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Kirmes-Saison: Manche Kirmes pflegt uralte Traditionen – Beispiel: die „Anna-Katharina Kirmes“ in Groß-Felda – Warum feiern die erst im November?Vom Wiederausgraben einer alten Tradition

GROSS-FELDA/VOGELSBERGKREIS. Jetzt beginnt die Kirmes-Saison, berühmt berüchtigt. Berühmt für lebendige Veranstaltungen, berüchtigt für ausschweifende Gelage – und bekannt für feste Traditionen, geht die Kirmes doch auf die „Kirchmess“ früherer Jahrhunderte zurück. Auch, wenn sich vieles verändert hat – etwa, dass in Burschenschaften heute Mädchen feste mitmischen – verblüfft die Hartnäckigkeit manches Brauchs. Warum bloß feiert man in Groß-Felda Anfang November, wenn es garantiert kalt ist? Wer nachfragt, erfährt einen einfachen Grund und viel mehr über die Traditionen.

Die Kirmes wäre in Groß-Felda fast zu einer verlorenen Tradition geworden – doch eine kleine Gruppe Jugendlicher aus dem Feldatal hat sie wieder aufblühen lassen.
Zum Start der diesjährigen Kirmes Saison lohnt ein Blick in die Chronik dieses Brauchs. Wie entstand eigentlich diese in unserer Region weit verbreitete Tradition? Und haben sich der Verlauf und der ursprüngliche Sinn der Kirmes über die Jahre verändert? Feldatals Ehrenbürgermeister Ernst-Uwe Offhaus und Timo Wagner, Ehrenmitglied der Freien Jugendinitiative Feldatal (FJI), gewähren Einblicke in die alte und neue Geschichte dieser  Kirmes und offenbaren spannende Details.

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Mit Traditionen für die Kirmes werben

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Der ursprüngliche Name der Kirmes war die „Kirchweih“, denn es war ein Fest, das zu Ehren der Erbauung der Kirche gefeiert wurde. Unter anderem wurde sie auch als „Kirchmess“ bezeichnet, da dazu eine Messe abgehalten wurde. Mit der Zeit veränderte sich der Name zu dem heute bekannten Wort Kirmes, in anderen Gegenden wurde sie aber auch als „Kirmis“ oder „Kerp“ bezeichnet. So zum Beispiel in Südhessen, wo Ehrenbürgermeister Uwe Offhaus eine Zeit lang gelebt hat.

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Tradition auf der Kirmes in Groß-Felda: das Kirmesausgraben und das Burschenschaftstreffen.

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Er erzählt, dass die Groß-Feldaer Kirche zwischen 1148 und 1156 erbaut wurde, und von da an wurde die Kirchweih jedes Jahr gehalten – allerdings in Groß-Felda eben erst sehr spät. Der banal anmutende, über 800 Jahre alte Grund: Die Kirche wurde damals erst im November fertiggestellt. Daraus ist bis heute die Tradition erhalten geblieben, die Kirmes am ersten Novemberwochenende abzuhalten.

Dann kann es allerdings sehr kalt werden und bereits Schnee liegen – besonders früher – und dann es dem Weihbischof aus Mainz in manchen Jahren nicht möglich, das kleine Dorf zu erreichen. Und auch zu Kriegszeiten wurde die Kirmes nicht regelmäßig abgehalten. Trotz allem kann man sich aber errechnen, dass die Groß-Feldaer Kirmes seit bereits fast 900 Jahren stattfindet. Aus alten Urkunden lässt sich sogar entnehmen, dass er bereits vorher eine Kirche und somit auch eine Kirmes gegeben haben dürfte.

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Gemeinsam bei den Vorbereitungen: Burschenschaftsmitglieder bei der Arbeit.

Nach dem Gottesdienst gemeinsam durch das Dorf

In alter Tradition ist die Dorfbevölkerung nach dem Gottesdienst gemeinsam durch die Straßen gezogen, begleitet von Musik, um Spenden einzusammeln. Später am Abend gab es dann eine Tanzveranstaltung. Diese wurde traditionell in Groß-Felda von den schulentlassenen Jungen des Dorfes veranstaltet. Diese mussten ledig sein und wurden von den Älteren in die Arbeit eingewiesen, so Offhaus.

Im Mittelalter fand irgendwann kein Gottesdienst mehr statt, und es blieb nur noch das Volksfest übrig, erzählt Timo Wagner. Ab dem 19. Jahrhundert sei dann der Gottesdienst wieder eingeführt und das Fest um ein paar Traditionen erweitert worden.

Die Kirmes begann mit einem am Sonntag stattfindenden Gottesdienst. Danach liefen die Kirmesburschen und -menschern, wie die Mädchen damals genannt wurden, gemeinsam zum Kirmeswirtshaus, allen voran die Blaskapelle. Das Kirmeswirtshaus wurde durch einen Kirmesbaum gekennzeichnet. Den nächsten Tag ging man dann von Haus zu Haus, um Ständchen zu spielen und alle zur Kirmes einzuladen. Diese Traditionen sind bis heute zum großen Teil so erhalten geblieben.

