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Ein mittelalterlicher "Ritterbund" stellte sich im 14. Jahrhundert gegen die Landgrafen„Krieg der Sterner“ auf Burg Herzberg?

Im August 1371 zog ein Heer der hessischen Landgrafen vor der Burg Herzberg auf. Dort hatten sich Mitglieder der „Gesellschaft vom Stern“ verschanzt, eine Organisation von regionalen Adligen, die sich gegen die Landgrafen aufgelehnt hatte. Es kam zu einer Belagerung, an deren Ende sich das landgräfliche Heer zurückziehen musste.

Weitere Auseinandersetzungen führten zu niedergebrannten Dörfern, Überfällen, Schlachten, Inhaftierungen und Enthauptungen einzelner „Sterner“. Wie war es dazu gekommen? Aus welchem Grund gab es die „Gesellschaft vom Stern“ (den sogenannten „Sternerbund“) und wie war er organisiert? Wer waren die Anführer und welche Ziele verfolgten sie?

Unsere heutigen Vorstellungen vom Mittelalter sind geprägt von Serien, Filmen, Fantasy-Büchern und Mittelaltermärkten, in denen eine faszinierende, weil irgendwie einfachere Welt voller Kuriositäten, Könige und Ritter scheinbar zum Leben erweckt wird. Gestaltet man die Geschichte des Sternerbundes wie eines dieser modernen Märchen, entsteht dabei die Erzählung über ein paar Rebellen in Oberhessen, die sich zusammentun, um der stärker werdenden Macht der hessischen Landgrafen etwas entgegenzusetzen.

Man vereinbarte als geheimes Zeichen einen Stern, der als Abzeichen unter der Kleidung getragen wurde, und traf sich heimlich zur Wahl eines Hauptmannes. Weitere Inhalte der Treffen sind nicht bekannt, genauso wenig finden sich Aufzeichnungen der Ziele des Bündnisses. Es gibt also viel Raum für Fantasie und Interpretation. Geschichten von Rebellion gegen düster erscheinende politische Mächte füllen, beispielsweise in Form der „Star Wars“ – Filme, mittlerweile schon seit Jahrzehnten Kinos weltweit. Hat sich also im 14. Jahrhundert so etwas wie ein „Krieg der Sterner“ – mit Lanzen statt Laser-Kanonen – auch in Oberhessen ereignet?

Die Gegend um Alsfeld, Ziegenhain und Hersfeld war Grenzgebiet

Natürlich ist die Wirklichkeit komplexer. Weder sind die Rollen klar verteilt, noch ist der Begriff „Krieg“ für dieses historische Phänomen passend. Außerdem muss man sich die Lebensbedingungen und die politische Landkarte Oberhessens im ausgehenden 14. Jahrhundert vor Augen führen (siehe Karte). Die Gegend um Alsfeld, Ziegenhain und Hersfeld war das Grenzgebiet zwischen dem nördlichen und südlichen Einflussbereich der Landgrafschaft Hessen und der Abtei Fulda. Besonders die Grafschaft Ziegenhain tritt dabei hervor: Sie unterbrach die Landverbindung zwischen den beiden Teilen der landgräflichen Gebiete und war aufgrund ihrer Lage strategisch wichtig, weil eine wichtige mittelalterliche Handelsstraße, die „kurze Hessen“, durch die Region führte.

Sternerbund

Das mittelalterliche Hessen war in verschiedene Einflussbereiche aufgeteilt. Karte: gemeinfrei Sternerbund

Gleichzeitig waren die Lebensumstände der Bevölkerung geprägt von Not und Armut: Die als „schwarzer Tod“ bekannte Pest-Pandemie der Zeit nach 1348 hatte auch weite Teile Hessens entvölkert, ganze Dörfer mussten aufgegeben werden: Bauern verließen ihre Höfe, gingen in die Städte oder zogen umher. Allein im Umkreis von zwölf bis 15 Kilometern um Alsfeld wurden circa 60 Dörfer aufgegeben, wie der Historiker Karl Siegmar von Galéra berichtete. Die Landwirtschaft litt unter dem Mangel an Arbeitskräften und der allgemeinen Landflucht.

