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Der Test: E-Bikes machen die Natur zum Erlebnis – Die Zukunft des Radfahrens?Fröhlich pfeifend geht es die Hügel hinauf

ALSFELD. Am schönsten wird es dann, wenn das Radfahren sonst am schwersten fällt: am Berg. Ein fester Tritt in die Pedale, und plötzlich fühlt es sich an, als ob ein Unsichtbarer den Sattel packt und kräftig schiebt. Oder als ob ein Orkan von achtern die Steigung hinauf pustet – es macht Spaß, den Hügel zu erklimmen, wenn man ein E-Bike unterm Hintern hat. So ein Zweirad mit unauffälligem E-Motor, der immer einspringt, wenn’s anstrengend wird. Und das soll sie also sein, die Zukunft des Radfahrens. Spaß bringt das – aber wo ist der sportliche Gedanke? Das herauszufinden, muss man sie einmal ausprobieren.

 Auf die Idee kommt man, wenn man mit dem Alsfelder Zweiradhändler Norbert Schütz ins Plaudern gerät, während er die Reifen eines Fahrrads auf Betriebsdruck bringt. Eines normalen Fahrrads mit 27 Gängen, zweifacher Federung und Hydraulik-Bremse. Ein modernes Rad also. Ach, meint er, die wirklich modernen Räder stehen drinnen, und er führt seine E-Bikes vor: Hightech-Geräte mit einer Verdickung irgendwo im Getriebe: dem E-Motor.

Ein alter Hut: „Fahrrad mit Hilfsmotor“

Das ist im Prinzip ja gar nichts Neues. „Fahrrad mit Hilfsmotor“ stand schon in der Betriebserlaubnis meines ersten Mofas in den Siebzigern. Kleine Zweitakter verliehen auch schon Jahre davor Tretmobilen mehr Komfort. Die knatternden Raucher duch leise surrende Elektromotoren zu ersetzen, war mit fortschreitender Technik nur konsequent. Der wahre Sprung nach vorne gelang aber erst mit leistungsfähigen Akkus und der raffinierten Steuertechnik für den Zusatzantrieb: Die spürt, wieviel Druck aufs Pedal kommt, und eine Elektronik setzt die Kraft dann nach Wunsch ein. Oder anders gesagt: Die Natur des Radelns bleibt erhalten, auf dem E-Bike wird aber jeder Luschi zum Radsportler – wenn er will.

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Lässig an der Steigung: der Autor in der Steinfirst über Alsfeld.

E-Bike sind immer gefragter, verrät der Zweiradhändler Schütz: „Die werden irgendwann das normale Fahrrad weitgehend ablösen.“ Grund genug für Oberhessen-live mal ein Paar E-Bikes auszuleihen, um sie im Arbeitsalltag und beim sonntäglichen Radelausflug auszuprobieren. Was taugt der 2000 bis 4500 teure Fortschritt in der Praxis?

Zunächst einmal sind die Dinger richtig schwer, stellt sich heraus, als meine Ehefrau und ich die zwei Testbikes des Schweizer Herstellers Flyer bei dem Alsfelder Händler abholen. Kein Wunder: Der Motor und die mehrere Kilogramm schweren Akkus haben halt ihr Gewicht. Ein abgeschlossenes E-Bike klaut jedenfalls niemand spontan.

E-Bikes: längst in großer Auswahl zu haben

Intensiver E-Mail-Verkehr ging der Übergabe voraus, denn es gibt längst eine breite Palette an Modellen. Man wollte wissen, was gewünscht wird: die sportliche Variante, das Familien-Trekkingrad, in welcher Ausführung? Wie groß? Als Damen- oder Herrenrahmen, Mit Rücktritt? Mit Bosch-Motor vielleicht? Bosch-Motor – das klingt solide: zweimal bitte! Geschmunzelt habe ich ein wenig über das Mountainbike mit Elektroantrieb: Das ist Radsport mit E-Doping.
Es geht los: von Altenburg über die Homberg-Flanke nach Alsfeld und dann über die Steinfirst und durch Eifa zur Hardtmühle – der Klassiker eines Naherholungsausflugs. Zurück soll’s über Brauerschwend gehen, zusammen gut 24 Kilometer. Mit dem normalen Fahrrad hat die überschaubare Strecke durchaus ihre Tücken: Bis zum höchsten Punkt am Homberg sind erst einmal mehr als zwei Kilometer Steigungsstrecke zu überwinden. Ähliches gilt für den Steinfirst-Abschnitt und den letzten Kilometer zur Hardtmühle. Und mit dem E-Bike? Fröhlich pfeifend überwinden wir die Berg-Etappen unter freundlichem Himmel in bunter Landschaft. Ein herrliches Natur-Erlebnis!

