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Viel wurde diskutiert, aber eine Lösung war nicht in Sicht - Ende des Jahres schließt die Geburtshilfe, eine Alternative kommt nicht infrageEnde der Geburtshilfe besiegelt

LAUTERBACH (cdl). Wochenlang erregte die Nachricht des Endes der Geburtshilfe im Alsfelder Kreiskrankenhaus die Gemüter in der Bevölkerung. Egal ob beim Einkaufen, beim Friseur oder in den Sozialen Netzwerken kam das Thema zur Sprache. Nicht minder emotional ging es auf der Sitzung des Haupt-, Finanz- und Wirtschaftsausschusses (HFW) des Vogelsbergkreises am gestrigen Mittwoch in der Aula der Sparkasse Oberhessen zu. Der Ausschuss musste über das Verfolgen von Alternativen zum Erhalt der Geburtshilfe entscheiden.

Nach einer hitzig geführten Diskussion mit zum Teil persönlichen Anfeindungen wurde entschieden, dass die Erschaffung einer klinikeigenen Hauptabteilung ausscheidet. Zu Beginn der Sitzung berichtete Landrat Manfred Görig bei allen fünf Gynäkologen im Vogelsbergkreis die Bereitschaft abgefragt zu haben, ob sie die Geburtshilfe als Belegärzte weiter fortführen möchten. Alle fünf Ärzte hätten abgelehnt. Außerdem stellte er heraus, dass eine Pressemitteilung der Linken nicht der Wahrheit entspreche. Denn Gelder für die Schließung der Geburtshilfe vom Bund zu bekommen sei gar nicht möglich. Um an das Geld zu kommen, hätte man die komplette Gynäkologie abschaffen müssen. Diese bleibe weiterhin bestehen.

Nach rund zweieinhalb Stunden drängte Matthias Weitzel (SPD) auf eine Entscheidung. Denn auch die Mitarbeiter bräuchten Klarheit. Sich gegenseitig den Schwarzen Peter zuzuschieben sei nicht förderlich. Der Ausschussvorsitzende Michael Ruhl (CDU) hatte während der kompletten Diskussion sichtlich Mühe die erhitzen Gemüter zu beruhigen. Immer wieder wurde den Rednern ins Wort gefallen und Ruhl musste eingreifen. Kurz vor der eigentlichen Abstimmung sprachen die Ausschussmitglieder alle durcheinander und es war nur noch ein ‚Stimmenwirrwar‘ zu hören.

Letztendlich wurde entschieden, nicht weiter nach Alternativen für das Ende der Geburtshilfe am 31. Dezember dieses Jahres zu suchen. Lediglich die Opposition aus Grünen und Linken hatte bis zum Schluss versucht durchzusetzen, auch weiterhin nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen.

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Dr. Udo Ornik (die Grünen) und Michael Riese (die Linke) wollten die Entscheidung der Mehrheit nicht akzeptieren.

Präsentation eines Gutachtens bezüglich der Einrichtung einer Hauptabteilung

In einem Fachvortrag präsentierte Jan-Patrick-Glöckner von Andree Consult das Ergebnis eines Gutachtens zur Umwandlung der Belegabteilung Gynäkologie Geburtshilfe in eine Hauptabteilung des Alsfelder Kreiskrankenhauses. Die Fachabteilung habe man niemals wirtschaftlich betreiben können. Einen Antrag zur Unterstützung habe das Land Hessen mit der Begründung abgelehnt, dass weder „Bedarf noch Notwendigkeit“ bestehe. Lediglich für die Notfallversorgung (Innere Medizin und Chirurgie) sei Unterstützung gewährt worden.

Um die Belegabteilung in eine Hauptabteilung umzuwandeln, habe man die Voraussetzungen prüfen müssen. Für eine Hauptabteilung brauche man 25 Betten. Wenn man eine Hauptabteilung mit weniger Betten schaffen wolle, müsse man einen Antrag stellen, der wenig Aussicht auf erfolg habe. Hinzu komme, dass der Gesetzgeber keine zusätzlichen Leistungen wolle und man einen sogenannten Fixkostendegressionsabschlag zahlen müsse, der dass Krankenhaus drei Jahre lang belasten würde. Darüber hinaus brauche man für eine Hauptabteilung acht Ärzte, um sie 365 Tage im Jahr zu besetzen. „Ich halte es für nahezu unmöglich acht Ärzte zu bekommen“, so Glöckner. Der Landrat ergänzte, dass man für eine Hauptabteilung insgesamt 21 Personen brauche.

