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Das griechische Volk hat entschieden – Eva Goldbach als Vorsitzende der Europa-Union über Sorgen der EU – Nationalgefühl vs. EU-Gemeinschaft?„Das Referendum war grundsätzlich falsch“

VOGELSBERGKREIS (aep). Dieser Moment wurde in ganz Europa mit Hochspannung verfolgt: als am Sonntagabend erste Hochrechnungen vom Referendum in Griechenland über TV-Bildschirme flimmerten. Wie würden die Griechen abstimmen: für oder wider den Handel Milliarden gegen Reformen? Das Ergebnis ist bekannt: Das griechische Volk sagte Nein, und seither wird in Brüssel, Berlin und Paris gegrübelt: Wie soll es weitergehen? Eine, die sich viele Gedanken macht über Europa, die sich als „überzeugte Europäerin“ bezeichnet, ist Eva Goldbach. Sie spricht über renitente Griechen, und was Europa möglicherweise falsch macht.

Seit 2013 vertritt die 48-jährige den Vogelsbergkreis  für Bündnis 90/Die Grünen im Hessischen Landtag, ist Mitglied im Kreistag – und seit dem Frühjahr auch Vorsitzende der Europa Union im Vogelsberg. Als Mitglied dieses Vereins, in dem auch zahlreiche weitere Kommunalpolitiker aktiv sind, beschäftigt Eva Goldbach sich intensiver mit Europa-Politik, als es für ein Landtagsmandat vielleicht nötig wäre.

Im Gespräch mit OL-Redakteur Axel Pries beurteilt sie das gestrige Abstimmungsergebnis denn auch nachdenklich bis kritisch. Und sie stellt angesichts anderer Problempunkte in der EU fest: Vielleicht stimmt Grundsätzliches nicht im Hause Europa! Das Gespräch als Interview:

„Ich glaube, dass dieses Referendum grundsätzlich falsch war“

Frage: Frau Goldbach! Das griechische Volk hat gesprochen und sich gegen die bisherige Hilfspolitik der europäischen Union entschieden. Jetzt die Frage an die Vorsitzende der Europa-Union im Vogelsbergkreis: Sind Sie glücklich mit der Entscheidung?

Eva Goldbach: Nein.

Warum?

Ich glaube, dass dieses Referendum grundsätzlich falsch war, und wir mit einem einfachen Ja oder Nein in dieser Krise nicht voran kommen. Man muss einmal zurückblicken: Im Januar ist diese Regierung in Griechenland angetreten. Das Volk sagte damals: „Euch trauen wir zu, uns aus dieser Krise zu führen“, weil es verständlicherweise unzufrieden war mit den Folgen der Sparpolitik – niedrigere Einkommen, niedrigere Renten, kranke Wirtschaft und so weiter. Und jetzt, nachdem Tsipras und Varoufakis sieben Monate verhandelt haben und auf der europäischen Bühne vieles zerstört haben – gerade Varoufakis durch sein Auftreten – steht Griechenland so schlecht da wie nie zuvor. Und nun setzt Tsipras ganz kurzfristig ein Referendum an. Zum einen hatte das Volk keine Möglichkeit, sich umfassend über das Sparpaket zu informieren. Ich bin überzeugt, dass die meisten Griechen überhaupt nicht wussten, worüber sie da entscheiden. Zum Anderen: In dem Moment, in dem es ganz kritisch wird, und Tsipras genau weiß, dass er seine Wahlversprechen niemals einhalten kann, gibt er die Verantwortung zurück ans Volk. Das ist unverantwortlich, finde ich.

Klingt ein bisschen, als ob Sie das als feige bewerten.

Ja.

Dieselbe Frage mal an die Grünen-Politikerin gestellt. Die Grünen haben sich bisher ja eigentlich bisher als geduldiger und verständnisvoller im Umgang mit dem renitenten Griechenland gezeigt.

Das tue ich nach wie vor, da bin ich ganz auf Grüner Linie. Wir Grünen haben immer gesagt, dass es absolut fatal wäre, wenn eines der Euro-Krisenländer aus der Währungsunion ausscheiden würde. Das wäre für den ganzen Wirtschaftsraum Europa gefährlich. Unsere Europa- und die Bundestagsfraktion sagen: „Wir sollten auch weiterhin versuchen, Griechenland zu helfen!“ Die Frage ist jetzt, wie es weitergeht. Der Grundsatz, dass wir Griechenland in der Währungsunion halten sollten, gilt nach wie vor. Die gesamte Situation ist in Europa gerade nicht ganz einfach. Es gibt auch an anderen Punkten Schwierigkeiten, weil neue Gräben aufbrechen: Viele Briten wollen raus aus der EU. Wir streiten über die Aufnahme von Flüchtlingen. Rechtspopulisten hetzen gegen andere europäische Länder. Ungarns Regierung will einen vier Meter hohen Zaun an der Grenze zu Serbien errichten. Wir dürfen in dieser Situation nicht zulassen, dass Europa als Gemeinschaft auseinander bricht. Wir haben seit Beginn der Krise viel zu viel über Geld geredet, haben Rechnungen aufgemacht, die keiner mehr verstanden hat. Nun sollten wir überlegen, wie wir unseren Zusammenhalt als Friedens- und Wertegemeinschaft neu organisieren.

Höre ich da auch generelle Kritik am Gebaren der EU raus, das dazu führte, das in ganz vielen Ländern starkes Nationalbewusstsein hervor gekommen ist? Ich denke auch an Finnland, Ungarn sowieso, oder eben auch in England. Bei uns gibt es die AfD als Europa-Gegner – das alles klingt gar nicht nach einer erfolgreichen Europapolitik.

