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Studienfahrt der Alexander-von-Humboldt-Schule nach China – Gemeinschaft vor IndiviualitätLeben im Land ohne Facebook, Google, YouTube

LAUTERBACH (ol). Das nennt man mal eine „Klassenfahrt“: 40 Schülerinnen und Schüler des Alexander-von-Humbild-Gymnasium in Lauterbach verbrachten zwei Wochen in China! Darüber was sie bei dieser ungewöhnlichen Reise alles erlebten, berichteten sie jetzt zwei von Ihnen: Erinnerungen an lehrreiche Tage.

Der Austausch mit einem anderen Land fördert den multikulturellen Dialog, unterstützt die Wahrnehmung von Unterschieden, hilft beim Abbau von Vorurteilen genauso wie bei der kritischen Betrachtung. Eine Aufgabe, der die Alexander-von-Humboldt-Schule in Lauterbach seit vielen Jahren mit zahlreichen Angeboten nachkommt. Dabei blickt das Lauterbacher Gymnasium weit über den europäischen Tellerrand hinaus: seit zwei Jahren nämlich besteht eine Partnerschaft zwischen ihm und der High School No.3 in Xiangshan, etwa 200 Kilometer südlich von Shanghai am Südchinesischen Meer. Dorthin reisten über die Herbstferien in diesem Jahr 40 Schülerinnen und Schüler mit drei Lehrkräften, um ein fernes Land und ganz andere Sitten zu erkunden.
Über die Fahrt berichteten im Anschluss Daniel Hirsch und Antonia Hoyer. Die beiden Oberstufenschüler waren mit dabei, als die Gruppe am 15. Oktober nach zehnstündigem Flug und sechsstündiger Busfahrt in Xiangshan ankamen und dort zunächst von den Gastfamilien begrüßt wurden. In den Familien selbst nahmen die Lauterbacher Schülerinnen und Schüler am täglichen Leben teil. Verwundert waren sie da besonders über das Essen: Es gab viel Reis, Gemüse und Fisch. Sehr viel, wie sich erinnern, und manchmal auch Gerichte zweifelhafter Herkunft und Konsistenz. Wenig Vertrauen erweckten bei den Gästen die teilweise noch lebend verpackten Tiere: Frösche, Schildkröten oder Quallen liegen in China in den Supermarktregalen. Für einen europäischen Gaumen war vieles von dem, was in China auf den Tisch kam, erst einmal ungewöhnlich.

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Bunt gemischter Unterricht mit vielen, vielen Unterschieden.

So wie auch der Schulalltag, den die Jugendlichen und jungen Erwachsenen kennenlernten. „In den chinesischen Schule wird sehr frontal unterrichtet“, so Daniel. Als die mitgereiste Lauterbacher Lehrerin Anne Marufke eine Englischstunde hielt, waren die chinesischen Schülerinnen und Schüler mit der selbstständigen Arbeit in Gruppen völlig überfordert – eine solche Art zu lernen, ist ihnen fremd.

Fremd war den Gästen ihrerseits die Einführung in die „Peking-Oper“: Sie vermischt viele künstlerische Elemente wie Singen, Tanzen, darstellendes Spiel und Kampfkunst. Das Mitsingen fiel den jungen Deutschen auch nach der Unterrichtsstunde noch sehr schwer, wie Daniel und Antonia zugaben. Dafür erlebten sie aber eine große Verbundenheit mit der Schule, die im Übrigen auch Wohnblocks für Schüler und Lehrer bereitstellt.

„Es wurde sehr viel marschiert“

Alle Schülerinnen und Schüler kommen an den Nachmittagen noch einmal dorthin, um ihre Hausaufgaben zu machen. Eine Stunde Sport am Tag ist verbindlich, und bei den Sportfesten, von denen die Gäste eines miterleben durften, steht nicht nur Sport, sondern auch die Nation im Vordergrund: „Es wurde sehr viel marschiert“, berichtet Antonia, „und die chinesische Nationalhymne wurde auch mehrfach gesungen.“ Der Gleichschritt des Marschierens mag den Deutschen wohl wie ein Symbol erschienen sein für die untergeordnete Rolle der Individualität in China. Den Jugendlichen selbst stehen außerdem viele westliche Webseiten nicht zur Verfügung: Facebook, Google, YouTube – vieles ist abgeschaltet im Reich der Mitte.

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Ein Land der Superlative in vielerlei Hinsicht – hier ein Blick auf die Riesenstadt Xiangshan, in der sich die Austauschschule der Alexander-von-Humboldt-Schule befindet.

