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Das Lingelbacher Dorfbad ist ein Paradebeispiel an ehrenamtlichen EngagementGemeinsam stark, oder anders: Ein Dorf geht schwimmen

LINGELBACH (kiri). Als die Sonne am höchsten stand, erstmals in diesem Jahr auch richtig brutzelte, war der Moment gekommen: Die Kinder – bewaffnet mit Gummistiefel und Fangnetzen – stiefelten in das fast leere Schwimmbecken: Molchjagd. Für die jüngsten Lingelbacher immer wieder das Highlight des Wochenendes, an dem der Frühjahrsputz des Dorfbades ansteht.

Jedes Jahr – eine Woche vor Saisoneröffnung – treffen sich 30 bis 40 Lingelbacher zum großen Reinemachen: Hecken werden geschnitten, Rasen gemäht, Unkraut gejätet, Platten gekärchert, Umkleidekabinen, Fenster und Kiosk geputzt sowie die Stühle und Tische gereinigt. Und, zum Schluss der sich jährlich wiederholenden zweitätigen Aktion, das Wasser des 25 Meter-Beckens abgelassen, dessen Wände und der Boden ordentlich geschrubbt und Ausbesserungsarbeiten an der Folie vorgenommen. Nach 48 Stunden schweißtreibender Arbeit von Ehrenamtlichen kann er kommen, der Sommer.

Über 30 ehrenamtlich Engagierte halfen am Wochenende mit, das Lingelbacher Dorfbad zu reinigen und für die Sommersaison startklar zu machen.

Nächstes Wochenende, Pfingstsonntag, ist die offizielle Saisoneröffnung. So lange dauert es auch noch, bis das Becken wieder mit frischem, klaren Wasser vollgelaufen ist. „Das Becken fasst 750 Kubikmeter. Wir lassen stündlich allerdings nur sechs Kubikmeter einlaufen“, erklärt Ralf Kaufmann, Lingelbacher und gleichzeitig Betriebsleiter der Alsfelder Stadtwerke. „Das dauert zwar fünf Tage, aber wenn wir es schneller einlaufen ließen, hätten sie oben im Dorf nicht mehr genügend Wasser zur Verfügung.“

Seit 10 Jahren betreiben die Lingelbacher ihr Dorfbad ehrenamtlich

Seit 2008 wird das Lingelbacher Dorfbad vom Dorfverein betrieben – sprich ehrenamtlich. Zwei Jahre zuvor, hatte die Stadt Alsfeld das letzte Mal das Bad unter seiner Regie geöffnet gehabt. Aus Kostengründen entschied man sich damals, das Bad zu schließen – vor allem die Personalkosten hätten zu Buche geschlagen. „Wir kämpfen schon seit Jahren um unser Schwimmbad“, erinnert sich Uwe Stein, ehemaliger Ortsvorsteher, an die letzten Jahrzehnte. „1983 wollten sie es schon einmal schließen. Aber das Dorfbad gehört zu Lingelbach, das wollen wir unbedingt erhalten.“

Selbst die Jüngsten packten mit an. Alle Fotos: Anja Kierblewski

Daher hatte der Ortsberat 2007 das Gespräch mit Alsfelds ehemaligen Bürgermeister Herbert Diestelmann gesucht, um eine Lösung zu finden, wie man das Bad doch weiter erhalten könnte. „Da vor allem die Personalkosten das Problem waren, fragten wir, ob wir das Bad weiter öffnen könnten, wenn wir es ehrenamtlich betreiben“, erläuterte Stein, wie es zu der Idee kam. Diestelmann war einverstanden.

Ziel anvisiert, Ausbildung als Rettungsschwimmer absolviert

So kam es, dass im Frühjahr 2008 – nach nur einer geschlossenen Saison – zehn Mitglieder des engagierten Lingelbacher Dorfvereins nach Alsfeld fuhren, um dort bei der Deutschen Lebensrettung Gesellschaft (DLRG) ihr Rettungsschwimmabzeichen in Silber sowie einen Erste-Hilfe-Kurs zu machen. „Da mussten wir erstmal feststellen, dass kaum einer von uns richtig schwimmen konnte“, lacht Stein, als er von den Anfängen erzählte. Doch bis zum Tag der Wiedereröffnung hatten alle mit sportlichem Ehrgeiz und anvisiertem Ziel die notwendigen Abzeichen gemacht, um die Badeaufsicht stellen zu können.

Dank der Landwirte und deren „Libagas“ sowie der Bürgerenergie Lingelbach kann das 25-Meter-Becken immer auf 25 Grad geheizt sein.

