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300.000 deutsche Soldaten sind mittlerweile von Auslandseinsätzen zurückgekehrtKampfeinsätze hinterlassen Spuren bei Veteranen

ALSFELD (cdl). Seit 1999 befindet sich die Bundeswehr wieder in Kampfeinsätzen im Ausland. Mittlerweile waren bereits 300.000 deutsche Soldaten im Auslandseinsatz. Auch in Alsfeld hängen seit vergangenem Jahr die Gelben Schleifen als Zeichen der Solidarität mit den Soldaten, aber um die Veteranen wird sich noch wenig gekümmert.

Am Mittwochabend war der Soziologe Professor Dr. Michael Daxner auf Einladung des Rosa-Luxemburg-Club Vogelsberg in Alsfeld im Hotel Klingelhöffer zu Gast und referierte zum Thema „Bundeswehr im Kampfeinsatz – Heimkehrer, Veteranen, Helden?“

Daxner erzählte zunächst ein bisschen über seine Person und warum er sich mit dem Thema auseinandersetzt. „Nach meiner Überzeugung heißt Frieden Konfliktreglung“, so Dr. Daxner. Er selbst sei seit den späten 70er Jahren in der Friedensbewegung aktiv. Im Jahr 2000 sei für die Vereinten Nationen im Kosvo für Bildung und Wissenschaft zuständig gewesen und seit 2003 arbeite er in der Beratung und Forschung in Afghanistan.

„Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ist dazu da Konflikte zu regeln, aber er funktioniert leider nicht“, so Dr. Daxner. Eine höhere Instanz gebe es weltweit nicht. Der Kosovo und Afghanistan seien die ersten beiden Einsätze der Bundeswehr außerhalb des NATO-Gebiets gewesen, alle andern Missionen seien nicht explizit Militäreinsätze gewesen.

Deutschland braucht die Bundeswehr

„Wir sind von einer Wehrpflichtarmee zu einer Interventionsarmee geworden. Das wären wir sowieso aber nicht so schnell“, erklärte Dr. Daxner. Er selbst halte eine professionelle Armee für unverzichtbar. Wenn man keine Armee mehr habe, heiße das nicht automatisch Abrüstung, sondern private Sicherheit (Privat Security). Er warnte vor Söldnerarmeen, die agieren würden wie im 15. Jahrhundert. Bei diesen gebe es keinen Staatsanwalt, keinen Richter noch nicht mal ein Offizier könne diese im Zaum halten, machte er an einigen Beispielen deutlich. Daher sei es begrüßenswert, dass der Bundestag auch nicht mehr Rechte an die Exekutive abgeben habe.

Lieber eine etwas träge oft stehende Bundeswehr als eine private schnelle Eingreiftruppe, so sein Credo. Trotz der aktuellen politischen Lage hoffe er auf eine europäische Armee, um die Soldaten von den ’schlechten‘ Traditionen ihrer Länder ein Stück weit unabhängig zu machen. Aufgrund der deutschen Geschichte sei die Bundeswehr stark belastet, obwohl man in anderen Ländern auch nicht lange suchen müsse, um die dunklen Flecken zu finden.

Auf die Heimkehrer sind Gesellschaft und Staat nicht vorbereitet

Mittlerweile gebe es ungefähr 300.000 deutsche Einsatzrückkehrer. Im Kampfeinsatz seien 60 Soldaten gefallen und davon 55 in Afghanistan. Das sei gemessen an den Todesraten von Amerikanern, Briten, Kanadiern eine äußerst geringe Anzahl an Gefallenen. Das werde den Deutschen von den verbündeten Staaten immer wieder vorgeworfen, dabei werde jedoch außer Acht gelassen, in welchen Gebieten sie eingesetzt wurden.

Die Heimkehrer teilten sich in zwei Gruppen auf. Die Hälfte gehe zurück ins Zivilleben und die andere Hälfte bleibe bei der Bundeswehr. Jedoch würden viele aus dem zivilen Sektor in die Privat Security gehen. Durch die Auslandseinsätze würden sehr viele Ehen kaputt gehen, einige davon auch erst mehrere Jahre später. „Der Stammtisch weiß einfach zu wenig über die Veteranen“, so Dr. Daxner, daher müsse man bei dem Thema sensibilisieren. Die Öffentlichkeit wisse es nur, wenn es die eigene Familie oder die Nachbarn treffe. Man lese es in der Zeitung oder habe es im Tatort sehen können. Posttraumatische Belastungsstörungen seien nicht zu unterschätzen.

Jetzt gebe es ein großes Problem, denn 300.000 sei keine triviale Anzahl. Einige Veteranen versuchten, sich sozial gewerkschaftlich zu organisieren. Sie forderten eine anständige Rente und wollten wissen, welche Krankenkasse für Behandlungen zahle.