Sternerbund fand zahlreiche Unterstützer

Landgraf Hermann II. strengte zusätzlich Reformen an: Er entließ Verwaltungsbeamte, machte Kürzungen in der Hofhaltung und war bestrebt, lokale Adlige in seine Herrschaftsbeziehungen einzubinden (zu „mediatisieren“), was weniger Autonomie und neue oder höhere Abgaben bedeutete. Es scheint also naheliegend aus der Sicht der Grafen von Ziegenhain, sich dagegen aufzulehnen. Hinzu kam der Einfluss des Otto von Braunschweig, dessen Schwester mit einem der Grafen von Ziegenhain verheiratet wurde und der einer der Hauptakteure des Sternerbundes war. Außerdem hatte er auch Chancen auf das Erbe der Landgrafschaft gehabt. Über ihn urteilt eine zeitgenössische hessisch-thüringische Chronik allerdings sehr deutlich: Otto habe bereits zu Lebzeiten des amtierenden Landgrafen mit seinem Erbe geprahlt und er wäre auch dessen Erbe geworden, hätte „er sein Maul gehalten“. Als der Landgraf nämlich von dieser Prahlerei erfuhr, habe er erbost dafür gesorgt, dass alle Chancen Ottos auf den Landgrafentitel vereitelt wurden.

Außer der Möglichkeit des Erbes bot sich im Mittelalter die Fehde als gewaltsame Möglichkeit, die eigene Machtposition zu stärken: Die politischen Verhältnisse waren keineswegs so fest gefügt, dass man nicht auch die Gegenseite mit Gewalt dazu zwingen konnte, die eigenen Ansprüche anzuerkennen. Und auf den ersten Blick schienen die Chancen des Sternerbundes nicht schlecht: sie fanden zahlreiche Unterstützer im Niederadel der umliegenden Länder und schufen ein Netzwerk von Mitgliedern, das sich weit über Nieder- und Oberhessen, die Wetterau, Thüringen, Westfalen und Sachsen erstreckte und insgesamt circa 350 Burgen umfasste.

Das Wappen der Grafen von Ziegenhain enthält einen sechsstrahligen Stern, der auch Erkennungszeichen des Sternerbundes war. Grafik: Public Domain

Kein Krieg, sondern Fehdehandlungen

So stellten sich unter anderem die Reichsabtei Fulda, die Abtei Hersfeld, das Kurfürstentum Mainz und zahlreiche Grafen, Ritter und freie Herren als Mitglieder des Sternerbundes dem Landgrafen entgegen. Gerüchten zufolge wurde das geheime Zeichen des Sterns selbst am landgräflichen Hof von Einigen unter der Kleidung getragen, um bei einem Umsturz schnell auf die Seite der Sterner wechseln zu können. Die Fehdehandlungen begannen im Frühjahr 1372 mit der Verschickung von Fehdebriefen, die bei dieser Art der gewalttätigen Auseinandersetzung vorgesehen waren. Ziel solcher Formen gewaltsamer Selbsthilfe war es, dem Gegner zu schaden, indem man beispielsweise dessen Ländereien verwüstet oder Besitz raubt. Große Schlachten gab es bei Fehdehandlungen eher selten.

Im weiteren Verlauf der Auseinandersetzungen fanden einige kleinere Scharmützel und gegenseitige Überfälle statt, nach der Belagerung der Burg Herzberg wurden mit Abzug der landgräflichen Truppen die Orte Neukirchen und Schwarzenborn niedergebrannt. Die Schädigung von Bauern, das sogenannte „Bauernschinden“ war eine verbreitete Fehdehandlung, die dazu diente, die Versorgung des Gegners abzuschneiden und die eigenen Truppen zu verpflegen. Dazu gehörten Viehraub, das Fällen von Obstbäumen, niederbrennen von Scheunen, Ställen und Bauernhäusern sowie die Verwüstung von Feldern. Das verstärkte die Not zusätzlich und führte zu weiterer Armut und Landflucht. Fehdehandlungen zwischen Sternerbund und den Anhängern der Landgrafen fanden bis 1373 statt, bis schließlich nach einer größeren Schlacht bei Wetzlar mehrere Hauptleute des Sternerbundes gefangen genommen und enthauptet wurden.

