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Unfälle, Brände belasten Feuerwehrleute – Unterstützung in der GemeinschaftWarum auch Helfer manchmal Hilfe brauchen

ALSFELD. Äußerlich war es nur ein Autowrack. Doch darin befand sich ein Mensch, beim Aufprall getötet – neulich auf einer Vogelsberger Landstraße. Um ihn zu bergen, musste der Schrott auseinandergebogen werden. Das ist ein Moment, den Feuerwehrleute fürchten: den Anblick der zerschmetterten Leiche. Solche Erlebnisse und noch viel schlimmere belasten, können die Helfer verfolgen – weshalb sie selbst manchmal Hilfe brauchen. Die gibt es seit Jahren professionell, angestoßen von großen Unglücken. Doch wer nachfragt – zum Beispiel bei der Alsfelder Feuerwehr mit ihren 300 Einsätzen pro Jahr – der erfährt auch: Die größte Hilfe ist die Gemeinschaft der Feuerwehrleute. Heute spricht man über die Angst beim Einsatz.

Am großen Tisch im Aufenthaltsraum der Alsfelder Feuerwehr sitzen Männer und Frauen der Einsatzabteilung zusammen, zufällig. Die Verabredung galt eigentlich einem kleineren Kreis Gesprächpartner. Doch angesprochen auf das Thema, nicken alle: Ja, das kennen sie. Die plötzliche Anspannung, wenn der Pieper Alarm schlägt. „Der Puls geht immer erst einmal hoch“, erzählt der Feurwehrmann Marco Falck. Und der Puls bleibt oben, wenn eine „Y“-Meldung kommt: Menschen in Gefahr. Oder „F“ für Feuer, noch abgestuft nach vermuteter Größe. Auf die Feuerwehrmänner und -frauen, die gerade noch an der Drehbank oder im Büro ihrem Beruf nachgehen, am Tisch zu Abend essen oder auf dem Sofa „Tatort“ schauen, kommt binnen Minuten eine Situation zu, auf die im Zivilleben kaum jemand vorbereitet ist: Gefahr für sich und andere – ein Erlebnis, das Angstzustände hinterlassen kann, und man weiß nie, was passiert wird. Dann brauchen Helfer manchmal selbst Hilfe – das weiß man in Deutschland spätestens seit 1988. Seit Ramstein.

1988: 70 Tote bei einer Flugschau

Damals stürzte bei einer Flugschau ein Flugzeug durch einen Zusammenstoß in der Luft ab, unmittelbar vor dem Publikum. Eine Wolke brennenden Kerosins ergoß sich über die Menschen. Es gab 70 Tote und 1000 Verletzte – und anschließend quittierten traumatisierte Retter den Dienst, einige begingen sogar Selbstmord, weil sie die schrecklichen Bilder nicht verarbeiten konnten. Für solche Notfälle der Rettungsdienste, das wurde deutlich, braucht es Seelorge: Im Rettungsdienst engagierte Pfarrer gaben den Ausschlag, und 1990 wurde aus deren Initiative die ökumenische “Arbeitsgemeinschaft Seelsorge in Feuerwehr und Rettungsdienst“. Eine große Bewährungsprobe erlebte der Dienst 1998 bei dem schrecklichen Bahnunglück nahe dem niedersächsischen Eschede mit 101 Toten und beinahe 200 Verletzten. Mittlerweile hat auch der Deutsche Feuerwehrverband eine eigene Hilfeorganisation gegründet: die Stiftung „Hilfe für Helfer“.

Harald Wysk: als Notfallseelsorger unterwegs

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Helfer in der Notfallseelsorge: Pfarrer Harald Wysk.

Es bedarf aber gar keiner großen Katastrophe, dass Helfer Hilfe benötigen, weiß Pfarrer Harald Wysk. Er ist in der Vogelsberger Notfallseelsorge aktiv, absolvierte dazu eine Zusatzausbildung in der Opferbetreuung. Das sind in erster Linie Opfer von Unfällen und Hinterbliebene,  aber immer wieder auch Helfer, die das Erlebte nicht einfach so abschütteln können. Das passiert drei- bis viermal im Jahr, erzählt er: „Es rufen mich meist jene Feuerwehren, die wenig Einsätze haben: ‚Wir müssen darüber sprechen‘.“ Es fehlt Einsatzroutine, dann geht es um die Angst: „Haben wir alles richtig gemacht?“ Da kann Harald Wysk nur zuhören und das Gespräch vermitteln. Es geht aber auch um den schlimmsten Fall, der Feuerwehrleuten Angst macht: Unter den Opfern eines Unglücks sind Bekannte. „Das sind Fälle, die einen wirklich betroffen machen.“

