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Antikmarkt in Alsfeld: Was sind das für Leute?Wo die Sammler ihre Leidenschaft leben

ALSFELD. Ein Turm auf dem Weinhaus? Da fragte Roland Schmied bei kundigen Leuten erst einmal nach. Aber es stimmt: Die alte Fotografie, die der Alsfelder anbietet, ist kein Fake. Es zeigt das Rathaus samt Nachbargebäuden um die Wende zum 20. Jahrhundert – und das Weinhaus hat einen Turm auf dem Dach. Roland Schmied ist einer der Händler beim monatlichen Antikmarkt in der Hessenhalle – in der Welt der kleinen Dinge, bei den Sammlern aus Leidenschaft.

Ja, man muss schon ein Gefühl „für die kleinen Dinge haben“, erzählt der Händler Ulrich Siebert, der mit einem großen Stand in der Hessenhalle vertreten ist. „Nur hier stehen und aufs Geschäft aus sein, geht auf Dauer nicht.“ Er muss es wissen: Der Wettenberger, der unter Kollegen auch als „der König der Postkarten“ bekannt ist, ist seit 35 Jahren im Geschäft und einer der Profis auf dem Alsfelder Antikmarkt. Es sei „die Liebe zum Detail, die Liebe zu den kleinen Sachen“, die den echten Antik-Händler ausmacht – und die ihn befähigt, den Kunden immer wieder Sammlerstücke anzubieten.

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Eine alte Sporturkunde: Roland Schmied kennt sich mit Alsfelder Historie gut aus.

Denn das sind viele Besucher des Marktes, der alle vier Wochen unter dem Dach der Alsfelder Hessenhalle stattfindet: Menschen, die mit Leidenschaft kleine, liebenswerte, mitunter schrullige Dinge sammeln. Und dabei gibt es nichts, was es nicht gibt. Es kommen Sammler, so erzählt eine Händlerin, die interessieren sich für alte Nachtwäsche oder alte Unterwäsche – bitte nicht repariert! Denen kann oftmals auf dem Antikmarkt geholfen werden. Das Angebot ist so vielfältig wie die Form der Stände.

Bei Roland Schmied gibt es das alte Werbeschild der ehemaligen Molkerei Römer aus Ulrichstein, ein paar Stände weiter olle Gemälde, die nur noch ein Sammler mit seltsamem Geschmack an seine Wand hängen dürfte, neben Porzellanfigürchen, bei denen man sich fragt, ob der Künstler vor lauter Kitsch nicht selbst blind wurde.

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Werte verfallen: Antik-Profi Ulrich Siebert hatte früher drei feste Läden bei Gießen.

Aber auch Münzen und Notgeldscheine, unzählige Postkarten, deren Beschriftungen mitunter menschliche Geschichten erzählen, technische Geräte, die auch Amazon  nicht mehr hervorkramen kann, alte Bücher und Zeitschriften, Hummel-Figürchen oder die unvermeidlichen Beethoven-Büsten können Interessierte erstehen. Man kann auch richtig Geld investieren. In den „Reiter von Kurpfalz“ zum Beispiel, ein halbmeter hohes Porzellan-Werk von Hugo Meissel, das neben einer gleichfalls schneeweißen Porzellan-Skulptur namens „Der wilde Reiter von Hirselberg“ auf Liebhaber wartet. Vier- bis fünftausend Euro, so verrät der Händler, muss ein Käufer dafür schon anbieten. Das muss dann wirklich Liebe  sein.

Kein Wunder, dass viele Besucher vor allem zum Schauen und Staunen kommen – zum Leidwesen der Händlerschaft. Vor allem jener, die von dem Handel leben, und das sind längst nicht alle auf dem Antikmarkt. Wer nachfragt, bekommt häufiger zu hören: Da gibt jemand seiner Sammlerleidenschaft mit der Handelsaktivität eine neue Facette hinzu – und seinem Leben eine interessante Tätigkeit.

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„Hält frisch“: Der 77-jährige Pensionär mit Melone ist ein lange bekanntes Gesicht auf dem Alsfelder Antikmarkt.

So macht es etwa die 69-jährige Frau Sommer – „Sommer! Mehr nicht“. Sie hat wahrlich Edles aus Kassel mitgebracht: Meissner Porzellan in vielen Formen. Das hat sie ihr Leben lang gesammelt, und seit sie Pensionärin ist, zieht sie damit über Antik-Märkte. „Mir gefällt das: Leute treffen, mich mit ihnen unterhalten – das habe ich zuhause nicht.“ Es sei aber auch gut, erzählt sie zugleich, dass sie von dem Handel nicht leben muss. Mitunter stehe man doch lange, um ein gutes Stück zu verkaufen.

Davon leben muss auch Bernhard Dietz nicht, der immer wieder seine Burg aus alten Büchern und Zeitschriften aufbaut. „Ich bin ein leidenschaftlicher Bücherfreund“, erzählt der Marburger, der im normalen Leben einem normalen Job nachgeht. Er sammelt Bücher, und weil er das schon lange tut, stecken ihm Kollegen, Freunde und Bekannte längst ihre alten Schmöker zu, mit denen er dann in Alsfeld handeln geht. „Man muss ein bisschen kommunikativ sein“, stellt er als Grundvoraussetzung für einen guten Händler fest. Aber es wird schwieriger: Seine Kundschaft, die alten Bücherfreunde, die sterben ihm buchstäblich weg. „Was mir fehlt, sind Kinder und Jugendliche, die sich für Bücher interessieren.“

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Bücherfreunde gesucht: Bernhard Dietz inmitten seiner ollen Schmöker.

Wandel dieser Art macht auch dem Antikmarkt-Profi Ulrich Siebert zu schaffen, dem Postkarten-König“. In  den „Glanzzeiten“, wie er sagt, da hatte er rund um Gießen noch drei Antik-Läden laufen. Das waren Zeiten, in denen man für einen „Frankfurter Schrank“ 70.000 Euro bekommen konnte. Heute gehen die für wenige Tausender übers Internet weg – ein dramatischer Werteverfall habe sich ausgebreitet. Die gute alte Handwerkskunst habe verloren: „Da legt heute keiner mehr Wert drauf.“ In der Folge musste auch Ulrich Siebert vor acht Jahren seine festen Läden schließen und tingelt heute mit ausgewählten Postkarten und feinem Porzellan von Markt zu Markt.

Da hat es sein Kollege gegenüber doch leichter, ein Pensionär aus dem Sauerland, der fröhlich erzählt: „Ich habe schon als kleiner Junge gesammelt.“ Das ist lange her, ist er doch heute 77 Jahre alt. Und er bietet sein Sortiment, das sich zwischen Stehlampe, alten Krügen und Porzellanpuppen bewegt, an, weil es ihm Spaß macht. Dieses Wochenende ist er in Alsfeld, nächstes im westfälischen Hamm. Dann macht er Pause, ehe er im Frühjahr gen Norden reist. „Es geht um Zeitvertreib, erzählt er, „und darum, dass wir frisch bleiben!“

Von Axel Pries

Eine Foto-Galerie gibt Eindrücke wieder:

Die Begegnung mit den Kleinigkeiten.

 

 

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