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Vogelsbergkreis unterzeichnet Teilnahme am Landesprogramm 'Gewalt-Sehen-Helfen'Zivilcourage zeigen und bei Gewalt helfend einschreiten

LAUTERBACH (cdl). „Das Programm soll zum richtigen Helferverhalten führen“, sagte Landespolizeipräsident Udo Münch während der Eröffnungsveranstaltung des Landesprogramms ‚Gewalt-Sehen-Helfen‘ in der Aula der Sparkasse Oberhessen in Lauterbach am Mittwochabend.

Im Beisein von vielen Beamten der Polizeistation Lauterbach, der Kreisverwaltung und interessierten Bürgern unterschrieb Landrat Manfred Görig die Nutzungsurkunde zur Teilnahme am Landesprogramm für den Vogelsbergkreis. In Frankfurt gibt es das Programm bereits seit dem Jahr 1997, das seit dem Jahr 2005 vom ‚Netzwerk gegen Gewalt‘ in ganz Hessen verbreitet wird. „Wir freuen uns heute Gastgeber sein zu dürfen, wenn der Vogelsbergkreis einem sehr wichtigen Projekt ‚Gewalt-Sehen-Helfen‘ beitritt“, so das Mitglied des Vorstandes der Sparkasse Oberhessen Thomas Falk bei seiner Begrüßung. Alle im Raum seien sich sicherlich einig, dass Zivilcourage wichtig ist. In bestimmten Situationen dürfe man nicht wegschauen.

Gewalt-Sehen-Helfen

Landespolizeipräsident Udo Münch und Landrat Manfred Görig bei der Unterzeichung zur Teilnahme an ‚Gewalt-Sehen-Helfen‘.

Mit einem Kurzfilm und einem Rollenspiel stellte Ronny Günkel vom ‚Netzwerk gegen Gewalt‘ in Frankfurt im Schnelldurchlauf den Ablauf eines Seminares vor. Dabei gab er Einblicke, wie man als Unbeteiligter helfen kann, ohne sich selbst dabei in Gefahr zu bringen. Zunächst gelte es, Gewalt als solche zu erkennen. Für manche sei Gewalt bereits, wenn sich jemand an der Supermarktkasse vordrängle. Ihm gehe es jedoch um physische und psychische sowie strukturelle Gewalt.

Man setze immer auf eine opferorientierte Lösung. Das helfe sich in das Opfer hineinversetzen. Darüber hinaus biete diese Lösung dem Täter die geringste Angriffsfläche, damit man nicht selbst zum Opfer wird. „Es gibt immer eine Dynamik zwischen Täter und Opfer“, so Günkel. Anhand eines Videoclips beschrieb Günkel verschiedene Handlungsmuster.

Im ersten Fall sei die Handlung täterorientiert gewesen. Das könne sehr gefährlich für den Helfer werden. In der zweiten Szene mit der direkten Ansprache des Täters sei ebenfalls die Täterorientierung gegeben und das sei ebenfalls für den Helfenden gefährlich. Die dritte Variante sei nahezu die Optimalvorstellung, indem sich mehrere Menschen gemeinsam zum Helfen zusammenschließen und jeder eine andere Funktion übernimmt.

Erster Rollenspieleinsatz für die beiden ehrenamtlichen Vogelsberger Multiplikatoren

Mit Gudrun Stumpf und Eckhard Kömpf haben sich bereits zwei ehrenamtliche Freiwillige gefunden, die sich für das Projekt ‚Gewalt-Sehen-Helfen‘ schulen lassen, um später als Multiplikatoren selbst Präventionsseminare im Vogelsbergkreis zu geben. Stumpf erzählte, dass sie über die Mitarbeit im Vogelsberger Familienbündnis auf das Projekt aufmerksam wurde. Da habe sie sich gerne bereit erklärt, sich dafür zu engagieren. Die Schulungen für sie und Kömpf würden im Mai beginnen und danach könne es losgehen. Kömpf berichtete, dass er als Außenstellenleiter des „Weissen Rings“ mit der Thematik vertraut sei und selbst bis vor sechs Wochen noch Polizeibeamter war. Nach seiner kürzlichen Pensionierung habe er beschlossen, sich durch das Projekt weiterhin aktiv einbringen zu wollen.

Landrat Manfred Görig stellte die beiden Freiwilligen vor und berichtete, dass der Impuls zur Teilnahme des Landkreises aus dem Vogelsberger Familienbündnis gekommen sei. Elvira Idt vom Polizeipräsidium Osthessen habe bei Vorträgen das Landesprogramm dem Vogelsberger Familienbündnis vorgestellt. Rosemarie Müller und Magdalena Pitzer hätten dann beide vorgeschlagen am Programm teilzunehmen, was schließlich im Ausschuss einstimmig beschlossen worden sei. „Was mich so ein wenig umtreibt, ist, dass wir Gewaltsituationen meist gar nicht erkennen“, so Görig.

