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Nächtliche Jagd auf die Perseiden: viele Sterne, Flugzeuge und Gedanken, wenig BeuteDer einzige Wunsch: eine Sternschnuppe!

ALTENBURG. Wenn an der Legende von den Wunsch erfüllenden Sternschnuppen etwas dran wäre, dann stünde mir jetzt viel Glück bevor. Weil: Ich bin heute Nacht erst spät ins Bett gekommen – der Perseiden wegen. Das von so vielen Medien angekündigte „Spektakel“ wollte ich mir nicht entgehen lassen, es sogar auf ein Foto bannen. Indes: Es wurde eine eher ruhige Nacht mit geringer Ausbeute, dafür viel Zeit zum Nachdenken im Dunkeln.

Sternschnuppen – oder eben Perseiden, wie die Trümmerstücke der letzten Nacht genannt werden – zu sehen, war in der Tat nicht schwer. Einfach den Kopf in den Nacken, bis der schmerzt, dann zeigte sich schon ein kurzes Aufleuchten inmitten des Sternengewimmels. Romantisch veranlagte Naturen mögen darauf die Augen schließen und sich etwas wünschen. Das hätte ich heute Nacht mehr als ein Dutzend Male tun können, aber ich hatte nur einen Wunsch: dass eines von den verdammten Biestern einmal in der Himmelsregion direkt vor mir aufleuchtet! Da wo meine Kamera die Lichtspuren gerade einsammelt. Dieses Vorhaben erwies sich als weit schwieriger als gedacht, aber vielleicht lag das auch an meinen Zusatzwünschen.

In einer Viertelstunde zum hübschen Himmelsbild

Im Grund ist es nämlich nicht schwer, vom Sternenhimmel ein ansehnliches Foto zu machen. Den Verschluss der Kamera bei 200 bis 400 ASA in rabenschwarzer Nacht eine Viertelstunde mit zum Himmel gerichtetem Weitwinkel-Objektiv öffnen und alles Licht einsammeln, das kommt – fertig ist die All-Impression gleich mit Dreheffekt. Eigentlich müsste da auch jede Sternschnuppe mit drauf sein, die gerade in der Erdatmosphäre ihr Leben aushaucht. Aber so ein Bild wollte ich gar nicht. Meines sollte auch Bezug zum Erdboden, am besten zur menschlichen Besiedlung haben. Das macht es spannender, anfassbarer dachte ich mir – und außerdem lässt sich das bequem von der Terrasse aus machen: mit Blick auf nachbarliche Dächer.

Vor Jahren hatte ich Ähnliches mal versucht und mir dabei das Getürms bei Billertshausen als Referenzobjekt am Boden ausgesucht. Das Vorhaben bescherte mir etwas gruselige Stunden, denn am Getürms – der einsamen Kirche zwischen Angenrod und Billertshausen – gibt es um Mitternacht tatsächlich nichts als Schwärze. Und auch als erwachsener Kerl hört man plötzlich Flöhe husten, fallen einem die Rinder nebenan ein – „Sind die eingezäunt?“ – und Geschichten von wiederkehrenden Wölfen. „Jagen die nachts?“ Das mit Angst erarbeitete Bild hatte tatsächlich etwas: ein sich um den Kirchturm drehendes Firmament. Aber kein einziges Sternschnüppchen.

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Welch ein prachtvoller Nachthimmel über dem Hoherodskopf: Der Turm leuchtet unter der Milchstraße. Im Hintergrund sind die Lichter von Frankfurt erkennbar. Dieses Foto gelang Carol Rose (www.carol-rose.com) aus Herbstein. Einzig: Auch sie fing keine Sternschnuppe ein.

110 Grad nächtlicher Himmel gehören mir

Also baue ich diesmal auf der Terrasse auf: die Kamera mit dem feststellbaren Fernauslöser aufs Stativ. Der Verschluss per „Bulb“-Einstellung beliebig zu öffnen. 400 ASA, Blende 5.6, als Objektiv 18 Millimeter-Superweitwinkel dran. Das erfasst in der Breite etwa 110 Grad und sollte – im 60 Grad-Winkel nach oben gerichtet – genügend Himmel erfassen, um etwas vom dem versprochenen Feuerwerk einzufangen. Die Belichtung ist allerdings etwas kniffliger. Denn wenn von Straßenlaternen beleuchtete Dächer mit drauf sind, begrenzen sie die Belichtungszeit ebenso wie der zunehmend aufleuchtende Dunst über Alsfeld. Ich habe Zeit, dachte ich mir, probiere ich es aus. Drei Minuten bei Blende 5:6 und 400 ASA, zwei Minuten bei 800 ASA, eine Minute bei 800 ASA und Blende 4 – heraus kommt immer derselbe Himmel: rote Dächer, viele Sterne. Keine Perseiden.