Diese Tendenzen sind da, sie sind schwierig, und wir müssen schauen, wie wir damit umgehen. Europa als Zukunftsperspektive und als Friedenspakt müssen wir unbedingt erhalten – da bin ich eine überzeugte Europäerin. Wir müssen es trotz der separatistischen Bestrebungen schaffen, auch weiterhin zusammen zu bleiben. Das heißt, dass die Mitgliedsländer in der Gemeinschaft ihre kulturelle Identität und Selbständigkeit erhalten können. Das waren auch die Ängste bei der Gründung der Währungsunion. Es hilft keine Gleichmacherei – wir machen aus Europa keine zweiten USA.

Nein. Aber die starke Gleichmacherei aus Brüssel, so scheint mir, fördert im Moment eher, dass die Menschen sich abgrenzen. Man will seine Werte nicht einfach aufgeben.

Ja. Warum soll man das nicht auch innerhalb der Union schaffen?

Großzügige Regelung oder Schuldenschnitt?

Lassen Sie uns noch einmal auf Griechenland kommen. Sie sagen, Sie sind eine große Verfechterin der europäischen Einheit. Die gilt es unbedingt zusammen zu halten. Wie viel ist Ihnen das denn wert? Weitere Unterstützungsmilliarden für Griechenland – oder eben, um den Griechen Identität und Stolz zu lassen, ein Schuldenschnitt? Nach dem Motto: Da ist nicht mehr rauszuholen, wir erlassen den Griechen einiges, und dann können sie selbst sehen, wie sie wieder auf die Beine kommen?

Lassen Sie uns ganz ehrlich auf die Situation schauen: Griechenland hat seine letzten Rückzahlungen an den IWF nicht bedient. Im Moment leidet die Wirtschaft extrem. Die Unternehmen können keine Steuern zahlen. Es ist kaum möglich, die Geschäfte aufrecht zu erhalten. Der Staat nimmt weniger Steuern ein. Wie soll der Staat seine Rückzahlungen bedienen können? Entweder kommt es jetzt zu einer sehr großzügigen Regelung über Rückzahlungen und Hilfsgelder, oder es wird endlich ernsthaft darüber nachgedacht, ob es nicht einen Schuldenschnitt geben muss. Deutschland kam nach dem Zweiten Weltkrieg nur deshalb so schnell auf die Beine, weil uns der radikale Schuldenschnitt im Londoner Abkommen 1953 einen Neuanfang ermöglichte.

Man kann diesen Blick auch noch erweitern: Als die Regierung Tsipras gewählt wurde, da wurde nicht nur in Griechenland gejubelt, sondern zum Beispiel auch in Spanien. Denn die Spanier haben ja eine ähnliche Situation. Auch in Italien ist es schwierig. Könnte es da ein Umkippen geben?

Jetzt wird es spannend zu sehen, wie Spanien, Portugal und Italien reagieren. Diese Länder hatten durch ihre Sparpolitik ebenfalls heftige Einschnitte zu verkraften und müssen ihre Schulden zurück zahlen.

Wie werden Italien, Spanien und Portugal nun reagieren?

Eben! Wäre zu befürchten, dass es dort eine ähnliche Entwicklung gibt wie in Griechenland?

Nein, das glaube ich nicht. Das könnte ein Grund sein, warum es keinen Schuldenschnitt geben kann: Diesen Ländern ist ein Beschluss, der einem anderen Krisenland die Schulden erlässt, nicht zuzumuten. Man muss auch sehen, dass Griechenland schon mit gefälschten Bilanzen in die EU eingetreten ist. Heute stellt sich die Frage, ob die Bürokraten in Brüssel das hätten sehen müssen. Griechenland hat es in all‘ den Jahren nicht geschafft, die Korruption und Geldverschwendung in den Griff zu kriegen und auf der anderen Seite eine vernünftige Besteuerung zu realisieren. Seit Januar sind die reichsten Griechen nachweislich noch reicher geworden – es ist nichts passiert. Also: Nur wenn die anderen Krisenländer mitgehen würden, wäre der Schuldenerlass eine Möglichkeit. Man muss zugleich aber auch sehen: In Griechenland, einem Land der Europäischen Union, droht eine humanitäre Notlage, weil es jetzt schon Engpässe bei der Lieferung von Gütern gibt. Wir überlegen bereits, ob wir Hilfspakete hinschicken – das ist für die ganze EU beschämend.

Wir haben jetzt fünf Jahre diese Krise. Wo steht Europa in weiteren fünf Jahren?

In fünf bis zehn Jahren werden wir einen sehr klaren Blick auf diese Krise haben – und genau sagen können, was wir hätten tun sollen. Spätestens in fünf Jahren werden wir andere Strategien im Umgang mit solchen Krisen entwickelt haben müssen!

Ein Gedanke zu “„Das Referendum war grundsätzlich falsch“

  1. Sehr geehrte Frau Goldbach,
    die Dreistigkeit die Sie mit Ihrer Aussage an den Tag legen macht mich sauer. Man hat ein Volk gefragt und es hat geantwortet. Einigen Vertretern der EU mag dies nicht schmecken – ist aber so!
    Um welches Land es geht ist erst einmal egal. Sie als Politikerin sind vom Volk gewählt um für das Volk da zu sein. Ihre Aussagen erwecken einen anderen Eindruck! „Jetzt sind wir gewählt, nun machen wir das, was wir für das Richtige halten. Was das Volk sagt kann uns egal sein…“
    Was glauben Sie eigentlich wer Sie sind?

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