Dann mussten auch schon Stumpf und Kömpf in ihre fiktiven Rollen schlüpfen und im Anschluss dem Publikum ihre Gefühle schildern. Auch hier ging es zunächst nach einem Rempler um einen verbalen Schlagabtausch mit einer gewissen Aggressivität. In der zweiten Szene sollte dann das Bewusste anrempeln, um Streit zu suchen, ignoriert werden. Einfach weitergehen und so tun als wäre nichts gewesen, empfahl Günkel. Darüber hinaus sollte man sich den Fluch auf den Lippen sparen, denn dann habe der Täter, was er wolle und komme hinterhergelaufen.

Gewalt-Sehen-Helfen

Die beiden Impulsgeberinnen Magdalena Pitzer (l.) und Rosemarie Müller (r.) sowie die beiden Multiplikatoren Gudrun Stumpf (2. v.r.) und Eckhard Kömpf (M.) gemeinsam mit der Polizei und Landrat Manfred Görig.

Opferorientiertes Handeln war die klare Handlungsempfehlung am Mittwochabend

Obwohl im Rollenspiel nur ein eher harmloser Fall von Gewalt angedeutet wurde, nutzte Günkel die Gelegenheit, um in schwerwiegenderen Fällen vom Einsatz von Pfefferspray abzuraten. Das sei ein täterorientiertes Handeln. Dabei müsse man beachten, dass Bürger nicht geübt im Umgang mit Pfefferspray sind und man nicht wissen könne, ob das Gegenüber etwa unter Drogen- oder Alkoholeinfluss stehe. „Opferorientiert heißt, ich muss auf mich aufmerksam machen“, so Günkel. Beispielsweise könne man eine Trillerpfeife oder einen Schrillalarm mit sich führen, den es in der Drogerie oder mittlerweile bei manchen Kommunen zu kaufen gebe.

Normalerweise dauere ein Seminar zweieinhalb Stunden. Im Rollenspiel stelle man dort beispielsweise eine Situation im öffentlichen Personennahverkehr nach, wo sich viele Menschen gleichzeitig befinden. Ältere Menschen wies er daraufhin, lieber den Notruf einmal zu viel, als gar nicht zu wählen. Dass man eine Straftat begehe, wenn man sich geirrt habe und den Notruf umsonst gerufen habe, sei ein weitverbreiteter Irrglaube.

Der Gastgeber des Abends für die Sparkasse Oberhessen, Vorstandsmitglied Thomas Falk.

‚Gewalt-Sehen-Helfen‘: Kultur des Helfens und des Hinsehens etablieren

Gefühlt würden Gewalttaten zunehmen und seien nicht mehr nur auf die Ballungsgebiete beschränkt. „Es kommt näher“, so Falk. In einer Sparkassen Filiale in Florstadt habe erst kürzlich ein junger Mann direkt nach Betreten Bankangestellte angegriffen und randaliert. Dabei habe er die Bank nicht überfallen wollen. Glücklicherweise hätten couragierte Passanten eingegriffen. Außerdem sei das Phänomen Mobbing weit verbreitet, was ebenfalls eine Form von psychischer Gewalt sei. „Es ist ein weites Feld, leider mit Wachstumspotenzial. Ich wünsche, dass mit dem heutigen Startschuss die Kultur des Helfens und des Hinsehens hier im Vogelsbergkreis eine gute Entwicklung nimmt“, erklärte Falk. Er hoffe, dass sich viele Menschen dem Projekt anschließen und somit die Lebensqualität vor Ort weiter steige.

„Es kommt immer näher, ist etwas, was mich nachdenklich stimmt“, griff Münch die Worte des Gastgebers auf. Früher sei es zu Kirmesschlägereien gekommen und das sei es dann auch schon gewesen. Heute sei oft das Motiv für Gewalt kaum noch zu erkennen. Als Beispiel nannte er den Mord an einem Polizisten in Herborn, der gemeinsam mit seinem Kollegen lediglich einen Schwarzfahrer kontrollieren wollte. „Der scheinbar einfache Einsatz ist der Gefährliche und nicht der Banküberfall, zu dem wir fahren“, so Münch. „Deswegen ist Prävention so wichtig, um im Vorfeld an der Symbolik Gewalt zu erkennen“, erklärte Münch.

Bei dem Projekt ‚Gewalt-Sehen-Helfen‘ gehe es darum Gewalt zu erkennen und den Täter systematisch ins Leere laufen zu lassen, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Das Problem sei jedoch, dass Gewalt Angst erzeuge und das führe bei vielen Menschen automatisch zum Wegducken. Viele Menschen seien dann mit der Situation schlicht überfordert. „Hochachtung und Respekt für den Mut sich der Aufgabe ehrenamtlich zu stellen. Prävention kann nur eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sein“, lobte Münch die Bereitschaft von Stumpf und Kömpf. Abschließend wünschte er allen Beteiligten im Landkreis gutes Gelingen für das Projekt.

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