Keine einheitliche Gruppe bei Veteranen

Allerdings müsse man bei den Rückkehrern unterscheiden, weil es sich um keine heterogene Gruppe handele. Die Frage sei, ob einer Koch im Feldlager war, einen Bürojob am Computer hatte oder direkt in Kampfhandlungen verstrickt gewesen sei. Viele hätten die Feldlager nicht verlassen. Es hätten sich sogar Organisationen gebildet, die sich Einsatz-Veterane (war on contact) nennen. Weitere Splittergruppen würden sich wie eine Motorrad Gang organisieren und nur mit anderen Veteranen reden, die selbst im Kugelhagel waren. Man versuche alle Gruppen unter einen Hut zu bekommen, das klappe aber nicht. Darüber wer Veteran ist und welchen Status und welche Anerkennung er genießen sollte, könne man noch 500 Jahre diskutieren und wird nicht zu einer zufriedenstellenden Lösung kommen, so Dr. Daxner.

Die Veteranen würden offiziell geehrt, aber die Bewältigung ihres Schicksals werde privat gelassen. Da könnten Agitatoren reich ernten. Über alles was er forsche, werde ausnahmslos veröffentlich. „Ich habe viel mit, aber nie für die Bundeswehr gearbeitet“, beendete Dr. Daxner seinen Vortrag.

Der Veteran ein Held?

Im Anschluss entwickelte sich eine Diskussion mit mehreren Nachfragen. Dabei erzählten einige Gäste auch über ihre Zeit in der Bundeswehr während des Kalten Kriegs oder berichteten über die traumatisierte Vätergeneration aus dem Zweiten Weltkrieg. Es gebe auch heute noch HIAGs, Gemäßigtere und Veteranen, die gar nicht mehr das Haus verlassen wollten.

Im Laufe der Diskussion kam auch die Frage nach dem Veteranen als Helden auf. In empirischen Untersuchungen hätten sich verschiedene Rollenbilder bei den Heimkehrern ergeben, berichtete Dr. Daxner. Die größte Gruppe sei die „Opfergruppe“. Man verstehe sich selbst als Opfer und klage darüber, dass das Essen und die Ausrüstung schlecht gewesen seien. Außerdem danke das Vaterland nicht für den Einsatz. Die Gruppe werde oft als abgehängte Gruppe bezeichnet. Das treffe aber nicht zu, weil sie es nicht seien und schon vorher nicht den Platz in der Gesellschaft gefunden hätten und auch heute noch nicht haben.

Eine weitere Gruppe seien die Kämpfer, die sich selbst als Fighter bezeichneten, aber eher Technokraten seien. Die nächste Gruppe sei nicht sehr groß. Sie würden sich selbst als Täter wahrnehmen, die ihre Befehle habe ausführen müssen. Des Weiteren gebe es noch die Gruppe der Chronisten. Sie wollten durch ihre Berichte die Lehrpläne verändern. Bei dieser Gruppe habe man erwartet, dass sie verstärkt am rechten Rand auftrete. Jedoch sei dort das komplette Spektrum zu finden und rechte Tendenzen seien die Ausnahme. „Der eigentliche Konkurrent des Veteranen ist der tote Held. Er sitzt in Walhalla“, so Dr. Daxner.

In der deutschen Wahrnehmung sei das Verhältnis zu den Veteranen aufgrund der Wehrmacht immer noch stark belastet. In Frankreich dagegen herrsche Sympathie für die Kriegsversehrten, denen große Empathie entgegengebracht werde.

Unsichtbare Rückkehrer?
Zum fast identischen Thema gab Dr. Daxner dem RBB zu Beginn des Jahres ein Radio-Interview. Der Podcast ist online abrufbar.

 

2 Gedanken zu “Kampfeinsätze hinterlassen Spuren bei Veteranen

  1. Zitat:“Lieber eine etwas träge oft stehende Bundeswehr als eine private schnelle Eingreiftruppe.“
    Aber im gleichem Atemzug eine EU Armee bfürworten, die nichts anderes ist, wie Imperiale Kräfte, die genauso unabhängig operieren können, wie die Amerikaner. Eine EU Armee braucht dann keine Zustimmung mehr vom Deutschen Bundestag, sondern kann als schnelle Eingreiftruppe agieren, die Weltweit einsetzbar ist und kein “ N A T O “ Mandat benötigt.
    Wenn so die Zukunft aussehen soll, dann möchte ich keine EU mehr haben.
    Es gibt einfach zu viele Träumer, die eine EU haben möchten, wie vergleichbar mit den Vereinigten Staaten von Amerika.
    Ich hoffe, das ich dies nie erlebe.
    Das Übel bei Soldaten, die aus dem „Krieg“ wieder in die Heimat zurückkehren ist, das viele es schwer haben in einem normalen Alltag zurückzufinden.

  2. Als im bzw nach dem 1. Weltkrieg die ersten „Kriegszitterer“ auffielen, wurden sie zuerst sogar als Simulanten bezeichnet!

    Meines Erachtens ist dieses Thema vergleichbar mit traumatisierten Feuerwehrleuten nach problematischen Brand – oder Unfallhilfe-Einsätzen. Dort stehen Notfallseelsorger sogar (teils unmittelbar) beim/nach dem Einsatz als Ansprechpartner bereit. Insofern dürften diese Themen doch längst „mitten in der Gesellschaft angekommen“ sein.

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