Lange Tradition der Kirmesein und -ausgrabung

Auch die Tradition der Kirmesein und -ausgrabung gibt es schon seit langer Zeit in Groß-Felda. „Selbst meine Großmutter in 1883 hat schon die Kirmes am Ende des Fests begraben“, so Uwe Offhaus. So legte man zum Beispiel einen in eine Asbach Flasche gestopften Heringskopf und Geld ins Grab und beerdigte Kirmes für jenes Jahr. Vom Friedhof wurden alte Kränze geholt und beim örtlichen Floristen hat man eine Schleife mit der Inschrift „Anna-Katharina Kirmes“ anfertigen lassen.

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Ebenfalls Tradition in Groß-Felda: der Frühschoppen mit dem Fassanstich.

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So nennen Feldataler sie heute noch und so wurde die Kirmes bis in die 80er Jahre zwischen Groß-Felda und Zeilbach begraben. Timo Wagner erläuterte zudem, dass es damals noch eine sogenannte „Nachkirmes“ gab, welche den folgenden Sonntag stattfand und von Wirten wie Fiches und Traube durch die Spende eines Fass Biers gefördert wurde. Nach dem Bau der Feldahalle 1985 wurde die Kirmes nun dort abgehalten, mittlerweile unter der Leitung des TV/VFR Groß-Felda.

Alte Traditionen beleben die Kirmes wieder neu

Allerdings fanden sich Anfang des 21. Jahrhunderts nur noch an die 40 Leute samstags zum Tanz in der Halle ein. Dies war der Zeitpunkt an dem sich eine kleine Gruppe Jugendlicher, darunter auch Timo Wagner, dazu entschloss, die Kirmes mit neuen Traditionen zu bereichern und die alten wieder „auszugraben“. So wurde ab 2001, nach fast 20 Jahren Pause, die Kirmes zum ersten mal wieder beerdigt. Die „Kirmes“ besteht hierbei aus einem Buch, in dem sich alle mit Unterschrift verewigen, und einer Flasche Schnaps die im nächsten Jahr zur Ausgrabung gemeinsam getrunken wird. Vor dem Begraben wird zudem eine Grabrede von einem als Pfarrer verkleideten Burschenschaftler gehalten.

Ein Jahr davor wurde zudem eine moderne Tradition eingeführt – das Burschenschaftstreffen. Statt der am Samstag üblich stattfindenden Tanzveranstaltung wurde nun das bekannte Treffen der Burschenschaften aus der Umgebung eingeführt. In 2005 errechnete man aufgrund der ursprünglichen Kirchweihe das Alter der Kirmes und so wurde in jenem Jahr die 857. Kirmes in Groß-Felda gefeiert. 2003 wurde zum ersten Mal am Kirmesmontag von der FJI Salzekuchen gebacken. 2005 gab es dann auch wieder den traditionellen Kirmes Frühshoppen, den die FJI auf Risiko organisierte, aber ein großer Erfolg wurde. „Für den VFR rechnete sich das alles nicht und so haben wir FJIler dem VFR einen Deal vorgeschlagen. Wir bezahlen eine anständige Kapelle und wenn es ein Erfolg wird wollen wir die Gage wieder haben – es wurde zum Erfolg und blieb dabei“.

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Umzug durchs Dorf.

Auch heute wieder: der Gottesdienst vor dem Frühschoppen

Zu Beginn des Frühshoppens, der am Sonntag stattfindet, wird der traditionelle Gottesdienst abgehalten. Auch haben die Jugendlichen alte Traditionen, wie montags Kännchen trinken und Wellfleisch essen, wieder eingeführt. „Uns lag immer sehr viel an diesen Traditionen“, erzählte mir Timo Wagner.
Zum großen Teil ähnelt die Groß-Feldaer Kirmes somit heutzutage jenen in der Umgebung. Wie bei den meisten gibt es freitags eine Disco, samstags das traditionelle Burschenschaftstreffen und am Sonntag den abschließenden Frühshoppen. Doch muss man auch zugeben, dass die Groß-Feldaer Kirmes noch sehr an die alten Traditionen gebunden ist, da bis heute der Umzug am Samstag stattfindet und die Kirmes ein- und ausgegraben wird.

Auch wird sonntags immer noch ein Gottesdienst gehalten. Und trotz der schlechteren Wetterbedingungen wird diese Kirmes der Tradition gemäß bis heute am ersten Novemberwochenende gefeiert, was aus der Fertigstellung der Kirche zu dieser Zeit resultiert – vor fast 900 Jahren.

von Michelle Bauer

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