fielen 30 bis 50 Prozent schwächer aus als im Vorjahr, und „seitdem ist fast nichts mehr nachgewachsen.“ Manche Rinderhalter wüssten nicht, wie sie ihr Vieh über den Winter bringen, weshalb der hessische Bauernverband jetzt eine Grundfutterbörse eingerichtet habe. Und man habe sich bei Landes- wie Bundesregierung dafür eingesetzt, dass wegen derf Ausfälle auch ökologische Vorrangflächen für Futterzwecke verwendet werden dürfen. Seit Mitte Juli gebe es grünes Licht dafür. „Schade, dass diese Entscheidung nicht früher getroffen wurde.“

Fallende Milchpreise bedeuten Einkommensausfälle

Am meisten Probleme hätten die Landwirte einmal mehr durch fallende Erzeugerpreise – insbesondere sinkende Milchpreise, erklärte der Vizepräsident. Der Preis für den Liter Milch sei noch einmal um 30 Prozent gesunken – eine Folge auch des Russland-Embargos und der Wirtschaftskrise in China – und die Folgen davon beleuchtete Karl-Peter Mütze, Leiter der Abteilung „Landwirtschaft, Forsten, Naturschutz“ (LFN), in der Kreisverwaltung anhand nachvollziehbarer Zahlen-Beispiele. Fällt der Milchpreis um einen Cent, so rechnete er vor, dann sei das für die 320 Milcherzeuger im Vogelsbergkreis ein Einkommensausfall von knapp über einer Million Euro. Der Preis sei aber sogar um drei Cent von 30 auf 27 Cent gefallen: „Überlegen Sie mal, welche Kaufkraft verloren gegangen ist!“

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Besuch bei den Kälbern: Nicholas Lein führt die Haltung des Nachwuchses vor.

Diese Entwicklung gibt es schon lange, und der damit einhergehende Strukturwandel veränderte die Vogelsberger Landschaft. So sank die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe seit 1986 von 6800 auf heute wenig mehr als 1500. Und dabei hätten die 200 größten Höfe im Kreis rund die Hälfte der 76.000 Hektar landwirtschaftlicher Flächen in Betrieb. Das seien Höfe von der Größe der Familie Lein, die rund 340 Hektar Land bewirtschaftet – zur Hälfte Grünland.

Deren Stallungen am Rande von Bleidenrod sehen gepflegt aus – und noch nicht alt. In der Tat, so stellte Volker Lein bei der Vorstellung fest, habe man stetig in den Betrieb investiert – und auch in das Wohl der Tiere. Nebenher spiele die Einspeisevergütung durch eine größere Photovolktaikanlage auf dem Scheunendach eine zunehmend wichtige Rolle beim Einkommen der Familie. Aber die aktuelle Entwicklung bei den Milchpreisen hinterlasse auch bei ihnen Eindruck: „Das macht uns Sorgen, und wir sehen da noch kein Ende!“ Und deshalb habe man jetzt erst einmal weitere Investitionen eingestellt – und die Zahl der Rinder auch um zehn Tiere verringert.

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