Kultur3

Kommentar zur Einstellung des Gelnhäuser TageblattsWer gute Nachrichten will, der muss dafür bezahlen

MEINUNG | Der Gießener Anzeiger schließt seine Druckerei, Titel wie die OZ werden zukünftig woanders gedruckt. Das Gelnhäuser Tageblatt, eine Zeitung mit einer über 180-jährigen Geschichte, wird sogar eingestellt. Es ist auf tragische Weise ironisch, dass das Blatt dies seinen Lesern ausgerechnet über Facebook mitteilte. Der Wandel der Medienwelt stellt auch die Nachrichtenmacher in unserer Region vor enorme Herausforderungen. Ein Kommentar von Juri Auel.

Neulich erreichte die Redaktion von Oberhessen-live eine E-Mail. Darin äußerte sich ein Leser kritisch über einen Artikel – und das Erscheinungsbild unseres Portals. Sein Urteil: zu viel Werbung. Überall bezahlte, blickende Banner, die zum Kauf und Konsum animieren. Wie solle da noch eine freie Berichterstattung möglich sein? Am Schluss teilte der Herr mit, er werde sich in Zukunft woanders informieren.

Als ich diese Zeilen las, war ich hin und her gerissen. Auf der einen Seite war ich voller Zustimmung, weil er etwas ansprach, was ich sehr gut nachvollziehen konnte. Auf der anderen Seite brodelte es in mir vor Zorn, weil mich seine Ignoranz und Arroganz wütend machten.

+++ EINE PUBLIZISTISCHE STIMME VERSTUMMT +++Der Main-Kinzig-Kreis verliert eine prägende publizistische Stimme. Am 31….

Posted by Gelnhäuser Tageblatt on Donnerstag, 26. Januar 2017

Es stimmt, jede Zeitung, in der sich Anzeigen buchen lassen, macht sich ein Stück weit abhängig, ist mitunter sogar beeinflussbar. Denn was tun, wenn der große Anzeigenkunde plötzlich wegen eines kritischen Berichts über ihn abspringt und keine Werbung mehr schaltet? Dieses Problem hatten Zeitungen schon immer, doch sie hatten auch etwas in der Hinterhand, womit sie die Folgen einer solchen Drohung abfedern konnten: Diese Wunderwaffe waren die Abos ihrer Leserschaft.

Heute ist das anders. Schuld daran haben die Verlage selbst. Als dieses neue Ding namens Internet aufkam, waren sie euphorisch. Viele wollten mitmachen, die Informationen digital an den Leser bringen, ganz ohne Druckkosten. Finanzierung? Ach, das regeln wir später. Eine Zeitung nach der anderen kippte ihre Informationen für lau ins Netz. Eine Ursünde, deren Folgen nun eine ganze Branche gefährden. Die Print-Abozahlen sinken stetig, auch bei uns in der Region. Verzeichnete die OZ im Jahr 2000 beispielsweise noch eine Druckauflage von etwa 8000, waren es im letzen Quartal gut 1500 Exemplare weniger.

Kein Geld + keine Qualität = kein Geld

Im Netz haben sich derweil die Leser längst an die Gratiskultur gewöhnt. Die Versuche kleinerer und größerer Verlage, mit digitalen Abos und Bezahlschranken doch noch Geld zu verdienen, laufen alle mit eher mäßigem Erfolg. „Bezahlen? Für Nachrichten? Wieso das denn plötzlich?“, denkt sich ein Großteil der Leser. Einige sagen, sie seien ja bereit für Nachrichten weiterhin zu bezahlen – wenn die Inhalte denn auch etwas taugen würden. Aus Kostendruck dampfen die Verlage ihre Redaktionen ein, die Qualität der Erzeugnisse sinkt, wodurch die Leser noch weniger bereit sind, dafür zu bezahlen: Ein Teufelskreis, aus dem es augenscheinlich kein Entrinnen gibt.

Somit ist Werbung das einzige Mittel, was kleinen und größeren Medienunternehmen bleibt, um mit ihrer Arbeit Geld zu verdienen. Ich persönlich wäre froh, wenn es auf Oberhessen-live keine Anzeigen gäbe. Doch was ist die Alternative? Es gibt (aktuell) keine. Wir haben versucht, uns mit freiwilligen Spenden über Paypal zu finanzieren. Um völlig unabhängig sein zu können. Nach mehreren Wochen und einem nicht nennenswerten Betrag auf unserem Konto haben wir das Experiment eingestellt.