Die jungen Chinesen kommunizieren über einen Messenger namens QQ. So wurde den Schülerinnen und Schüler aus Lauterbach an vielen Stellen deutlich, wieviel freier das Leben in Europa ist. Mangelnde Individualität jedoch wurde nicht nur als Nachteil wahrgenommen: Die Menschen in China sind oft gemeinsam unterwegs: man sah sie beim gemeinsamen Tanzen und Musizieren im Park, beim Brettspiel auf öffentlichen Plätzen, in Restaurants oder Karaoke-Bars (die die Lauterbacher übrigens auch selbst gerne aufsuchten).

„Sehr, sehr“ gastfreundlich

„Und sie sind sehr, sehr gastfreundlich“, bestätigen Daniel Hirsch und Antonia Hoyer unisono. Neugierig und offen gegenüber den Fremden waren sie auch: in Xiangshan noch erstaunt beäugt, wurden die Europäer später auf ihrer großen Reise in den Metropolen Shanghai und Peking nicht mehr unbedingt als Fremde wahrgenommen. Die Verständigung allerdings scheiterte oft an mangelnden Englischkenntnissen – besonders bei der älteren Bevölkerung.
Einen großen Teil der Reise nahm selbstverständlich das Sightseeing an den verschiedensten Orten ein: Xiangshan liegt im Verwaltungsbezirk Ningbo. Dort besuchten die Reisenden eine buddhistische Tempelanlage und ein Scherenschnittmuseum, das einem einzigen noch lebenden Meister gewidmet ist. Von dort brachten sie wunderschöne Arbeiten mit und erlernten auch selbst einige Techniken des Scherenschnitts. Am Abend des Abschieds von Xiangshan stellten sie spontan einige typisch deutsche Lieder und Tänze vor: mit dem Kanon „Bruder Jakob“ und einer Riesen-Polonaise werden die Lauterbacher sicher in Erinnerung bleiben.
Die weitere Reise führte die Gruppe nach Hangzhou. Die Hauptstadt der Provinz Zheijang hat über acht Millionen Einwohner. Hier beginnt nicht nur der Kaiserkanal, den die Gruppe später noch bereiste, sondern hier liegt auch der Westsee, um den sich in ganz China Legenden ranken. In Hangzhou besuchten die Deutschen ein Teedorf und Plantagen, wo sie einiges über den Anbau lernten. Und natürlich stöberten sie auch in den vielen Souvenirshops der Einkaufsstraßen. Die gab es an allen bereisten Orten zu finden – das kommunistische Land ist sehr konsum- und handelsfreudig, wie die Gäste auch in vielen Info-Verkaufsveranstaltungen feststellen konnten.

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Viel zu tun hatten die deutschen Gäste mit der Zubereitung chinesischer Speisen.

Ein weiteres großes Erlebnis war der Aufenthalt in Shanghai. Eine Metropole voller Autos, Menschen und Smog. „Gigantisch“ – ein Wort, das während des Reiseberichts immer wieder fiel. Sei es die 340 Meter hohe Aussichtsplattform des Jin Mao Towers, der einen atemberaubenden Blick auf die Skyline bot, der Bund, die lange Uferpromenade, oder der Yu-Garten, eines der beeindruckendsten Beispiele chinesischer Gartenkunst.
Eine Perlenmanufaktur und eine Seidenspinnerei standen auf dem Programm der Gruppe, bevor in Peking die letzte Etappe der Chinareise begann. Nach einer Fahrt im Nachtzug erlebte die Gruppe einen der seltenen smogfreien Tage in der chinesischen Hauptstadt – ein Taifun hatte die Luft zuvor gereinigt.
Die Gruppe besichtigte den Tian’anmen-Platz, den Platz des Himmlischen Friedens, und die Verbotene Stadt. In Peking, so berichteten Daniel und Antonia, ist die Überwachung durch den Staat überall sichtbar, Polizei und Militär sind allgegenwärtig. Letzter Höhepunkt der Fahrt war der Besuch der chinesischen Mauer. Das monumentale Bauwerk und die faszinierende Perspektive hinterließen einen bleibenden Eindruck! Ein letzter Blick vor dem Rückflug galt einem alten, ärmeren Viertel der Hauptstadt – auch diese Seite der Metropole gehört mit zu einem vollständigen Reisebild.
Die beiden weitgereisten jungen Leute sprachen sehr begeistert von ihrer Fahrt – gerade Antonia könnte sich vorstellen, das Reich der Mitte noch besser kennenzulernen. Das Wecken von Interesse, das Schaffen von Perspektiven und das multikulturelle Lernen – alles Ziele also, die die Fahrt des AvH nach China durchaus realisiert hat.

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