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Exotischer Markt: Familie Steuernagel verkauft Heu bis in die arabische Welt nach DubaiDie Vogelsberger Mischung schmeckt auch Kamelen

ALSFELD. Wenn Gerd und Johannes Steuernagel so richtig loslegen, dann staubt es. Der Staub kratzt im Hals, zieht in die Kleidung, legt sich auf Maschinen und Mensch. Das gehört zur Arbeit. Vater und Sohn pressen Heu und verkaufen es als Viehfutter in ganz Deutschland, in Teilen Europas – und bis in die arabische Welt. So wird das Vogelsberger Heu, das sie auf dem Gelände des ehemaligen HMS-Sägewerks versandfertig machen, auch in Dubai Futter für Pferde und Kamele. Für diese exotischen Abnehmer mussten die beiden Eudorfer viel lernen – angefangen bei der Kunst, Heu so zu verdichten, dass es in Containern verschifft werden kann.

Heu nach Dubai? Kann das funktionieren? „Das haben am Anfang viele Leute nicht geglaubt“, erzählt Johannes Steuernagel. Der 25-Jährige ist gelernter Mechaniker und vor zwei Jahren in das Geschäft vom Vater mit eingestiegen. Der 55-Jährige wiederum ist Landwirtschaftsmeister und arbeitete als Außendienstmitarbeiter einer holländischen Firma, die unter anderem mit Luzerne handelte. Ein Kunde war auch die Zucht- und Besamungsunion Hessen in Alsfeld.

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Gerd Steuernagel bei der Arbeit in Alsfeld: Vogelsberger Heu soll zu Futter für arabische Pferde und Kamele werden.

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Zunächst werden Rundballen aufgebrochen, damit sie neu gepresst werden können.

Diese Aufgabe verschaffte dem Nebenerwerbslandwirt viele internationale Kontakte in der Branche. Und irgendwann vor sechs Jahren bekam er einen Anruf aus Dubai. Jemand aus der dortigen Reiterszene fragte, ob er Heu liefern könne. Die Scheichs dort haben alles – aber kein Gras für ihre großen Pferde- und Kamel-Herden. Das war der Startschuss für ein ungewöhnliches Business in Alsfeld, von dem auch viele regionale Landwirte profitieren.

Der Vogelsberg hat reichlich Heu zum Verkaufen

Denn Heu gibt es reichlich am Vogelsberg, vor allem, seit viele kleine Bauern aufgegeben haben. Das Gras auf den Wiesen aber wächst weiter und braucht Abnehmer. Da hilft ein Betrieb wie der der Familie Steuernagel, über den Vogelsberger Heu in mehreren europäischen Ländern Abnehmer findet. Tatsächlich gibt es mit Heu als Raufutter einen schwunghaften Markt in Europa, erzählt Gerd Steuernagel. Größte Abnehmerländer seien Holland und die Schweiz. Der Markt funktioniert weltweit: „Japan, China, Taiwan sind große Abnehmer für Raufutter.“

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Früher wurden die Ballen in dieser hydraulischen Presse noch einmal verdichtet, erzählt Johannes Steuernagel,

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380 Kilogramm wiegt einer der Ballen, die sich in der Halle stapeln, bis sie in Container geladen werden.

Um auf diesem Markt mitzumischen, mussten die Steuernagels einiges neu lernen. Zum Beispiel die Regeln beim Versand von Containern – auch mit der Zollbehörde. Gerd Steuernagel kann sich noch gut erinnern, wie es war, als sie den ersten Container randvoll mit Heu verschiffen wollten. „Niemand hat geglaubt, dass da Heu drin ist!“ Der Zoll war erst beruhigt, als der Container geröngt war. „Manchmal bleibt ein Container wegen der Bürokratie in einem Hafen stehen“, erinnert der Eudorfer an die Tücken des Versandes. Auch beim jüngsten Versand von zwei Containern nach Dubai ging nicht gleich alles glatt: Weil die Bahn streikte, erreichten die Container das Schiff in Rotterdam nicht rechtzeitig. Das sind Momente, in denen die Steuernagels sich die Haare raufen.

