Gesellschaft0

Zwei Wochen Urlaub: von leben und leben lassen und einander scannenden Mädchen..und schmeiß die Sorgen aus dem Flugzeugfenster

VOGELSBERGKREIS. Wenn man eine Reise tut, kann man was erzählen. Das gilt auch für Jessica Haak. Die 16-jährige Schülerin aus Schotten ist jüngste Autorin bei Oberhessen-live und liebt es, ihre Umgebung zu reflektieren. Heraus kommen sinnreiche, lesenswert verfasste Betrachtungen: über Glück, Schicksal, Engländer oder auch Schwimmbadbesucher. Nun war sie in der Türkei in Urlaub und hat auch noch das Handy-Ladekabel vergessen. Kein Wunder, dass sie Muße zum Erleben hatte – und Nachdenken. Sie stellt fest:  „Probiers mal mit Gemütlichkeit!“

Vor drei Wochen, zu Beginn unseres Urlaubs, stellte mein zwölfjähriger Cousin eine Frage, die mir in den darauffolgenden Tagen viele neue Erkenntnisse bringen sollte. Als wir zur später Stunde am Hannover Flughafen die Zeit bis zum Flug gutmütig verstrichen ließen und uns an vielen Reisenden vorbei kämpften, fielen die ein oder anderen Blicke, die ihn stutzig werden ließen. Irritiert und belustigt fragte er mich, wieso Mädchen sich gegenseitig immer so „scannen“ müssten und ich wusste tatsächliche keine Antwort. Es war und ist banal am Flughafen auf Konkurrenzsuche zu gehen, da man die Menschen tendenziell nie mehr wiedersieht und auch sonst fiel mir kein plausibler Gedanke ein, der diesen Sachverhalt erklären konnte. Im Flugzeug warf ich kurzzeitig alle Verschwörungstheorien über Bord und starrte drei Stunden beinah regungslos aus dem Fenster. Während die Landschaft unter uns immer kleiner wurde und meine Augen immer größer, entwickelte sich ein regelrechter Enthusiasmus bezüglich der nächsten zwei Wochen.

Kein Handy-Kabel: Stress durch fehlende Kontakte

Ein stickiges, 40 Grad warmes Lüftchen begrüßte uns anschließend in der Türkei und ich löste mich allmählich von meinen vier Pulloverlagen. Eingecheckt im Hotel und angekommen am Strand, ging es zunächst so weiter, wie es am Flughafen aufgehört hatte. Fleißig empfängt man kritische Blicke, schickt den ein oder anderen auch einmal zurück und denkt sich gemütlich seinen Teil. Dieses permanente Starren ist sicherlich nicht böse oder gar ernst zunehmen, dennoch liegt es im menschlichen Betriebssystem verankert. Socken sind der Sandale womöglich nicht der beste Freund und zu lauten Kindern gibt es nun mal keine Fernbedienung, dennoch wundere ich mich, wieso das manche Menschen so brennend interessiert. Ich bezweifle stark, dass jemand die zuvor beschriebenen Gegebenheiten noch nie wahrgenommen hat und sich deshalb exzentrisch darüber wundern müsste. Nach den ersten Tagen wende ich mich von penetranten Blicken ab, sende keine mehr zurück und höre auf die Leute regelrecht zu hypnotisieren. Ich mache die Entdeckung mein Handyladekabel Zuhause vergessen zu haben und widme mich anderen Gegebenheiten zu. Um ehrlich zu sein, ist die Isolierung von gewohnten sozialen Kontakten anfangs ein wenig stressig, dennoch verschwinden Stressfalten in den Wellen schneller als sie gekommen sind.

OL-UrlaubHai-1209

Sinnfrei entspannen: Dabei entsteht auch schon mal ein Hai aus Sand.

 

Es rieselt Erkenntnisse. Wir Menschen werden täglich mit den verschiedensten Eindrücken konfrontiert. Wir machen Bekanntschaften mit den unterschiedlichsten Charakteren, kommunizieren, reden, verstehen oder diskutieren. Wir haben mittlerweile regelrecht die Angewohnheit entwickelt, alles und jeden mitbekommen zu wollen und zu müssen. Häufig konzentrieren wir uns nicht auf uns selbst, sondern auf andere Menschen. Diese ungesunde Neugier hat sich mittlerweile dermaßen in unseren Alltag eingeschlichen, dass wir es gar nicht erst merken. Wir reden häufig davon, dass uns nicht interessiert, was andere Menschen von uns denken. Dennoch ist dieses Bekenntnis selten glaubhaft. Es ist nicht verwerflich einen guten Eindruck hinterlassen zu wollen und nicht das Bedürfnis zu haben mit jedem zweiten Mitmenschen in ausschweifenden Diskussionen versinken zu wollen. Wie sollen wir jedoch einen guten Eindruck hinterlassen, wenn wir andere Menschen permanent anstarren. Es ist pure Zeitverschwendung seine Gedanken mit dem Aussehen fremder Menschen zu verbringen – ihr Charakter wird durch übermäßiges Starren nicht ans Licht treten.

Leben und Leben lassen. Natürlich sollten wir nicht völlig desinteressiert an unserer Gesellschaft vorbeilaufen, dennoch wäre es nötig den Fokus häufig anderweitig zu setzten: Auf uns! Das ist keine Aufforderung zu egoistischen Handlungsmaßnahmen, sondern lediglich ein kleiner Denkanstoß. Anstatt andere Menschen zu kritisieren, sollten wir damit anfangen unsere eigenen Verhaltensweisen zu ändern. Weiterhin sollten wir manche Gegebenheiten einfach akzeptieren.Was des einen Socken und Sandalentraumpaar ist, das ist des anderen knappen Höschens. Unsere Lebensaufgabe besteht nicht darin Menschen in Blicken zu beurteilen, schließlich bittet uns keiner darum. Vielleicht liegt die Ruhe und Kraft darin, einfach einmal wegzuschauen und zu schweigen.