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Das ist der kleine Helfer: ein E-Motor von Bosch mit einer Drittel Pferdestärke.

Doch! Treten müssen wir schon, und der Puls steigt auch merklich an. Aber die variabel einstellbare Motorhilfe nimmt dem Ganzen die Spitze und damit dem Fahrradausflug im Vogelsberg den Schrecken. Zwischen „eco“ und „turbo“ lässt sich bei den Flyer-Testrädern der Grad der Hilfe einstellen: „eco“ hilft nur wenig nach, spart dafür Strom, „turbo“ schiebt kräftig den Berg hinauf – aber verkürzt die elektrische Reichweite um die Hälfte. 80 Kilometer sollen es im „tour“-Modus sein, rund 40 bei maximaler Unterstützung. Für Vogelsberger Bergtouren gilt, so verrät Nortbert Schütz, man kann die Angaben noch einmal durch zwei teilen. Ein bisschen irritierend erscheint mir die Einstellung „sport“ – gleich: kräftige Nachhilfe. Für wen ist das dann Sport, frage ich mich: den Radler oder den Motor? Die Einstellung hilft aber segensreich auch im Alsfelder Arbeitsalltag. Die Stadt ist an einem Hang gebaut.

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Natur als angenehmes Ausflugserlebnis. am Homberg. Die elektronische Anzeige am Lenker gibt vielfältige Auskunft. Links: der Wählschalter für die Unterstützung.

Homberg rauf, Steinfirst rauf bei unserem Ausflug, und bei einem kurzen Fotohalt fällt der treffendste Vergleich für diese Art Fortbewegung ein, die von Radsport-Fanatikern gerne belächelt wird. Eigentlich zu Unrecht. Mit dem E-Bike zu fahren, ist im Vergleich zum Sportradfahren wie das Wandern zum Joggen. Es ist auch Bewegung in freier Natur – eben der moderaten Art und daher attraktiv auch für Ungeübte. Die beste Ehefrau von allen ist jedenfalls begeistert: „Das ist auch für Leute wie mich!“ Tatsache: Als wir nach zwei Stunden (inklusive Boxenstopp an der Hardtmühle) wieder heim sind, merken meine jogginggeübten Beine schon, dass sie etwas getan haben. Vor allem aber hat dieser Ausflug Spaß gemacht.

40 bis 80 Kilometer Reichweite dürften reichen

Das Fazit: 2000 bis über 4000 Euro sind nicht wenig Geld, das man für ein Fahrrad erst einmal erübrigen muss. Der Test hat aber gezeigt: Die Technik funktioniert gut und hilfreich, ist leicht zu bedienen. 40 bis 80 Kilometer Reichweite dürften in der Regel locker reichen. Wer mehr will: Der leicht abnehmbare (per Schloss gesicherte) Akku könnte getauscht werden. Längst verbreitete Schmankerls wie Tachometer, Durchschnitts- und Reichweiten-Berechnung am Lenkrad gibt es wahrscheinlich nicht nur bei Flyer, sind jedenfalls informativ. Die neun-Gang-Gangschaltung verliert übrigens an Bedeutung, wenn ein Motor anschiebt. Ich habe sie meist nur in den mittleren drei Gängen genutzt. Hilfreich: Das Licht geht bei Dunkelheit automatisch an. Das klappt schon bei kleinen Tunneln.

Bei dem Preis wäre vielleicht aber auch eine elektronische Diebstahlsicherung irgendwo in dem stabilen Rahmen angebracht: eine Art Sensor für die „find-me-App“. Denn so schwer und mit einem kräftigen Bügel ums Hinterrad gesichert die Räder auch sind: Bei 4000 Euro lohnt sich das Schleppen für jeden Dieb.

Von Axel Pries

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E-Bikes unter Artgenossen: Pause an der Hardtmühle.

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