Deswegen gibt es bei Oberhessen-live so viele Werbebanner – mit denen sich im Übrigen weitaus schwerer Geld verdienen lässt als mit Anzeigen in einer Printzeitung. Und weil Texte wesentlich mehr Aufmerksamkeit bekommen als eine blinkende Pixelfläche, können Firmen bei uns auch Werbung in Form eines Artikels schalten. Doch diese Texte sind deutlich mit den Begriffen „Anzeige“ oder „Sonderthema“ gekennzeichnet. Die Redaktion von Oberhessen-live hat die Selbstverpflichtung zur Einhaltung des deutschen Pressekodex`für digitale Medien unterschrieben und sich somit freiwillig zu dieser Transparenz verpflichtet. Mehr können wir nicht tun, wenn wir nicht umsonst arbeiten und trotzdem unsere journalistischen Standards bewahren möchten.

Lokalzeitungen:  Wächterinnen der Demokratie

Die treuen Leser des Gelnhäuser Tageblatts wird der Verlust ihrer Zeitung schmerzen. Ja, eine Lokalzeitung schreibt viel über Hasenzüchter und Hobbygärtner – aber es sind die Hasenzüchter und Hobbygärtner, die wir persönlich kennen. Es sind unsere Nachbarn, Freunde und Verwandten. Eine gute Lokalzeitung – sei sie auf Papier gedruckt oder digital – ist ein Stück Identität, ein kleines Stückchen Heimat. Sie schafft ein gesundes Wir-Gefühl auf kleinster Ebene. Und eine gute Lokalzeitung ist – das mag jetzt etwas pathetisch klingen – auch so etwas wie die Wächterin der Demokratie in ihrer Region.

Leser und Verlage müssen sich beide gut überlegen, wie sie die aktuelle Entwicklung aufhalten können, damit all dies nicht verloren geht.

Wer lokale und überregionale Zeitungen möchte, die den Trumps dieser Welt auf die Finger schauen, die Gerüchte widerlegen, ausgewogen berichten, Lügen aufdecken, Pressemitteilungen von Polizei, Parteien und Firmen nachrecherchieren und eben nicht ungeprüft „Fake News“ verbreiten – der muss bereit sein, dafür zu zahlen. (Ausgewogen berichten heißt übrigens nicht gegen die Herkunft möglicher Krimineller zu hetzen, nur weil das dem Stammtisch gerade passt.) Auf der anderen Seite müssen Journalisten und Medienmacher sich Gedanken über die richtigen Formate machen und eine Qualität abliefern, für die die Leser auch bereit sind, Geld auszugeben. Ansonsten werden dem Schicksal des Gelnhäuser Tageblatts noch viele andere Zeitungen folgen.

Wer sich jetzt Sorgen um Oberhessen-live macht, kann übrigens beruhigt sein. Wir können den Herrn, der sich ab jetzt wo anders informieren möchte, recht gut verkraften. Im vergangenen Monat verzeichnete unser Magazin 170.000 Leser. Tendenz steigend. Und auch unser Anzeigenteam hat ziemlich gut zu tun.

3 Gedanken zu “Wer gute Nachrichten will, der muss dafür bezahlen

  1. Der Niedergang des GT war schon einige Zeit vorhersehbar. Fehler in der Führung, speziell im Verlag in Gießen, führten dazu dass der Verlag Naumann immer stärker wurde. wenn man sich dem Schicksal ergibt, darf man sich nicht wundern. Naumann hatte ja auch versucht in Alsfeld Fuß zu fassen, aber hier hat man agiert und den Eindringling erfolgreich zur Aufgabe gezwungen.

  2. Wer gute Nachrichten will,der muss dafür bezahlen!
    Falsch: Wer seine Nachrichten auch „postfakttische“ verbreiteten will,der muss dafür am meisten bezahlen.

  3. Das Sterben von kleinen Lokalzeitungen wird weitergehen und weitergehen. Weil für die maximal 2 interessanten und wichtigen Artikel pro Tag keiner eine ganze Zeitung bezahlen möchte.

Comments are closed.

Schreibe einen Kommentar

Bitte logge Dich ein, um als registrierter Leser zu kommentieren.

Einloggen Anonym kommentieren