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Schwanger mit 19: eine GeschichteMehr Leben als jemals zuvor

VOGELSBERGKREIS (aep). Sie ist jung, hat gerade erst die Schule abgeschlossen. Sie könnte ins Leben starten, wie die meisten Jugendlichen ihres Alters es gerade auch tun: raus aus dem Nest, rein in die weite Welt. Aber Vivian hat Anderes vor. Was, das verrät ihre Erscheinung auf den ersten Blick: Die grazile Figur schiebt einen dicken Bauch vor sich her. Vivian, 19, aus dem Vogelsbergkreis wurde als Schülerin schwanger.

Eine Katastrophe? Vergeudete Jugend? Zukunft verbockt? Vivian sagt: nicht für mich. Im Gegenteil: Sie genießt das Gefühl des wachsenden Lebens in ihr, die Aussicht auf eine Aufgabe, die ihr ganzes Leben bestimmen wird. Und Vivian wundert sich über die Idee, diesen Schritt abzubrechen. Abtreibung? Das war für sie keine Option.

Vivian hat eine normale Teenagerzeit in einer Vogelsberger Familie Vogelsberg durchlebt, aber weil sie jetzt nicht von jedermann erkannt und angesprochen werden möchte, ist Vivian ein angenommener Name, sind Einzelheiten ihrer Biografie verändert. Sie lächelt bei der Frage, ob sie von der Schwangerschaft überrascht war: „Natürlich!“ Sie stand kurz vor dem Schulabschluss, war doch erst kurz zuvor mit ihrem Freund zusammengezogen. Den Schwangerschaftstest machte sie am frühen Morgen, „dann musste ich erst einmal zum Unterricht.“ Mittags rief sie ihren Freund an: „Der Test ist positiv!“ Aber erst, als ein Arzt das Ergebnis bestätigte, dämmerte ihr die Tragweite: „Da habe ich angefangen zu realisieren: Scheiße, jetzt ist es passiert!“ Und dennoch: Als der Arzt die Jugendliche fragte, ob sie das Kind behalten möchte, stand gleich fest: Eine Abtreibung kam nicht in Frage. „Mein Freund sagte gleich: ‚Ja‘! Und mir kam die Frage komisch vor. So beiläufig wie die Frage danach, ob man Kakao mit Sahne möchte oder ohne.“ Werdendes Leben zu zerstören – für Vivian keine Option.

Dann eben schwanger mit allen Konsequenzen. Und plötzlich war vieles anders, vor allem das Lebensgefühl. Ein Zentrum, ein Mittelpunkt, eine Aufgabe: Vivian spürte sich auf einmal mehr im Leben als jemals zuvor. „Ich habe vorher so vor mich hingelebt. Jetzt habe ich das Gefühl: Jetzt bin ich jemand!“ Sie, die sich vorher über die typische Pubertätsfrage – „Wer und was bin ich?“ – den Kopf zerbrochen hatte, fand endlich die Antwort, „dass ich schon jemand bin.“ Und zwar ohne Studium, ohne Karriere, einfach als junge Frau, die ihr Zentrum in sich wachsen spürt.

Klar, gibt es seither neue Fragen: „Studium? Das verschiebe ich erst einmal. Das ist aber nicht schlimm.“ Ausbildung, Beruf: So etwas lässt sich alles nachholen, sagt Vivian mit jugendlicher Zuversicht. Das Leben ist noch lang, sie hat ihren Freund, eine Bleibe, ein bescheidenes Auskommen – und genießt erst einmal die neue Aufmerksamkeit als schwangere Frau: „Ich war positiv überrascht. Es gab nur positive Reaktionen.“ Von den Eltern, aber auch von Freundinnen: „Die sind neugierig, wollen wissen, wie es sich anfühlt. Für die bin ich voll die Attraktion.“ Sie genießt auch das neue Körpergefühl und wundert sich über ältere, werdende Mütter, die in Vorbereitungskursen nur über Beschwerlichkeiten klagen. „Die kennen ihren Körper gar nicht“.

Ganz Jugendliche, wundert sie sich ohnehin über die Aufregung um ihr körperliches Wohlbefinden: „Die Schwangerschaft ist doch ein Zeichen, dass ich gesund bin.“ Ratschläge, für die Vielzahl von möglichen Diagnostiken häufiger zum Arzt zu gehen, empfindet der Teenager geradezu als Angstmache. Und meint: „Das ist nicht gut. Das überträgt sich aufs Kind“.

War denn ansonsten Schluss mit der Teenagerzeit? „Nö!“, lacht Vivian. Ausgehen und Partys sind geblieben. „Ich habe alles gemacht, was ich vorher auch gemacht habe. Nur ohne Alkohol.“ Kein Defizit. Im Gegenteil: Mit ihrer bevorstehenden Lebensaufgabe, so sinniert Vivian, hat sich vielen sinnsuchenden Altersgenossen etwas voraus. In einem Satz: „In der To-Do-Liste meines Leben kann ich an einer Stelle einen Haken machen.“

 

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