Aber erst einmal muss das Heu in die Container, und damit das so effektiv wie möglich geschieht, nutzen sie eine neue Technik. Die Einheit, die über die Effektivität entscheidet, heißt „Gewicht pro Kilometer“. Es muss so viel wie möglich Heu in die Stahlbehälter, aber herkömmliche Rundballen sind nicht nur falsch geformt, sondern auch zu leicht. An der alten Maschinenhalle des Sägewerks richteten die Steuernagels eine Apparatur ein, mit der sie aus gut getrocknetem Gras neue Ballen herstellen. Heißt: „Wir zerstören die Rundballen und pressen das Heu neu“, erklärt Johannes Steuernagel. Die dabei entstandenen Ballen haben sie früher noch in eine hydraulische Presse geschoben, und mehr Gewicht zu haben – ein mühseliger, zusätzlicher Arbeitsgang. Inzwischen steht ihnen eine neuartige Ballenpressmaschine zur Verfügung, die diesen Schritt gleich mit übernimmt – aber darüber wollen sie nichts erzählen, das ist geheim.

Damit aber gelang ein richtiger Fortschritt: 225 x 80 x 70 Zentimeter ist so ein Ballen groß und wiegt satte 380 Kilogramm. 20 Tonnen Heu kriegen sie damit in einen Container. Ganz ohne Pressung waren es nur 13 Tonnen, mit der hydraulischen Presse 17.

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Der Test gelingt: Diesem Kamel schmeckt die Vogelsberger Mischung offenbar.

Die „Vogelsberger Mischung“ kommt bei den Arabern an

Nach der ersten Lieferung aber musste Gerd Steuernagel sich erst seinen Teil am arabischen Heumarkt erobern, um mit den Amerikanern mithalten zu können, die 80 Prozent des Raufutters dort liefern. „Was können wir, was die nicht haben“, grübelte er und kam darauf: Es ist die Vielfalt des Vogelsberger Heus. „Wir haben hier zehn verschiedene Gräser vor der Tür“, sagt er und weist auf einen Grasstreifen am Gelände, auf dem gerade Löwenzahn blüht. Mit der Botschaft von dieser Gras- und Kräutervielfalt reiste er mehrfach nach Dubai und überzeugte Händler wie Direktabnehmer von der Qualität. Hieß: „Ich musste erst einmal erklären, worauf es bei Heu als Futter ankommt.“ Hieß auch: Der deutsche Landwirt musste sich in die völlig fremde Mentalität der Araber einfühlen. Bei den Scheichs war man lange das immer gleiche Futter in der immer gleichen Farbe aus den USA gewohnt. Aber die „Vogelsberger Mischung“ schmeckte den Kamelen wie Pferden offenbar, und eine Reihe Kunden biss an.

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Erstaunen über die Exotik im Lande ihrer arabischen Kundschaft: Johannes Steuernagel bei einem Besuch in Dubai.

Mittlerweile war er bereits ein halbes Dutzend Mal auf Kundenbesuch in dem reichen Land, ließ sich auch schon einmal in das Super-Luxushotel „Burj al Arab“ zum Essen einladen, erzählt Gerd Steuernagel und lacht: „Wenn ich da im Anzug auftrete, dann glaubt immer keiner, womit ich hier mein Geld verdiene: mit harter Arbeit!“ Spricht’s und lädt zum Mittagessen in einen kleinen Bauwagen. Grünkohl mit roter Wurst steht bereit, dampfend heiß. Und das ist für die beiden Männer das Stichwort: „Es ist viel Arbeit. Ohne den Rückhalt in unserer Familie würden wir das nicht schaffen. Alle machen mit!“

von Axel Pries

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