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Die Belagerung der Stadt Alsfeld vor 370 Jahren und was vielleicht aus der Stadt hätte werden könnenMittelalterliche Metropole und ländliche Kleinstadt

ALSFELD (ep). Vor 370 Jahren eroberte General Geiso die Stadt Alsfeld. Ein Großbrand und Raubzug sorgte für einen der größten Einschnitte in der Geschichte Alsfelds.

Gelegen an der Handelsroute „Kurze Hessen“ entwickelte sich Alsfeld im Spätmittelalter zu einer der 30 größten Städte des Deutschen Reiches. Seit dem 12. Jahrhundert gab es in Alsfeld eine Münzprägungsstätte, ihre Stadtrechte erhielten die Alsfelder im Jahr 1222. Im 13. Jahrhundert errichtete man die heutige Walpurgiskirche und gründete das Augustinerkloster. Eine große Stadtmauer (fünf Meter hoch und 2,5 Meter breit) bauten die Alsfelder im 14. Jahrhundert. Im 16. Jahrhundert entstanden dann zahlreiche Bauten am Amthof, in der Oberen Fulder Gasse aber auch am Marktplatz: Bücking-Haus, Hochzeitshaus, Rathaus und Weinhaus. Alsfeld hatte sich innerhalb weniger Jahrhunderte zu einer Handelsmetropole mit 428 Bürgern (etwa 2.000 Einwohner) im Jahr 1628 entwickelt.

Im Jahr 1635 erreichte die Pest die Stadt und forderte rund 560 Opfer. Der Dreißigjährige Krieg (1618 bis 1648) sorgte dann für einen der schärfsten Einschnitte in der Geschichte der Stadt Alsfeld. Im sogenannten Hessenkrieg von 1645 bis 1648 lag Alsfeld an der Grenze der beiden Konfliktparteien Hessen-Darmstadt und Hessen-Kassel. Die Stadt unterstand im Jahr 1646 dem hessen-darmstädtischen Generalleutnant Ernst Albrecht von Eberstein; in Alsfeld wurde der darmstädtische Kommandant Seidler stationiert.

Mit „600 Mann Infanterie, 15 Kompanien Reiter, 12 Kartaunen und 2 Feuermörsern“ begann der niederhessische General Johann von Geiso am 2. Oktober 1646 die Stadt Alsfeld anzugreifen. Vom Mainzer Tor bis zum Frauenberg stellte er seine Truppen auf. Über die Ereignisse des Tages meldete Seidler an Eberstein: „daß der Feind von 5 biß wieder 5 Uhr continuirlich geschoßen und über 50 Cranaten eingeworffen, acht Heußer und Scheuern, viel Frucht verbrandt […]. Allein die armen Bürger fürchten sich des Brandes wegen Frucht und Strohes, sie thun bey mir wie ehrliche Leute mit Wachen und Arbeiten wie die Soldaten, wünsche sie nicht besser, seindt resolvirt, Leib und Gut ufzusetzen“.

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Die Gaststätte „Zur Gemütlichkeit“ am Amthof

Das Mainzer Tor wird gesprengt

Doch am Vormittag des 5. Oktobers sprengten die „Niederhessen“ mit einer Mine das Mainzer Tor. Die Alsfelder leisteten weiterhin tapfer Widerstand. Als die Munition auszugehen drohte, waren es Alsfelds Bürgermeister Conrad Haas und Pfarrer Georg Eberhard Happel, die gemeinsam auf das Pfarrhaus kletterten, um die Dachrinnen aus Blei abzureißen, damit sich die Alsfelder mit weiterer Munition verteidigen konnten. Als Gedenken an dieses Ereignis wurden zwei Straßen in Alsfeld nach diesen Männern benannt. Währenddessen sammelte General Eberstein seine Truppen bei Grünberg, um von dort aus den Alsfeldern zu Hilfe zu eilen. Doch schließlich musste Pfarrer Happel gegenüber General Geiso die Kapitulation anbieten. Alle Alsfelder wurden in das Rathaus „gepfercht“ und es galt das 24-Stunden-Plünderungsrecht. Die Truppen Hessen-Darmstadts erreichten Alsfeld nicht mehr rechtzeitig. Insgesamt 306 Gebäude der Stadt wurden an diesen Tagen vernichtet.