Von 778 Geburten im Kreis nur 245 in Alsfeld

Ebenso seien die qualitativen Voraussetzungen ganz schwer zu erreichen, langfristig könne eine Hauptabteilung nicht bestehen. Hinzu komme, dass von 778 Geburten im Vogelsbergkreis im Jahr 2015 nur 245 Kinder in Alsfeld geboren seien. „Die Bevölkerung hat bereits mit den Füßen abgestimmt“, resümierte Glöckner. Niemand müsse länger als 30 Minuten zur nächsten Geburtenstation fahren und die Wege hätten sich in den letzten Jahren an Alsfeld vorbei gebildet.

Laut seinen Berechnungen müsste der Kreis 1,563,845 Euro (bisher sind es 700.000 Euro) zusätzlich aufbringen. „Es gibt nahezu keine Chance, eine eigene Hauptabteilung aufzumachen. Das muss man ganz offen sagen“, so sein Fazit. Zusammengefasst seien die Gründe keine Ärzte zu bekommen, die Qualität nicht aufrecht halten zu können, wirtschaftliche Risiken, einen hohen Deckungsbeitrag und hohe Kosten bei Personalakquise über Headhunter. „Man versucht etwas zu implementieren, was man nicht implementieren kann“, endete Glöckner.

Im Anschluss musste Glöckner kritische Fragen von Michael Riese (die Linke) und Dr. Udo Ornik (die Grünen) beantworten. Weil die Fragen ihrer Meinung nach nicht ausreichend beantwortet wurden, entbrannte ein heftiger Streit über die genannten Zahlen von Glöckner, während die Vertreter von SPD und CDU keinen Grund sahen, die Zahlen anzuzweifeln.

Dr. Stefan Schindler stand ebenfalls Rede und Anwort

Als weiterer Experte zum Thema Geburtshilfe war Dr. Stefan Schindler, einer der drei scheidenden Belegärzte zu Gast. Er erklärte nochmals den Entschluss der Belegärzte, Ende des Jahres aufzuhören. „Es waren nicht nur ein oder zwei Beweggründe. Es war ein Jahre langer Prozess. Der äußere Druck hat zugenommen. Wir machen das seit 15 bis 20 Jahren mit drei Kräften 24/7“, so Dr. Schindler. Im Vortrag sei von acht Ärzten die Rede gewesen, die eine Hauptabteilung brauche. Man könne sich vorstellen, dass die Arbeit nicht immer Spaß gemacht habe. Außerdem habe man der positiven Entwicklung des Kreiskrankenhauses im Wege gestanden und das sei ihnen im Hause entgegengeschlagen. Als Klotz am Bein könne man keine Mitarbeiter motivieren.

Jedoch hob er auch hervor, dass ihnen nie eine mangelnde oder schlechte Qualität unterstellt worden sei. Lediglich Consulting Firmen hätten das gemacht und das habe neben der vielen Arbeit zusätzlich für Stress gesorgt. Für das kommende Jahr sei die Kostenübernahme gesichert gewesen, dafür habe sich auch der Landrat eingesetzt. Das habe aber im Endeffekt die Gesamtsituation nicht entscheidend verbessern können. „Es war neben dem Stress ein Leben auf dem Schleudersitz“, beschrieb Dr. Schindler die Situation. In den vergangenen Jahren habe sich die Situation immer weiter verschärft. Bereits im Jahr 2008 habe die Geburtshilfe bereits einmal auf der Kippe gestanden und man habe ein Jahr händeringend gesucht, bis man eine neue Kollegin hab an Bord holen können.

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Dr. Stefan Schindler (2.v.l) beantwortete die Fragen aus dem Publikum.

Im Anschluss entbrannte eine heiße Diskussion über das Ende der Geburtshilfe

Ab 1. Januar würden erhebliche Einbußen auf das Krankenhaus durch das Wegfallen der Abteilung zukommen. Davor dürfe man nicht die Augen verschließen, so Landrat Görig. „Wir müssen heute eine Entscheidung treffen und können nicht ewig warten. Es gibt so oder so eine Verschlechterung des Hauses. Wir werden die Zahlen nicht halten können. Wir dürfen wegen der Beschäftigten nicht ewig warten“, so Görig. Er habe immer für die Geburtshilfe gekämpft, wenn Druck ausgeübt worden sei, dann bei ihm. „Der Bund, das Land und die Krankenkassen möchten die Geburtshilfe nicht. Selbst wenn wir es mit aller Macht aufrechterhalten würden, würden wir in zwei Jahren wieder hier sitzen“ ergänzte Görig.