Diese Angst kennt auch Roland Klemm am Tisch in der Alsfelder Feuerwache. Der 54-Jährige ist dort seit vielen Jahren als einer von drei Hauptamtlichen aktiv, war bei ungezählten Einsätzen dabei: viele Brände, aber noch viel mehr Unfälle. Die nahe Autobahn beschert der Alsfelder Stützpunktfeuerwehr nicht nur zahlreiche, sondern auch belastende Einsatzfahrten. So erlebte Roland Klemm den qualvollen Tod eines Lkw-Fahrers, der in seinem brennenden Fahrzeug eingeklemmt war. „Wir hatten keine Chance, ihn rauszuholen.“ Oder die Situation, als ein Mann im Fond eines Autos unter seinen Händen starb: „Das geht schon nahe. Man hat doch gerade zu ihm eine Beziehung aufgebaut.“ Viel schlimmer noch aber war der Tag, als er zu einem Verkehrsunfall ausrückte, bei dem auch ein Kind Opfer sein sollte – und das als Vater eines Mädchens in ähnlichem Alter. „Da konnte ich nicht rangehen.“ Es war nicht seine Tochter, die da tot im Auto lag, aber die Erinnerung an die Fahrt bis zur Gewissheit lässt ihn heute noch grausen.

Beim schweren Unfall gilt: „Erfahrene vor!“

Das sind dann Momente, so schildert der Alsfelder Stadtbrandinspektor Michael Eilts, in denen es auf die Gruppe ankommt, auf die Gemeinschaft. Die muss auffangen. Angst ist längst kein Tabuthema mehr: „In heutiger Zeit geht man damit anders um.“ In der Gesprächsrunde wird genickt. Generell gilt für Einsätze: „Erfahrene vor!“ Die Jüngeren arbeiten ihnen nur im Hintergrund zu. Ist das Opfer bei einem Unfall bereits verstorben, „dann haben wir Zeit.“ Was im ersten Moment brutal klingt, ist Realität: Solche Fälle sind Gelegenheit, so erklärt Michael Eilts, junge Leute behutsam an die Arbeit „vorne“ heranzuführen. Das ist schlicht notwendig.

So notwendig wie die Nacharbeitung – auch dazu dient der große Tisch im Aufenthaltsraum. „Die Kameradschaft, die Freundschaft untereinander ist sehr wichtig“, sagt der Stadtbrandinspektor: „Man muss gegenseitig aufeinander achten.“ Wie sehr ein Helfer von einem Einsatz betroffenen ist, hängt auch von der persönlichen Situation ab – die muss erkannt werden. Und hinterher sitzen die Männer und Frauen noch zusammen, reden sich die Anspannung von der Seele, bevor sie wieder in den Alltag zurückkehren.

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Unfälle, Brände: Feuerwehrleute sind in vielen Notsituationen aktiv – und brauchen selbst manchmal Hilfe.

Übrigens auch über die eigene Angst im Einsatz. Eine Feuermeldung, die macht nicht gleich Angst, sagt der Feuerwehrmann Marco Luckes: „Respekt ja, aber nicht unbedingt Angst.“ Die kann aber kommen, wenn man als Atemschutzträger in das brennende Haus eindringt. Auch diese Situation will besprochen werden, und so etwas geht heute eher, erzählt Michael Eilts. Früher, da gab es wohl die „Rambos, die auf Weicheier“ schimpften. Heute gelte: „Offenheit ist  wichtig.“ Deshalb ist eine funktionierende Gemeinschaft wichtig. Und die gibt es auch wirklich, versichert  Marco Falck. Manchmal fährt er nach der Arbeit einfach so erst einmal für ein paar Minuten zur Feuerwache, ehe es heim geht: plaudern beim Kaffee. Feuerwehr-Gemeinschaft als ein Stück Familie.

Einmal reichte diese Gemeinschaft nicht, die Bilder zu verarbeiten, erzählt die Feuerwehrfrau Corinna Schlitt. „Das war nach Eudorf. Da ging es mir nicht so tut.“ Gemeint ist der tödliche Unfall auf der B254. Sie bat danach den Notfallseelsorger Harald Wysk um ein Gespräch. Dass sie auch davon in der Tischrunde ganz offen erzählt, ist zugleich Beleg für die gute Gemeinschaft in der Einsatzabteilung.

So sollte es auch sein, fasst Harald Wysk zusammen. Alsfelder Feuerwehrleute seien geübt in der Aufarbeitung. Ein Teil seiner Aufgaben ist denn auch die Schulung im Umgang mit Ängsten, die Prävention. Da gibt es eine Reihe Tipps, die alle etwas mit gegenseitigem Vertrauen zu tun haben. Und einer lautet ganz einfach: „Es ist wichtig, dass Ihr jemanden habt, mit dem Ihr reden könnt.“

Von Axel Pries

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