Im Jahr 1648 ist nur noch eine Bevölkerungszahl von 1.120 Einwohnern bekannt. Knapp die Hälfte der Alsfelder Bevölkerung wurde in gerade mal 20 Jahren ausgelöscht. Der plötzlich weggefallene Besitz mag der Grund sein, weshalb sich viele Alsfelder vom Handwerk und Handel zurück auf die Landwirtschaft und damit die Sicherung ihrer Grundbedürfnisse besannen.

Was wäre, wenn die Truppen Hessen-Darmstadts rechtzeitig die Stadt Alsfeld zur Verteidigung erreicht hätten? Wenn es nicht zu der großen Zerstörung gekommen wäre? Alsfeld hatte bereits im Mittelalter eine große Tuch- und Stoffzunft aufgebaut. Daran erinnern bis heute die Straßennamen „Blaupfütz“, „Färbergasse“, „Grabbrunnen“ (von der Pflanze Krabb), „Leinwebergasse“ und „Wollwebergasse“. Das „Alsfelder Tuch“ galt als überregional bekannt. Die Alsfelder Bürger hätten ihre Handwerke und den Handel wohl weiter vertieft. Alsfeld hätte sich zu einer noch größeren Stadt entwickelt, mit noch mehr Handel, mehr Häusern und mehr Einwohnern. Alsfeld hätte sich zu einem Oberzentrum fortentwickelt. Doch vermutlich hätten die alten Fachwerkhäuser nicht lange standgehalten. Die „steinreichen“ Alsfelder hätten ihre Häuser durch Sandsteingebäude ersetzt.

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Der Blick die Obere Fulder Gasse hinunter

Im 19. Jahrhundert wäre vermutlich eine Eisenbahn-Fernlinie mit Halt in Alsfeld entstanden. Und zu guter Letzt: Als 1945 aus der Provinz Kurhessen, Nassau und dem Volksstaat Hessen(-Darmstadt) das heutige Land Groß-Hessen gegründet wurde, kam es zur Hauptstadtfrage. Darmstadt, Frankfurt und Kassel kamen wegen schwerer Kriegszerstörungen als Landeshauptstadt nicht infrage. Sicher wäre ein Oberzentrum Alsfeld mitten im Herzen des neuen Landes eine Alternative neben Wiesbaden gewesen.

Doch hätte Alsfeld keine Rückschläge erlitten, hätten sich Alsfeld zu einem großen Industrie- und Handelsstandort entwickelt, wie hätte die Stadt den Zweiten Weltkrieg erlebt? Wäre die Stadt dem Krieg zum Opfer gefallen? Auch dann hätte es für die alten Häuser der Altstadt keine Zukunft gegeben.

So nimmt die Geschichte trotz Höhen und Tiefen doch wohl wie im Märchen immer ein gutes Ende. Alsfeld kann heute mit Stolz auf seinen Fachwerkschatz aus dem 13. bis 20. Jahrhundert blicken.

Anmerkung des Autors:

Der Artikel geht im zweiten Abschnitt über Belege hinaus und stellt Vermutungen auf, wie sich die Geschichte anders hätte entwickeln können. Der Bericht erfüllt damit nicht die Anforderung eines Zeitberichts. Vielmehr soll er Interesse an der Heimatgeschichte Alsfelds wecken.

Quellen:

– Dr. Karl Siegmar Baron von Galéra: „Die Geschichte der Stadt Alsfeld – Von den Anfängen bis zum Ende des Siebenjährigen Krieges“, 1974, Eigenverlag der Stadt Alsfeld
– Dr. Herbert Jäkel: „Kleine illustrierte Geschichte der Stadt Alsfeld“, 1997, ISBN: 3-927284-14-9
– Dr. Herbert Jäkel: „Alsfeld“, 1992, Langewiesche-Bücherei, ISBN: 3-7845-0136-2

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