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Bürgermeister Dören im Interview über Misere und Möglichkeiten in Homberg„Die Innenstadt neu inszenieren“

HOMBERG. Der Einzelhandel in der Altstadt von Homberg/Ohm leidet unter Käuferschwund – und übt sich in  Depression. Nicht unbedingt zu Recht, meint Bürgermeister Béla Dören. Im Gespräch mit Oberhessen-Live-Redakteur Axel Pries sieht er ungenutztes Potenzial und appelliert zu mehr Selbstvertrauen.

Das Gespräch fand im Rahmen eines Interviews statt – parallel zu einem Artikel, der die Stimmung bei Einzelhändlern entlang der Frankfurter zusammenfasst. Über „den Wert und das Pfund“ der kleinen Städte:

Frage: Hat Homberg überhaupt ein Problem mit seiner Innenstadt?

Béla Dören: Ja, natürlich. Alle kleinen Kommunen haben das Problem, dass sie eine eigene kleine Zentralität erzeugen müssen, um überhaupt eine Innenstadt zu haben. Das begann – schon historisch gesehen – mit dem Handel an Wegekreuzungen. Zu den Kaufleuten kamen dann Dienstleistungen. Dann hat sich dies aber in den letzten 20, 30 Jahren immer mehr konzentriert. Die Märkte sind größer geworden, es gab die berühmten Ansiedlungen auf der grünen Wiese, und die kleinen „Tante Emma“-Läden wurden immer weniger. Die waren aber der Wert und das Pfund, das die kleineren Städte ursprünglich in die Waagschale werfen konnten. Auch in Homberg: Weil die Märkte sich nach draußen verlagert haben, ist die Frequenz in der Innenstadt immer geringer geworden. Geblieben sind die klassischen Angebote: die Ärzte, die Banken, die Kirche, gewisse Dienstleister, aber keine große Einkaufsmöglichkeit – speziell kein Lebensmittelladen. Das birgt auch große Probleme für Leute, die nicht so mobil sind.

Wegen der Kamax: größeres Einzugsgebiet als Einwohnerbereich

So geht es aber nicht nur Homberg – das ist allgemeines Problem. Hat Homberg das Problem, dass es als kleine Stadt irgendwo auf dem Land zwischen allen Mittelzentren liegt?

Das allgemeine Problem gilt überall, aber Homberg hatte stets eine gewisse außerordentliche Stärke durch die Kamax: Hier kamen und kommen relativ viele Leute zum Arbeiten her. Dadurch ist das Einzugsgebiet von Homberg größer als der eigentliche Einwohnerbereich. Klar: Wir liegen am Rande des Vogelsbergkreises, und wir sind im Geiste mehr nach Marburg als nach Alsfeld ausgerichtet. Heißt: Man wird Kleidung, gewisse Elektronikartikel und so eher in Marburg einkaufen. Wir haben hier aber durchaus Geschäfte, die auch solche Artikel anbieten oder angeboten haben. Und wir haben – und die müssen wir unbedingt erhalten – auch noch ein paar Spezialgeschäfte, die die Menschen zum Beispiel auch aus Gemünden anziehen. Wenn dies verloren geht, dann ist eine Zentralität, die Homberg noch hat, verloren. Deshalb bemühe ich mich sehr, dass wir noch einen Magneten von der grünen Wiese in die Innenstadt holen. Und die kleinen Geschäfte müssen sehen, dass sie irgendetwas an Profil behalten und gewinnen. Der Schuhladen „Per Pedes“ ist ein Beispiel: Der hat ein spezielles Angebot – wer so einen Schuh haben will, der kommt auch von weiter her.

Ist in Homberg denn auch hausgemachte Problematik bei? Bei der Innenstadt-Gestaltung vielleicht? Städte mit schönem Kern haben viel Mühe aufgewandt, die Innenstädte schöner zu machen, damit die Leute Lust haben, dort einzukaufen. Fehlt so etwas in Homberg?