„Ich glaube, jeder im Raum hat den Wunsch, dass die Geburtshilfe erhalten bleibt. Auf der anderen Seite stehen die bekannten Fakten. Man kann sich am Ende nicht um eine Entscheidung herumdrücken und dem Vortäuschen einer anderen Faktenlage“, ergänzte Patrick Krug (SPD). Es könne nicht angehen, dass aus ideologischen Gründen die Geburtshilfe das ganze Krankenhaus runterzieht, heiße es in einer Mitteilung des Ministeriums.

Michael Riese wies darauf hin, dass es Mühe und Geld kosten werde. Ein Nachbarkreis habe das schließlich auch geschafft. Daher müsse man eine Lösung finden. Auf Bundesebene würde kräftig an Daumenschrauben gedreht. „Die nächsten Abteilungen werden auch dran kommen“, orakelte Riese.

„Mit einem Grad an Frustration in den Abgrund blicken“

„Die Diskussion war der Ernsthaftigkeit der Frage nicht würdig. Bei allen inhaltlichen Differenzen müssen wir Lösungen für die Zukunft dieses Standorts finden“, kommentierte Stephan Paule die vorangegangenen Scharmützel. Darüber hinaus machte er deutlich, dass er auch in seiner Funktion als Bürgermeister der betroffenen Stadt spreche. Die Zukunftsfähigkeit des Gesamthauses sei betroffen und Verhandlungen mit einem Partner in Fulda würden anstehen. Der Standort des Kreiskrankenhauses müsse so lange gehalten werden, wie es nur geht. „Diesem Aspekt wurde zu wenig Rechnung getragen.“ Leider müsse die Gründung einer Hauptabteilung in den Bereich des Unmöglichen gerückt werden. „Belegärzte haben wir nicht mehr zur Verfügung und finden keine neuen. Ein Geburtshaus wird ebenfalls nicht funktionieren. Was gibt es noch für Möglichkeiten? Mit einem Grad an Frustration müssen wir in den Abgrund blicken. Mit Geld kommen wir nicht weiter“, so Paule.

Udo Ornik wollte sich nicht mit dem Beschluss der Mehrheit zufriedengeben. Für ihn gehe es um die Zukunft und die Infrastruktur des Landkreises. „Diese Frage ist existenziell. Ich sage, es gibt noch Verhandlungspotenzial.“ Daher wolle er das Thema erneut im Kreistag besprechen. Im Antrag stehe schließlich die Aufforderung nach Alternativen zu suchen und es seien noch nicht alle Alternativen ausgeschöpft.

Dr. Jens Mischak fragte die Kritiker, wie sie sich denn die Alternativen vorstellen würden? Die naheliegenden Lösungen in der Region mit der Befragung nach der Bereitschaft von den ansässigen Gynäkologen die Belegstation zu übernehmen sei gescheitert. Ärzte von außen seien schlicht weg nicht zu bekommen. Man habe die Möglichkeiten ausgeschöpft.

 

2 Gedanken zu “Ende der Geburtshilfe besiegelt

  1. Keiner will wohl mit dem Alsfelder Krankenhaus, warum dann Asklepios? Ein Unternehmen welches auf Optimierung Strukturierung und Gewinnmaximierung ausgerichtetes ist. Obwohl, vielleicht ist es notwendig in Alsfeld mal mit eine andere Richtung einzuschlagen!

  2. Dann sollte man prüfen, ob ein Veräußerung des Krankenhauses an eine z.B. Asklepios Klinik möglich ist bzw. sinnvoll erscheint. Die haben anscheinend Konzepte eine Geburtenstation zu betreiben bzw. aufrecht zu erhalten. Ehrlich gesagt ist mir der egal, unter welchem Namen das Krankenhaus geführt wird. Hauptsache für das Wohl der Allgemeinheit ist und wird gesorgt. Die Großen machen die Kleinen kaputt.Hauptsache die Betten in den großen Kliniken sind gefüllt. Statistik steht hier leider im Vordergrund.

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