Gesellschaft1

Notarzt Falk Stirkat gibt ein Buch über seinen Alltag heraus – Skurril, bedrückendDas tägliche Armdrücken mit dem Tod

VOGELSBERGKREIS (ol). Wenn ein Notarzt aus dem Nähkästchen plaudert: Wahnwitziges und Nachdenkliches präsentiert Falk Stirkat jetzt in einem Buch, in dem er Geschichten aus seinem beruflichen Alltag erzählt – und dazu den vielsagenden Titel wählte: „Ich kam, sah und intubierte“ Es sind seine Lebenserfahrungen im Rettungsdienst, Geschichten von realen Einsätzen –  so verfremdet, dass niemand sich direkt angesprochen fühlen muss.

 Was er erzählt ist auch so eindrücklich genug: „Wir spielen jeden Tag Armdrücken mit dem Tod, und manchmal gewinnen wir!“ So resümiert der seit eineinhalb Jahren im Vogelsbergkreis tätige Notarzt sein Erlebtes. Auf weit über 200 Seiten gibt der 30-jährige Stirkat unterhaltsame, aber auch erschreckende Einblicke in den Alltag des Rettungsdienstes. Vom Herzinfarkt auf einer frivolen Party im Schloss einer Kleinstadt bis zum gescheiterten Selbstmordversuch eines Psychologen reichen die Schilderungen. „Es ist ein Versuch, auf unterhaltsame Weise die Ernsthaftigkeit der Einsätze zu zeigen“, so der Notarzt.

Nervenkitzel: der Betrunkene und das SEK

Während mancher Einsatz im Nachgang fast lustig erscheint, so war er im Moment des Erlebten purer Nervenkitzel. Zum Beispiel berichtet Stirkat von einem aufbrausenden Alkoholiker, der im Beisein seiner Freundin einen Selbstmord per Gewehr ankündigte. Die offensichtliche Schnellreaktion des Mannes führte zu einem SEK-Einsatz, der in einer Badewanne mit Quietsche-Ente endete. „Er wusste überhaupt nicht mehr, was er eigentlich gesagt hat und wurde von den Einsatzkräften beim Baden völlig überrascht“.

Falk Stirkat stieg früh ein in diesen Beruf: Nach einem Studium an der Karls-Universität ist er seit dem Jahr 2010 im Job und fungierte schon als jettender Notarzt auf internationalem Terrain, unter anderem im syrisch-türkischen Grenzgebiet, in Namibia oder den USA. Seit mehr als einem Jahr ist er nun auch im Vogelsbergkreis tätig.

Wie viel Rettung kann ein Mensch ertragen?

Eine Zeit, die in seinem Buch mehrfach Berücksichtigung fand. „Die besten Geschichten sind die, die wir erleben“, so Stirkat. Es sei zwar ein Spannungsfeld, doch die öffentliche Wahrnehmung sei nötig. So prangert er auch Beobachtungen zur Schieflage der Gesellschaft an, sei es im Umgang mit der Jugend oder der älteren Generation: „Menschen fallen aus dem Raster“. Kinder würden vernachlässigt, ältere Menschen abgeschoben oder ganze Familien in der Pflege an ihre Grenzen gebracht. „Wir wollen alle alt werden, aber nicht älter werden“, so seine Feststellung.

Zum Thema „Lebensende“ stellt Stirkat die Frage, wie viel Rettung ein Patient ertragen kann. „Wir sind dem Patienten verpflichtet“, unterstreicht er zum Umfang von lebenserhaltenden Maßnahmen. Nicht immer sei es ein Segen, den Zeitpunkt des Todes endlich lange hinauszuzögern.

Ungewollte Einblicke in die Niederungen

Der Rettungsdienst wird aus Sicht des Notarztes mit Themen wie Sterbehilfe, vergreisender Gesellschaft oder Vereinsamung in seiner Reinform konfrontiert: „Niemand weiß vorher, dass er im Laufe des Tages noch die 112 wählen wird. Deshalb bleibt oft wenig Zeit, Unangenehmes unter den Teppich zu kehren“. Schier unglaublich scheinen manche gruselig-krassen Erlebnisse des Mediziners, beispielsweise von Kindern, die mit Medikamenten ruhig gestellt werden.

Ein ganzes Kapitel widmet der Notarzt den Einsätzen, die persönlich werden können. „Jeder geht anders mit Stress und Druck um“, so Stirkat. Im Einsatz funktioniere man einfach. Der Umstand, dass man als Arzt gerade für das Leben eines Menschen zuständig sei, trete in den Hintergrund. Anders würde es auch gar nicht gehen. „Oft realisiere ich erst im Nachhinein, dass es Spitz auf Knopf stand. Ich glaube, es wäre der Sache auch gar nicht besonders dienlich, wenn der Notarzt in einem lebensrettenden Einsatz plötzlich kalte Füße bekommt“, so Stirkat.

„Irgendetwas stimmt nicht im System“

Manchmal werde der Rettungsdienst gar nicht primär gerufen, um medizinische Hilfe zu leisten. So berichtet er von einer jungen Mutter, die mit der Pflege ihrer eigenen hochgradig pflegebedürftigen Mutter einfach nicht mehr zurecht kam und sich durch einen Krankenhausaufenthalt ein paar Tage Ruhe erhoffte. „Anhand solcher Fälle merkt man schon, dass irgendetwas im System nicht stimmt“, so Stirkat.

Aus seiner Sicht werden gesellschaftliche Missstände zwar öffentlich diskutiert, aber selten auch tatsächlich angegangen. „Viele Personen in unserer Gesellschaft erhalten viel zu wenig Anerkennung für ihre Leistungen“, so seine Meinung zum Job von Krankenschwestern oder -pflegern. Im Hinblick auf die Klage des Fachärztemangels in ländlichen Regionen weiß Stirkat keine direkte Antwort: „Wenn ich das wüsste, dann würde ich vermutlich nicht im Rettungsdienst, sondern im Bundestag arbeiten“.

Aus seiner Sicht müsste jedoch den Hausärzten, die ihre Patienten oft über viele Jahre betreuen, viel mehr Zeit für ihre gesellschaftlich enorm wichtige Aufgabe eingeräumt werden. Der Beruf als Arzt auf dem Land ist aus seiner Sicht prinzipiell nicht unattraktiv, allerdings seien die Arbeitsbedingungen problematisch: „Die junge Mediziner-Generation möchte sich häufig nicht vorschreiben lassen, einen Patienten innerhalb von Minuten abfertigen zu müssen“.

Ein Gedanke zu “Das tägliche Armdrücken mit dem Tod

  1. Habe das Buch schon fast bis zur Hälfte gelesen.
    Sehr gut geschrieben.
    Hans Zimmer

Comments are closed.

Schreibe einen Kommentar

Bitte logge Dich ein, um als registrierter Leser zu kommentieren.

Einloggen Anonym kommentieren