Bisher hat man auf diesen Aspekt kein Augenmerk gerichtet. Man lebte einfach von dem was war, und die Aktivitäten drehten sich nur um die Parkmöglichkeiten: Da hat man quasi um jeden Parkplatz gekämpft, während andere Kommunen schon Einkaufszentren und Fußgängerzonen hatten. Das würde ich hier ja gar nicht nachholen wollen – aber es ist nicht das Wichtigste, möglichst viele Parkplätze vor der Haustür zu haben. Es muss sie in gewisser Entfernung geben, und die Laufwege müssen gegeben sein. Man hat – auch weil vielen Ladeninhabern das Haus gehörte, in dem sie waren – keine große Notwendigkeit gehabt, Veränderungen selbst zu begleiten. Man hat vielleicht das eigene Geschäft schöner gemacht. Man hat sich zu wenig um den öffentlichen Raum bemüht.

„Mehr bieten als einfaches Parken“

Das klingt nach zwei Ebenen: Einerseits bräuchte man in der Innenstadt ein Geschäft, wie es sonst auf der grünen Wiese steht – einen Magneten – und man bräuchte eine Innenstadt, die mehr Möglichkeit bietet als einfaches Parken.

Also, das Erste ist nicht so leicht. Weil die Geschäfte eine Größenordnung verlangten, die die einzelnen Häuser nicht mehr hergaben. Da müsste man also zwei oder drei Grundstücke zusammenfassen. Das konnten wir bisher nicht anbieten. Schlecker ist das beste Beispiel: Die wollten nicht 170, die wollten schon 300 Quadratmeter haben. Rossmann will eigentlich 800 Quadratmeter Verkaufs- und Lagerfläche haben. Man musste also größere Einheiten bilden. Das haben wir jetzt umgesetzt, indem wir die Schule Friedrichstraße gekauft haben. Da ist ein Lebensmitteler und ein Drogerist und es mussten natürlich genügend Parkplätze dabei sein. Die anderen Geschäfte, der Optiker zum Beispiel, braucht nicht vor der Tür den Parkplatz sondern muss eine attraktive Aneinanderreihung von verschiedenen Aktivitäten haben können. Man muss also mal wirklich flanieren können. Ein Ort zu den ich Leute hinziehen will, der braucht vielleicht einige Parkplätze, aber er braucht vor allem auch unterschiedliche nebeneinander befindliche Aktivitäten, um attraktiv zu sein. Keiner kommt mehr alleine wegen einem Schuhladen her. Man braucht einen Magneten, der anzieht und Spezialisten, die etwas Besonderes zu bieten haben. Wenn dann das Ambiente noch positiv dazukommt – der öffentliche Raum – dass man sagt, „Ach, hier ist es aber schön“, dann hat man etwas, das Anziehungskraft hat. Homberg hat eigentlich dieses Potenzial. Aber man hat sich um den öffentlichen Raum zu wenig gekümmert und um die Magneten, die hat man abwandern lassen.

Was könnte denn nun, außer, dass man dringend eine Brille braucht, in die Frankfurter Straße in Homberg locken?

Ja… Also erstens haben wir noch eine Frequenz durch die Vielzahl von Arbeitsplätzen. Über 1000 Leute arbeiten alleine bei der Kamax. Da kommt die Frage auf: Was brauchen die? Das heißt: Sie müssen schon ein gewisses Angebot haben, damit die Leute in die Innenstadt kommen, also in die Frankfurter Straße. Da gibt es ja durchaus noch einige Geschäfte, die einiges bieten. Da glaube ich, dass da auch der Freizeit-Bereich zu gehört. Der gastronomische Bereich ist noch unterrepräsentiert. Es gibt zu wenig Lokale.

