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Gespräch mit streikenden Post-Mitarbeitern: Es geht um grundsätzliche Arbeitsbedingungen – In vielen Vogelsberger Orten kam seit Wochen keine Post mehr anMit schlechtem Gewissen in den Arbeitskampf

VOGELSBERGKREIS. Da sitzen sie in dem kleinen Café um ein paar Tische: die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Deutschen Post, die jetzt im Alsfelder Raum eigentlich Briefe austragen sollten, und fühlen sich nicht gut. Es ist Streik, seit zwei Wochen schon. Der Tarifstreit zwischen Belegschaft und Vorstand des deutschen Postriesen zieht sich – und darunter leiden alle: die Kundschaft, die auch im Vogelsberg auf Briefe warten muss, die Post-Bediensteten, die ihren Arbeitskampf immer wieder verteidigen müssen. Aber es geht für sie um viel, erzählen die Männer und Frauen im Gespräch.

Der Antrifttaler Bürgermeister Ditmar Krist fasste am Montag zusammen, was inzwischen wohl viele Vogelsberger empfinden: „Der Zustand ist unhaltbar!“ Seit zwei Wochen werde in der Gemeinde kein Brief mehr zugestellt, schimpft Krist in einer Presseerklärung. Auch Alsfelds Bürgermeister Stephan Paule schaltete sich ein. Laut einer Mitteilung am Dienstag habe er mit dem dem Regionalen Beauftragten der Deutschen Post AG, Friedhelm Schlitt, gesprochen, weil „zahlreiche Alsfelder Privathaushalte keinerlei Zustellung mehr von der Deutschen Post erhalten“ hätten. Der Postvertreter habe versprochen, daran etwas zu ändern:  „Wir werden versuchen, für Alsfeld etwas hinzukriegen!“

In  vielen Orten bleibt nur das Warten auf Post

Und auch die Kommentare aus der Leserschaft von Oberhessen-live spiegeln wachsende Genervtheit wieder. In Feldatal, Lautertal und Herbstein warten die Leute offenbar auch schon länger auf Post. Während in Elbenrod und Romrod wohl noch Briefe ankommen, melden Stimmen aus Alsfeld, Renzendorf und Hünfeld-Michelsrombach leere Briefkästen. Insgesamt, so der Eindruck, kommt die Zustellquote an die von der Post verkündeten 80 Prozent-Quote wohl nicht an. Viele Kunden schimpfen offen – auf die Post, aber auch auf die Zusteller.

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„In letzter Zeit nur noch Kostenfaktoren“: der Alsfelder Streikführer Oliver Grafen.

Das belastet sie schon, erzählen einige bei dem morgendlichen Treffen in dem Alsfelder Café Rahn. Dort tauschen die 19 am Streik beteiligten Postmitarbeiter sich aus, erhalten neue Informationen von der Gewerkschaft verdi und bestärken sich gegenseitig, weiterhin durchzuhalten, auch, wenn man sich dabei unwohl fühlt. „Man hat ein schlechtes Gewissen“, sagt eine Frau ganz offen. Dazu tragen auch persönlich erlebte Reaktionen bei: Nicht alle Leute in ihrer Bekanntschaft hätten Verständnis gezeigt, und einige Kollegen hielten den Druck nicht mehr aus: Sie ließen sich krankschreiben.

Doch für die Post-Belegschaft geht es in diesem Konflikt um mehr als um die paar Prozent mehr Lohn oder weniger Wochenarbeitszeit, die zunächst auf dem Verhandlungstisch lagen. Das geht aus allen Verlautbarungen hervor. Es geht um Grundsätzliches, um die 49 Regionalgesellschaften, die die Post gerade gründete, um Mitarbeiter aus dem Haustarif auszukoppeln – die also zu weit schlechteren Bedingungen arbeiten sollen, als mit dem Mutterkonzern ausgehandelt wurden. In einem Konzern, der Milliardengewinne macht, fühlen die Bediensteten mit den gelben Postkarren sich zunehmend schlecht behandelt: „Das geht seit zehn Jahren so“, erläutert Oliver Grafen, der Streikführer in Alsfeld. Immer mehr werde der Druck aufs Personal erhöht. „In letzter Zeit sind wir nur noch Kostenfaktoren.“ Die Arbeit sei „fast nicht mehr leistbar“.

Die Arbeit werde jetzt so gut es geht von Aushilfskräften und Beamten geleistet, erklärt derweil der Post-Pressesprecher Heinz-Jürgen Thomeczek gegenüber Oberhessen-live. Die schafften es, dass bundesdurchnittlich gut 80 Prozent aller Briefe ihre Empfänger erreichten – wenn auch mit etwas Verzögerung gegenüber dem Normalbetrieb. Es könne natürlich sein, dass es stellenweise zu mehr Ausfällen kommt, betroffen seien schließlich alle Zustellbezirke. „Es ist halt ein Generalstreik, der uns trifft!“ Aber, dass 14 Tage keine Post ankommt, „das ist die Ausnahme!“ Für die übrigens die jeweiligen Mitarbeiter vor Ort unter Umständen gar nichts könnten. Denn viele Briefe würden gar nicht erst losgeschickt, könnten ergo auch nicht weiter verteilt werden.

Was geschieht mit den Finanzamtsfristen?

So bleiben neben vielen lieben Grüßen auch wichtige und terminierte Sendungen liegen: Flugtickets und Eintrittskarten oder auch Ausweispapiere für die Einwohnermeldeämter. Und sicherlich etliche Termin-Schreiben vom Finanzamt – was mit abgelaufenen Fristen geschieht, ist eine offene Frage.

Gerade mit Schwierigkeiten für das Finanzamt hoffen die Streikenden aber, Druck auf den größten Anteilseigner der Post AG ausüben zu können: den Bund, der sich in den vergangenen Jahren zwar stetig weiter aus dem Unternehmen zurück zog, aber mit 21 Prozent doch noch präsent ist. Wenn die Finanzämter sich beschweren, so hoffen Alsfelder Streikende, dann müsse der Bund reagieren. Ansonsten sei man innerlich auf einen langen Arbeitskampf eingestellt, erklärt der verdi-Vertrauensmann Oliver Grafen – offenbar hüben wie drüben. „Die haben viel Geld, aber wir auch!“

Dabei, so klingt bei dem Besuch im Streik-Café immer wieder an, wünschen die Post-Bediensteten sich vor allem, die Arbeitsverweigerung aufgeben zu können: „Man hofft, dass Post und verdi wieder verhandeln“, sagt eine Frau, nach ihrer Gefühlslage befragt. Wenn das geschieht, steht ihnen besonderer Stress ins Haus: „Die Arbeit bleibt ja liegen. Die müssen wir nachholen.“

von Axel Pries

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