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"Literaturpapst" Bernt Ture von zur Mühlen stellte 20 Bücher vor„Hitlers Bilder“ bis „Zwei Herren am Strand“

ALSFELD (ol). Geduldig warteten vergangene Woche im Wohnzimmer der Alten Molkerei rund 30 Fans auf „Ihren“ Literaturpapst, Bernt Ture von zur Mühlen. Locker überbrückten die Gäste der Buchhandlung Reinhold Heinz die Wartezeit mit einem Glas Rotwein in den Sofas des Gebrauchtwarenkaufhauses oder stöberten durch das große Angebot dort und entdeckten das ein oder andere Schnäppchen.

 

Mit rund einer Stunde Verspätung und zwanzig Büchern im Gepäck wurde Bernt Ture von zur Mühlen freudig begrüßt und begann sogleich seinen lebhaften Vortrag mit dem packenden Thriller „Der Circle“ von Dave Eggers, der als Neuauflage von Huxleys „Schöne neue Welt“ oder Orwells „1984“ gilt. Circle ist der freundliche Internetkonzern, zu dem Google, Facebook, Twitter und Apple fusioniert sind und der nahezu in alle Lebensbereiche Einblick hat.

Mit unter die Haut transplantierten Chips, Knopflochkameras die alles ins Netz übertragen und der Sucht nach möglichst vielen „Followern“ verwischen die Grenzen zwischen Realität und Internetidentität. Eine beklemmende Studie unserer nahen Zukunft und die Bedeutung von Privatsphäre, Demokratie und Öffentlichkeit.
„Wie sehen uns dort oben“ von Pierre Lemaitre hält von zur Mühlen für den besten Roman des Jahres. Ausgezeichnet mit dem Prix Goncourt, der mit immerhin zehn Euro Preisgeld dotiert ist aber ein Millionenpublikum verspricht, zeichnet Lemaitre ein mitreißendes Bild der französischen Gesellschaft und moralischer Werte gegen Ende des Ersten Weltkrieges. Ruhm und Ehre auf der einen und Profitgier und krumme Geschäfte, bei denen tote Helden mehr zählen als die Überlebenden verbindet die beiden ungleichen Freunde Albert und Edouard mit ihrem verhassten Vorgesetzten Pradelle.
Immer mit auf seiner Liste hat von zur Mühlen Bücher südamerikanischer Schriftsteller. Denn diese schreiben nicht so verkrampft wie die Deutschen, die sich immer der Tradition von Goethe, Schiller und anderen Größen der deutschen Literatur verpflichtet fühlen. Sie erzählen einfach tolle Geschichten wie etwa Claudia Pineiro mit „Ein Kommunist in Unterhosen oder Camilo Sanchez in seinem Roman über „Die Witwe der Brüder van Gogh.“

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Empfehlungen vom Kenner: Bernt Ture von zur Mühlen.

Einen verblüffenden Roman über Winston Churchill und Charlie Chaplin liefert Michael Köhlmeier mit „Zwei Herren am Strand“ ab. Teils real, teil fiktional beschreibt er die Freundschaft dieser beiden großen Persönlichkeiten, die einen gemeinsam jeder auf seine Weise gegen das Böse kämpften.
Auch Sachbücher finden sich auf der Liste der Bücher, die der Frankfurter Literaturwissenschaftler jedes Jahr nach der Buchmesse zusammenstellt, um sie auf Einladung von Buchhandlungen oder Büchereien vorzustellen. Oftmals, so von zur Mühlen, schrecken Leser vor Sachbüchern zurück und trauen sich die Lektüre nicht zu. „Wer Leitartikel der Tageszeitung lesen kann, kann problemlos auch Sachbücher lesen!“ macht er Mut, auch mal was Neues auszuprobieren.
„Warum Nationen scheitern“ von Starökonom Daron Acemoglu und Harvard-Politologe James Robinson ist eine überzeugende Studie die von sechs Wirtschaftsnobelpreisträgern zum Lesen empfohlen wird. Sie zeigt anhand vieler Fallbeispiele auf, mit welcher Macht Eliten die Regeln zu ihren Gunsten verändern – zum Schaden der Allgemeinheit und der Nationen. Aus der Analyse der Vergangenheit erklärt dieses Buch die Gegenwart und eröffnet Perspektiven für die Zukunft.
„Hitlers Bilder“ von Anders Rydell geht weiter als die Debatten um den Fund bei Cornelius Gurlitt oder der Film „Monuments Men“. Diese drehten sich stets um den Raub oder die Beschlagnahmung von Kunst durch offizielle NS-Stellen. „Hitlers Bilder“ beschreibt die ganze Kunstpolitik der Nazis, vom offiziellen Ankauf in den Anfängen über Beschlagnahmung aus jüdischem Besitz oder den Raub während des Krieges. Auch die Zerstörung von „entarteter Kunst“ kommt in dem spannend wie ein Kinofilm geschriebenen Buch vor.
Nach zwanzig Büchern und 75 Minuten beendete Bernt Ture von zur Mühlen seinen lebhaften Vortrag, der so manche Lust auf das ein oder andere Buch geweckt hat, daß Alexander Heinz und Isolde Schmidt am Büchertisch zum Verkauf anboten.

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