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Nach der "Pleitefrist" und vor der Abstimmung: Die junge Griechin Olga Emmanouil aus Alsfeld schildert vor Ort die Stimmung in der Heimat ihrer Familie„Eine Katastrophe wird so oder so folgen“

EXKLUSIV| ALSFELD/TRIKALA. Olga Emmanouil ist 22 Jahre alt, kommt aus Alsfeld und studiert Wirtschaftsmathematik in Mannheim. Außerdem ist sie Griechin. Und sie befindet sich gerade im griechischen Trikala, dem Dorf ihrer Großeltern – am Tag, an dem die große Frist der Zahlungsfähigkeit ablaufen sollte. Heute. Ganz aktuell und exklusiv für Oberhessen-live erzählt sie lebendig, wie ihre Familie diese Situation erlebt und erträgt.

„Von einigen meiner Freunde in Deutschland höre ich leider nur, wie schlau es doch von den Griechen sei, die EU (und vor allem Deutschland) als böse dastehen zu lassen. Das sei ihrer Meinung nach der einzige Grund, weswegen Tsipras zur Volksabstimmung aufgerufen hat und außerdem „sowieso überfällig, da am Dienstag die Frist ist und das Land pleite sein wird“. Es ist Dienstag, der 30. Juni 2015, 12:45 Uhr deutsche Zeit. Griechenland hat keinen Staatsbankrott ausgerufen und deswegen habe ich noch die Chance zu erzählen, wie es hier aussieht.

Im Dorf Versorgung aus dem Gemüsegarten, aber Panik in den Städten

In unserem kleinen Dorf sind alle relativ gelassen. Jeder hat Hühner und einen eigenen Gemüsegarten zu Hause, verhungern wird hier niemand. Meiner Familie geht es noch gut, meine Großeltern Leben von dem bisschen Rente – und wie gesagt Essen gibt es im Garten. Meine Tante arbeitet als Altenpflegerin, wird aber nur alle fünf bis sechs Monate bezahlt. Meine jüngeren Cousinen bangen um ihre Zukunft, die eine fängt im September an zu studieren und hat jetzt schon keine Lust: einen Job wird sie irgendwann wenn sie fertig ist sowieso nicht haben.

In den Städten jedoch sieht es schon ganz anders aus. Wir waren zwecks der Taufe unserer jüngsten Cousine in Athen und dort herrscht Panik. Übertrieben denke ich, die Menschen dort haben jedoch Angst, dass sie nicht mal mehr Geld für das Wichtigste haben werden. Ältere Menschen rieten uns „jungen Menschen, der Hoffnung Griechenlands“ genug Mehl, Zucker und Reis zu kaufen. Außerdem sollten wir noch schnell tanken gehen.

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Derzeit normal in Griechenland: lange Schlangen an den Geldautomaten.

60 Euro nach stundenlangem Warten am Geldautomaten

Meine Oma, 70 Jahre alt, meinte dass sie Angst hat, dass am Ende nicht mal mehr Benzin da ist, um ins Krankenhaus zu fahren, wenn was passiert. In ein Krankenhaus, welches nicht mal die nötigsten Medikamente und Verbandssachen hat. Generell herrscht gerade auch Geldknappheit: die Leute stehen stundenlang an den Bankautomaten Schlange, um letztlich höchstens 60 Euro zu ziehen (Höchstbetrag pro Tag seit Sonntag) und das auch nur wenn sie Glück haben, denn manche Automaten spucken nichts mehr aus.

Von Bekannten auf Inseln erfahren wir, dass viele Buchungen in den Hotels storniert wurden, in Athen haben wir selbst mitbekommen, wie zwei große Busse vom Hotel weg gefahren sind, obwohl sie eigentlich zwischen vier bis sechs Tage länger bleiben wollten. Der Tourismus leidet also schon.

„Bei den Griechen herrscht gemischte Stimmung“

Bei den Griechen herrscht gemischte Stimmung. Die Älteren haben Angst und das Gefühl, dass bald ein Krieg ausbricht, die Jüngeren sind eher gelassen. Die Menschen hier lassen sich ihre Lebensfreude nicht nehmen, und das ist gut so. Es wird über die kommende Abstimmung geredet, diskutiert, über die Regierung geschimpft, aber danach lacht man, trinkt und tanzt wieder.

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Angst vor der Zukunft: Die Großeltern von Olga Emmanouil, die für die Sparmaßnahmen stimmen wollen.

In Deutschland höre ich nur negative Presse: die faulen Griechen, Steuerhinterzieher wird als Synonym für Griechen genutzt, „die Griechen fressen unser Geld und beschimpfen uns auch noch“. Dazu vor allem: Niemand hier beschimpft Deutsche! Griechen haben so ein gutes Herz, sind gastfreundlich und nur dankbar dafür, dass unser schönes Land Deutschen und anderen einen tollen Urlaubsort bietet – und ihnen somit ihr Brot auf den Tisch bringt.

„Natürlich werden wir dafür stimmen, in der EU zu bleiben“

Zur Abstimmung habe ich mir natürlich auch Gedanken gemacht. Von meinen Eltern, Großeltern, Tanten und Onkels hört man „natürlich werden wir dafür stimmen in der EU zu bleiben, die Sparmaßnahmen auf uns zu nehmen“. Viele andere junge Griechen, mit denen ich rede, werden auch für „Ja“ Stimmen. Ich jedoch nicht.

Es ist natürlich nicht schön zu wissen, dass im Falle einer Pleite alles, wofür auch meine Familie die Jahre über gearbeitet hat, verloren geht. Ich glaube aber, dass sich nie etwas an der Situation Griechenlands ändern wird, wenn immer weitere Maßnahmen verrichtet, Renten und Löhne gekürzt werden und zudem keine Aussicht auf wirtschaftliches Wachstum besteht. Die Hilfspakete der letzten fünf Jahre waren nun mal keine Hilfe, es gibt keine Arbeitsplätze, Renten oder Krankenhilfe.

„Nein – aus Liebe und Hoffnung für eine bessere Zukunft“

Vielleicht bin ich wie andere in meinem Alter beeinflusst von unserer Geschichte, in der es Griechenland immer wieder geschafft hat sich wieder aufzubauen. Zum ersten Mal wird dem griechischen Volk die Chance gegeben, direkt zu entscheiden. Und mal ehrlich – ob „Ja“ oder „Nein“ überwiegen wird – eine Katastrophe wird so oder so folgen. Bei Rigas Fereos, einem griechischer Schriftsteller und Revolutionär (1757-1798) heißt es: „Besser eine Stunde in Freiheit, als vierzig Jahre Sklaverei und Gefängnis“. Genau so fühlt es sich für die Menschen hier an – und deshalb stimme ich am Sonntag für „Nein“. Nicht aus Egoismus oder Sturheit – wie meine Eltern sagen. Nur aus Liebe und Hoffnung für eine bessere Zukunft für meine Familie, meine Heimat und ihr Volk.“

Ein Gedanke zu “„Eine Katastrophe wird so oder so folgen“

  1. Mädel, Du machst einen Fehler. Mit der Syriza, und den vorhergehenden Gaunern wird GR nie aus dem Schlamassel kommen. Die Fehler in GR liegen zwar schon lange zurück, aber ,mit denen, welche jetzt dran sind, ist auch kein Staat zu machen. Nehmt Euch eine Regierung aus Fachleuten und nicht aus Parteien, dann wird’s (hoffentlich) wieder

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