 Gehirnwäsche beim Animationsprogramm

Inspiriert von so vielen Erkenntnissen genieße ich mit meiner Familie die nächsten Tage. Wir sind eine lebhafte Truppe, die die unterschiedlichsten Altersklassen inne hat und so ist es naheliegend, dass ich zeitweilig meinen eigenen Miniclub leite. Obwohl ich Kinder sehr gerne mag – Erzieherin werde ich nach diesen zwei Wochen definitiv nicht. Tagtäglich werde ich im Rahmen der Kinderdisco mit Ohrwurmklassikern wie Aram Sam Sam, dem Fliegerlied oder dem Zuglied konfrontiert. Um ehrlich zu sein, ist es niedlich wie viel Mühe sich die Kleinen geben und mit welchem Stolz sie dir entgegenwinken – so auch meine Cousine Maxima. Innerhalb von drei Tagen hatte sie sämtliche Lieder auswendig gelernt und nutzte diese Fähigkeit nicht nur abends. Erschreckend war jedoch, dass auch ich diese Lieder irgendwann auswendig konnte und völlig ungewollt trällerte. Es muss wohl unbewusste Gehirnwäsche gewesen sein, der ich mich täglich ausgesetzt habe.

OL-UrlaubPier-1209

Ort wunderbarer Urlaubserinnerung für Jessica: die Steinpier.

 

Abgesehen von der Minidisco, gibt es auch ein Abendprogramm. Von traditionellen türkischen Tänzen, über Zauberer bis hin Comedyshows ist alles dabei. Letzteres klingt jedoch besser als es ist, denn entweder haben zahlreiche Hotelgäste und ich einen merkwürdigen Humor oder das Lachen meiner kleinen Cousine ist tatsächlich das Lustigste an der ganzen Show. Zwei weitere Abende werden mit einer Miss und Mister „Seamelia Beach“ Wahl gefüllt. Eher unfreiwillig gelange ich in ersteres und muss mich durch recht eigenwillige Aufgaben schlagen. Eine davon besteht darin, möglichst vielen Menschen aus dem Publikum in zwei Minuten ein Küsschen zu geben. Mein zwölfjähriger Cousin und sein Freund verschaffen mir einen guten Vorsprung, indem sie viele Kinder in die erste Reihe lotsen und sie bei den anderen Kandidatinnen dezent und unaufällig verstecken lassen. Mit 50 Küsschen, enthusiastischer Unterstützungen seitens meiner neuen Freunde, deren und meiner motivierten Familie und zauberhaften Kindern bekomme ich ein Krönchen (Selbstdarstellung auf höchstem Niveau) aufgesetzt und darf mir in den nächsten Tagen die ein oder andere Anekdote über meinen erworbenen Titel anhören. Ein Meilenstein in meinem Leben;)

„Wir lassen uns in den Wellen treiben“

Die Tage verstreichen und wir lassen uns in den Wellen treiben. Das Wasser ist erfrischend, es weht eine kleine nach Salz riechende Brise und trotz akribischen Eincremen fühle ich mich wie ein durchgebratenes Steak. Das kühle Blau hebt sich von der sandigen Umgebung ab. Läuft man ein paar wenige Meter am Strand entlang gelangt man zu einem Steinpier. Hier legen morgens die Schiffe an und Angler vertreiben sich die Zeit. Läuft man weitere Meter kommt man zu einer Brücke unter der die Giganten des Meeres beheimatet sind. Nach englischen Keks-verwöhnten Eichhörnchen treffe ich nun auf türkische, Käse liebende Schildkröten. Um sie herum schwimmen Fische wie kleine Wirbel und stibitzen die herunterfallenden Brotkrümmel. Völlig desinteressiert gleiten die Schildkröten durchs Wasser bis sie gutmütig auf ihr geliebtes Molkeprodukt zu steuern. Stichwort: Vamos a la Playa und dann.. zum Buffet. Das Essen ist wie immer ausgezeichnet. Es gibt viel Auswahl und wenn man nicht gerade sportliche aktiv ist, so wird man doch förmlich zum Essen hingezogen.

Das Beste kommt zum Schluss und so lerne ich im Verlauf des Urlaubs eine handvoll wunderbare Menschen aus Bayern kennen. Es ist erstaunlich wie gut man miteinander auskommt,obwohl man sich noch nicht lange kennt. Ich bin so positiv überrascht, dass ich mich regelmäßig in Wallung rede. Es ist selten auf so sympathische und herzliche Menschen zu stoßen.Nicht nur die Jugendlichen, sondern auch ihre Familien sind wunderbare Menschen. Man kommt miteinander so gut aus und wünscht sich länger bleiben zu können. Es entstehen Freundschaften, die wahrhaftig weitere Treffen nach sich ziehen werden. Aus Urlaubsbekanntschaften wurden Freunde und aus Momenten wurden schöne Erinnerungen. Wir verlassen die Türkei mit einem lachenden und einem weinenden Augen und selbstverständlich der ein oder anderen Pulloverlage.

von Jessica Haak

Schreibe einen Kommentar

Bitte logge Dich ein, um als registrierter Leser zu kommentieren.

Einloggen Anonym kommentieren