Nun geht das Bad in die zehnte Saison. Getragen wird es noch immer von dem unermüdlichen Einsatz Ehrenamtlicher, die in der Saison von Anfang Juni bis Anfang September täglich vier Dienste stellen: Zwei Aufsichtsdienste und zwei Kassen-/Kioskdienste. Möglich ist dies nur aufgrund des Lokalpatriotismuses der Lingelbacher, auf den sie zu Recht stolz sind.

Autarkes Dorf dank großem Engagement und Miteinander der Einwohner

Das von der Kernstadt Alsfeld zehn Kilometer weit entfernte Dorf mit rund 700 Einwohnern ist ungewöhnlich autark. Neben Bäcker, Metzger, Tankstelle, Raiffeisen-Baumarkt, Hundeschule, Gaststätten, sehr aktivem Vereinsleben und vor allem dem rührigen Dorfverein, sind dort noch die Westernstadt Lingelcreek und eben das Dorfbad.

Das Wort „autark“ fällt einem vor allem dann ein, wenn Uwe Stein und Ralf Kaufmann vom beheiztem Schwimmbad reden – eine Wassertemperatur von 25 Grad ist dadurch nämlich dauerhaft gewährleistet. Zu verdanken hat man das ebenfalls Lingelbachern: Dieses Mal den Landwirten. Diese betreiben unter dem Namen „Libagas“ Biogasanlagen, um Strom zu erzeugen. Das „Abfallprodukt“ Wärme speisen sie ins Nahwärmenetz der Bürgerenergie Lingelbach ein, die die technische Voraussetzung für das beheizte Schwimmbad geschaffen hat.

Moderne Technik, durch Ehrenamt finanziert: Der ehemalige Ortsvorsteher Uwe Stein zeigt stolz die Chlorgas-Warnanlage.

Apropos Technik: Diese ist eine der größten Herausforderungen im Dorfbad. „Das Bad – was früher und ja auch noch heute als Feuerlöschteich, sprich als Wasserreserve für die ortsansässige Feuerwehr, genutzt wurde – gibt es seit 1974. Die Technik dazu bereits seit 1972“, erinnert sich der ehemalige Ortsvorsteher. Immer wieder stehen Reparaturen an. Vergangenes Jahr hat der Dorfverein beispielsweise in zwei Umwälzpumpen und in eine moderne Chlorgas-Warnanlage investiert. „Die Kosten können wir glücklicherweise selbst als Verein tragen“, ist Stein auch ein wenig stolz. „Durch das ehrenamtliche Engagement bleibt ein wenig was hängen und durch unsere Events verdienen wir noch zusätzlich etwas.“

Durch Ideenreichtum in die finanzielle Unabhängigkeit

Events? Ja, die Lingelbächer sind umtriebig: Jeden Donnerstag gibt es After-Work-Swimming mit Gegrilltem, sonntags Familientag mit Kaffee & Kuchen und Mitte Juli – dieses Jahr am 15. und 16. Juli – das traditionelle Schwimmbadfest. Dafür wird ein Zelt auf dem frisch verlegten Rollrasen aufgestellt, in dem Sonntag ein Gottesdienst stattfindet. Am Tag vorher gibt es ein Salzekuchen- und Pizzafest mit anschließendem Lichterfest am Abend und nach dem Sonntagsgottesdienst dann noch einen gemütlichen Frühschoppen mit dem Lingelbacher Posaunenchor bei Spießbraten, Würsten, Steaks sowie Kaffee und Kuchen.

Süß zum Anschauen: Der Molch. Acht Stück davon retteten die Kinder aus dem winterlichen Feuerlöschbecken, der im Sommer zum beliebten Dorfbad wird – ohne Molche und Kaulquappen natürlich. Fotos: Anja Kierblewski

Öffnungszeiten des Lingelbacher Dorfbades

Die Atmosphäre in dem kleinen Dorfbad ist so schön, dass selbst aus den umliegenden Gemeinden Badegäste kommen. Und die haben genügend Gelegenheit dazu, denn das Bad ist ab Pfingstsonntag täglich von 15 bis 20 Uhr geöffnet, donnerstags wegen dem After-Work-Swimming bis 21 Uhr, samstags von 13 bis 20 Uhr und sonntags von 11 bis 20 Uhr.

Übrigens: Molche und Kaulquappen gibt es dann dort glücklicherweise keine mehr. Die, die über die Herbst- und Wintermonate Asyl im „Löschteich“ gesucht haben, wurden von den fleißigen Kindern eingesammelt und in Sicherheit gebracht: Acht Molche und rund 40 Kaulquappen – in Lingelbach ist man eben ganz in der Natur, hier wird es künftig ordentlich aus den Gartenteichen quaken.

Weitere Impressionen vom Arbeitseinsatz im Lingelbacher Dorfbad

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