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Zweiter Unternehmertag in Alsfeld – Bürgermeister über Bemühungen zur Belebung – Gastredner skizziert schwierige Zukunft mit dem demografischen WandelLokale Perspektiven und düstere Prognosen

ALSFELD (aep). Kühles Bier im Glas, warme Atmosphäre im Saal, Rück- und Ausblick und ein spannend aufgemachter Vortrag: In diesem Rahmen dürften sich jene Alsfelder Selbständige wohl gefühlt haben, die am Freitagabend am zweiten Alsfelder Unternehmertag teilnahmen. Es war ein zwangloses Stelldichein unter gut 120 Gleichgesinnten, die in der abgeteilten Hessenhalle von Bürgermeister Stephan Paule hörten, wie es um Alsfelds Wirtschaft bestellt ist – und von dem Publizisten Dr. Winfried Köster, wie finster die deutschen Zukunft aussieht.

Es gibt viel zu tun für die Alsfelder Wirtschaft – aber im Rathaus werden Miss- und Leerstände jetzt verstärkt angepackt. Mit dieser Botschaft wartete Stephan Paule als Gastgeber in seiner Ansprache zur zweiten Auflage der neuen Veranstaltungsreihe auf, in der er auf das vergangene Jahr einging und Ziele der Wirtchaftsförderung erklärte. Es gab und gibt negative Nachrichten aus dem Alsfelder Wirtchaftsleben, räumte Paule dabei ein und nannte die jüngeren Betriebsschießungen oder Insolvenzen: Toom-Baumarkt, AEM, Welle und Landbrauerei. Aber es gebe auch interessante positive Tendenzen, erklärte Paule auf der von Alsfelder Musikschülern musikalisch umrahmten und den beiden großen regionalen Geldinstituten gesponsorten Veranstaltung.

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„Man muss sich rühren, um wahrgenommen zu werden.“ Bürgermeister Paule beim Vortrag über Alsfelder Wirtschaftsgeschehen.

So sei die Zahl der Beschäftigten in Alsfeld in den vergangenen Jahren wieder gewachsen: von 5900 im Jahr 2004 auf 6500 im Jahr 2013. Den Höchststand habe es Mitte der 90er Jahre gegeben: rund 1000 mehr als heute. In der Alsfelder Stadtverwaltung, wo die Wirtschaftsförderung mit der eigenem Stabsstelle wieder eine größere Bedeutung erlangt habe, sei man nun im Rahmen des Masterplans 2022 aktiv bemüht, Alsfelder Unternehmensbrachen wieder zu beleben, erklärte Paule und zeigte in seinem Beamer-Vortrag mehrere Projekte auf – darunter auch der Versuch, das Gelände der ehemaligen Galvano-Fabrik wieder zu beleben. Die Erkenntnis dahinter: „Man muss sich rühren, um wahrgenommen zu werden.“ Er warb zugleich um Verständnis, dass Ergebnisse nicht ad hoc zu erwarten seien: „Alles geht nicht aus dem Stand. Ein langer Atem ist notwendig.“

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„Die Vision der Zukunft ist Johannes Heesters plus“

Dr. Winfried Kösters

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Das gelte auch für das schon lange brache Kerber-Gelände, das im vergangenen Jahr einen Käufer fand – aber immer noch nicht neu bebaut ist. Entgegen aller Unkenrufe gebe es keine größeren Probleme – aber auch diese Vermarktung brauche einfach seine Zeit: „Das ist ganz normal im „Plan“.

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Eine Gruppe der Alsfelder Musikschule umrahmte den Unternehmertag musikalisch.

Demografie: „Wir verkaufen mehr Inkontinenzmittel als Babywindeln“

Eine eher düstere Zukunft malte hingegen der Publizist Dr. Winfried Köster als Gastreferent des Abends aus. Unter dem Titel „Die Zukunft ist nicht mehr die Verlängerung der Vergangenheit“ zeigte der aus dem nordrhein-westfälischen Bergheim kommende Referent auf, dass die Menschheit im allgemeinen und Deutschland im speziellen einen demografischen Umbruch erlebten, wie es ihn in der Geschichte noch nicht gegeben habe – mit allen daraus resultierenden Folgen, die der Publizist mit deutlichen Worten zusammenfasste. „Wir verkaufen in Deutschland mehr Inkontinenzmittel als Babywindeln“, skizzierte er zum Beispiel den aktuellen Stand – den offenbar niemand als Warnung wahrhaben wolle. „Wir machen so weiter wie bisher!“

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Absage an die Rente mit 63: Dr. Winfried Kösters.

Worauf er hinauswollte, kam gleich danach: Das mögliche Renteneintrittsalter, wie aktuell geschehen, auf 63 zu senken, sei unsinnig. Geht es nach Winfried Köster müsste sie auf 70 steigen – denn auch die Lebenserwartung und die Ansprüche der Rentner stiegen kontinuierlich an. Das Rentenmodell der Generationen übergreifenden Versorgung sei tatsächlich einmal mit der Vorstellung gegründet worden, dass zwei Prozent der Bevölkerung damit versorgt würden. „Dann müsste das Renteneintrittsalter heute bei 88 liegen“, stellte Kösters fest.

In seinem lebendigen Vortrag, in dem er nicht mit drastischen Szenarien sparte und die versammelten Unternehmer dazu ermutigte, sich bereits auf eine große Schicht so konsumfreudiger wie anspruchsvoller Senioren einzustellen, kam der 53-Jährige zu einem zweiten Schluss neben der Feststellung: „Wenn es keinen Nachwuchs gibt, dann müssen die Alten ran!“ Die Lücken in den Nachwuchsgenerationen seien mit 1,41 Kindern pro Frau – womit Deutschland europaweit weit hinten liegt – nicht mehr zu schließen. Deshalb komme Deutschland um einen deutlichen Anteil Einwanderer gar nicht mehr herum – viel mehr, als es derzeit bereits sind.  Oder wie Kösters zusammenfasste: „Wir brauchen jedes Kind!“

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Der zweite Unternehmertag fand in einem abgeteilten Saal der Hessenhalle statt.

Ein Gedanke zu “Lokale Perspektiven und düstere Prognosen

  1. Die jetzige Eltern-Generation (ca Mitte 20 bis ca Ende 30) wuchs auf während der 16-jährigen Kohl-Dauer-Kanzlerschaft = während die angebliche „Familienpartei“ CDU regierte und musste in dieser Zeit erleben, dass man sich in einer Familie mit Kindern trotz Vollzeit-Berufstätigkeit beider Elternteile nicht mehr wirklich was leisten kann, zB schon gar keinen Urlaub. Mit 3 oder gar mehr Kindern galt/gilt eine Familie in der Gesellschaft als „asozial“.
    Was also sollte diese ehemaligen Kinder = jetzige Eltern-Generation (s.o.) dann dazu motivieren, selbst/ihrerseits Kinder zu zeugen bzw in die Welt zu setzen?
    Hausgemachte Probleme also!
    Pikanterweise hatte die ehemalige DDR keine Probleme damit, dort wuchsen proportional deutlich mehr Kinder auf. Woran das wohl gelegen haben kann?

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