Auf der Burg Herzberg werden noch heute Mittelalterfeste gefeiert. Foto: aep/archiv

Landgrafen gewannen immer mehr Verbündete

So viele Mitglieder der Sternerbund auch hatte, gab es ebenso immer zahlreichere Gegner. In den Online-Archiven des Landesgeschichtlichen Informationssystems (LaGIS) finden sich reihenweise Fehdebriefe an die Adresse der Grafen von Ziegenhain sowie schriftliche Ankündigungen, dem Sternerbund nicht beitreten zu wollen. Landgraf Hermann II. gewann immer mehr Verbündete und auch die Unterstützung der Städte war ihm sicher, die ihrerseits in der Kooperation mit dem Landgrafen die eigene Position gegenüber dem lokalen Niederadel stärken konnten. Die Grafen von Ziegenhain hatten somit immer weniger Unterstützer und die kostspielige Fehde war eine große finanzielle Belastung. So verlor der Sternerbund an Bedeutung und stellte schließlich keine Bedrohung mehr für das landgräfliche Einflussgebiet dar. Im Jahr 1450 wurde die Grafschaft Ziegenhain schließlich an die Landgrafen vererbt, womit eine durchgehende Landverbindung zwischen Niederhessen (Kassel) und Oberhessen (Marburg) im eigenen Einflussbereich geschaffen war.

Fazit: Sternerbund keine Vorlage für filmreife Geschichte

Aus der Geschichte vom „Krieg der Sterner“ wird also mit ein wenig Recherche und genauerem Hinsehen ein kompliziertes Geflecht aus Einzelinteressen, die mithilfe eines politischen Zusammenschlusses durchgesetzt, gegeneinander aufgewogen und sogar teilweise mit Gewalt bestritten wurden. Weder wird Landgraf Hermann dabei zum diabolischen Imperator, noch werden Otto von Braunschweig und die Grafen von Ziegenhain dabei zu verzweifelten Helden im Kampf für das „Gute“. Aus einer packenden Geschichte ist ein nüchternes Nachdenken geworden und diese Episode aus dem Mittelalter glänzt möglicherweise nicht mehr so bunt wie dessen heutiger Abklatsch in bunten Ritterkostümen. Gleichzeitig wird das Handeln der Beteiligten greifbarer und ihre Entscheidungen vielleicht etwas nachvollziehbarer.

Fehden versuchte man seitens des Hochadels mit Landfriedensregelungen zu begegnen, die schon im 6. Jahrhundert belegt sind. Damit ließen sich solche Auseinandersetzungen zwar in einzelnen Landstrichen einschränken, als erster überregionaler Landfrieden gilt jedoch erst der im Jahr 1495 von Kaiser Maximilian I. Ausgerufene „ewige Landfrieden“. Das Wechselspiel zwischen Fehden und deren Eindämmung ist vor dem Hintergrund der Herausbildung des modernen Staates und dessen Gewaltmonopol zu sehen. Die Geschichte militanter Gruppen, Privatmilizen und ähnlicher gewalttätiger Zusammenschlüsse kennt dennoch viele weitere Beispiele und ist auch keineswegs abgeschlossen.

Von Sascha Reif

Quellenangaben für Geschichtsinteressierte
Links:

LaGis online (Hrsg.): Regesten der Grafen von Ziegenhain, Stichwort: „Sternergesellschaft“, URL: http://www.lagis-hessen.de/de/subjects/xsearch/pageSize/30/sn/zig?sache=Sternergesellschaft, letzter Zugriff: 14.01.2017

Stefan Grathoff: Fehde, in: Institut für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz e.V. (Hrsg.): Glossar Regionalgeschichte, URL: http://www.regionalgeschichte.net/bibliothek/glossar/alphabet/f/fehde.html, letzter Zugriff: 14.01.2017

Literaturangaben:

Karl E. Demandt: Geschichte des Landes Hessen, 2. Auflage. Kassel: Bärenreiter Verlag 1972

Karl Siegmar Baron von Galéra: Geschichte der Stadt Alsfeld. Alsfeld: Eigenverlag der Stadt Alsfeld 1974

Frank-Lothar Kroll: Geschichte Hessens. München: C.H. Beck Verlag 2010

Georg Landau: Die Ritter-Gesellschaften in Hessen, während des vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts : mit einem Urkundenbuche. Kassel: Bohné Verlag 1840, online verfügbar unter: http://www.mdz-nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb10022670-6

 

 

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