Darüber vergeht Zeit im Klappstuhl auf der nachtdunklen Terrasse. Einzige Aufgabe: die Stoppuhr im Blick behalten, um bei der Belichtungszeit nicht die Orientierung zu verlieren. Wenig Reize von außen – außer lärmendem Autoverkehr auf der Durchfahrtfahrtstraße und einer lautlos vorbei schleichenden Katze  – das eröffnet den Blick nach innen. Alte Zeitungsgeschichten tauchen auf. Der Komet Swift-Tuttle soll verantwortlich sein für den Perseiden-Schwarm. Da war doch mal was mit einem „Super-Kometen“… richtig: Hale-Bopp hieß der, war 1997 als leuchtender Schweif am Firmament zu sehen und bescherte mir eine kalte März-Nacht im hohen Vogelsberg.

Der Zauber, als Hale-Bopp den Himmel erleuchtete

Die verbrachte ich mit dem Amateur-Astronomen Walter Kutschera auf dessen Sternwarte in Stumpertenrod (unter anderem aus seinem Engagement ging später die Feldataler Sternwarte hervor). Sein 54 Zentimeter-Teleskop hatte er dort aufgebaut, wobei das Maß den Durchmesser beschreibt! Mit dem Koloss zeigte er mir Welten, die nur wenige Menschen direkt zu sehen bekommen: sich auffressende Galaxien, grün und blau funkelnde Stern-Diamanten, Saturn-Ringe zum Anfassen. Nur den Hale-Bopp bekamen wir nicht richtig zu sehen: zu dicht über dem dunstigen Horizont. „Der Mann, der nachts den Hale-Bopp reitet“, betitelte ich seinerzeit die Geschichte dazu. Da hat mich offensichtlich der Übermut geritten. Wie ich jetzt so einsam auf der Terrasse meine Perseiden jagende Kamera bewache, muss ich darüber heute noch schmunzeln. Wer Hale-Bopp noch einmal sehen möchte, braucht übrigens etwas Geduld: Der Komet wird erst für das Jahr 4419 wieder in Sonnennähe erwartet.

Ein Witz fällt ein und lässt ebenfalls schmunzeln, der von dem Unternehmer in sternenklarer Nacht. Wie er so gen Himmel schaut und über die Vielzahl Sterne staunt, denkt er sich, dass Menschen doch ganz schön unscheinbar sind. Und wie es sein sein, wenn wir doch so klein sind im riesigen All – dass er so horrende Löhne an seine Angestellten zahlen muss. Nächtliches Terrassen-Grinsen!

Der Blick schweift zum Hundertsten Mal über meinen All-Abschnitt. Es ist eigentlich erstaunlich, wie viel Flugverkehr sich in der Nacht über unseren Köpfen tummelt. Wer Sternschnuppen erwartet, bekommt erst einmal von allen Seiten rote und weiße Blinklichter höchst irdischen Ursprungs geboten. War da nicht mal was mit nächtlichem Landeverbot in Frankfurt? Wie auch immer: Es ist was los am Himmel. Das sich gewöhnende Auge sieht mittlerweile Tausend Sterne, erkennt Kleinen und Großen Wagen, errät Orion und andere Sternenbilder. Auch zwei Satelliten ziehen ihre schnurgerade Spur durchs Himmelsschwarz. Nur die blöden Perseiden wollen nicht, wie sie sollen. Zu weit östlich zischt etwas hell auf, oder zu weit oben – nur nicht, wo die Kamera hinhält. Wünschen könnte ich mir gerade viel, nur aus dem einen wird scheinbar nichts.

90 Sekunden rum: neues Bild machen, damit nicht zu viel Licht das Himmelsdunkel verdirbt. Da passiert’s: Eine Sternschnuppe foppt mich mit höhnischem Leuchten, indem sie genau in den zehn Sekunden zwischen zwei Fotos direkt vor mir auftaucht. Zum Mäuse melken! 0.38 Uhr: Da war wieder eine! Und diesmal müsste sie irgendwo auf dem Sensor gelandet sein. Kurze Aufregung auf der Terrasse und dann Enttäuschung: Zumindest der Kamera-Monitor gibt nichts her. Aber später wird auf dem großen Bildschirm sichtbar: Dieses Perseidchen hat eine Spur hinterlassen – zusammen mit drei Flugzeugen. Immerhin! 1:45 Uhr: Fast 50 Bilder mit insgesamt fast zwei Stunden Belichtung sind gemacht. Der Nacken schmerzt, die Müdigkeit zieht ins Bett, da verliere ich die Lust und beende das Experiment. Sollen doch andere die blöden Dinger einfangen.

Lohnte das Bild dieses Artikels die Mühe? Es gibt wohl Tausend bessere, und wer eines hat, möge es bitte zusenden. Aber immerhin eines kam dabei rum: ein neuer Schreibtisch-Hintergrund am Rechner.

von Axel Pries

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