Auch keinen Biergarten…

Auch keinen Biergarten. Wir haben hier den Weinkeller, bei dem ich es grotesk finde, dass man sich beschwert, wenn im Sommer die Leute noch um zehn Uhr (abends) draußen sitzen. Wir sollten uns freuen, dass die Leute bei gutem Wetter noch hierher kommen. Zur attraktiven Innenstadt gehört eine gute Gastronomie. Dazu gehört weiterhin der Dienstleistungsbereich, der in Homberg nach wie vor sehr gut ist. Dazu braucht man noch ein paar Nischengeschäfte. Davon gibt es von allem was. Aber die Leute glauben nicht an sich selber. Das ist schlecht! Man muss auch an sich glauben und nicht nur darüber wehklagen, dass die Zeiten anders geworden sind.

Erleben Sie das so? Sie haben Erfahrung und Ideen? Was erleben Sie denn, wenn Sie damit zu den Einzelhändlern gehen?

Erstens erlebe ich, dass die durchaus deprimiert sind. Sie haben natürlich auch eine gewisse Altersproblematik. Es gibt kaum junge Inhaber, die etwas Neues unternehmen. Was ich erlebe, ist großer Widerstand, wenn sich etwas verändert – das ist übrigens überall so. Einzelhändler handeln einzeln – auch in der größeren Stadt. Aber da gab es diese Situation vor zwanzig, dreißig Jahren! Und dann haben die sich umgestellt, haben neue Konzepte gemacht, haben die Stadt neu inszeniert. Und das wäre hier sogar leichter, weil es die schönen Fassaden gibt, die schöne Innenstadt. Aber man muss die Änderung, die Verschönerung auch wollen. Wer nach außen transportiert – „Ach, hier ist es eh etwas traurig“ – der bekommt auch Trauer zurück. Aber wer eine Aufbruchstimmung transportiert, der bekommt Neugier und Interesse.

Gehören dazu auch Aktivitäten, die die Innenstadt einfach als Besuchsort interessanter machen?

Ja! Selbstverständlich! Dazu gehört die Stadtführung, dazu gehört die Verbindung zu den Häusern als Bezugspunkt, und dazu gehört natürlich auch, dass die Geschäfte interessant sind. Nicht nur 0815 – sondern, dass es interessante Schaufenster sind. Das Ausstellen in den öffentlichen Raum spielt eine sehr große Rolle bei der Frage des Verkaufens. Schauen Sie mal die überdachten Galerien an: Was kann man darin alles machen? Die Menschen wollen sich wohlfühlen – und dann kaufen sie auch vielleicht etwas.

Das Schloss: künftig ein Leuchtturm?

Spielt das Schloss dabei eine Rolle?

Im Bereich des Handels noch nicht. In der Überlegung zu gemischten Aktionen und Attraktivitäten natürlich eine große. Weil das Schloss eigentlich unser Leuchtturm ist. Das Schloss wird Besucher anziehen – auch am Wochenende. Und dann haben die vielleicht auch Lust, noch einmal etwas in der Stadt zu machen. Die gehen dann ja auch durch die Stadt. Und die Besucher des Schlosses kommen fast mehr von außerhalb als aus Homberg. Und die Mischung – Schloss und Fachwerkstadt – die macht es. Und natürlich die Natur drum herum. Die haben wir bisher viel zu wenig eingebunden. Es gibt Ausflügler, die hierher kommen, wir haben zum ersten Mal einen Wanderweg auch durch die Stadt. Frühere Touren waren alle außerhalb, jetzt haben wir eine Tour, an der zum Beispiel der Frankfurter Hof und die Innenstadt mit dranhängen. Damit die Leute auch mal in die Stadt kommen.

Ich habe in Gesprächen mit Einzelhändlern eher Depression erlebt. Sagen Sie doch mal einen Satz, der die ein bisschen aufmuntert und ermutigt.

Der Satz ist einfach: Dies ist eine schöne Stadt. Davon muss man nur selber überzeugt sein.

 

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