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Heiner Distel erzählt aus dem Leben eines Schaustellers: ein abwechslungsreicher aber auch harter Job.„Als Kind hätte ich gerne im Verein gespielt“

ALSFELD (mb). „Holt die Wäsche rein, die Schausteller kommen“ – so könnte es durch Alsfeld geraunt haben, als vor über 60 Jahren das erste Mal der Alsfelder Pfingstmarkt eröffnet wurde. Sie haben nicht überall einen guten Ruf, die Schausteller, aber warum eigentlich? Heiner Distel hat uns einen kleinen Einblick in das Leben eines Schaustellers gegeben und beweist: Dieser Beruf ist kein Kinkerlitzchen und hat mit einem lustigen Nomadenleben rein gar nichts zu tun.

„Meine Kinder sind immer mit auf die Jahrmärkte gekommen und sind mit ins Geschäft reingewachsen – aber nur bis sie in die Schule gekommen sind“, denn dann sind die Kinder von Distel und seiner Frau, die sich einst auf einer Jahrmarktsveranstaltung kennenlernten, auf das Internat gegangen. Distel war das wichtig, um seinen Kindern später die Chancen auf weiterführende Schulen nicht zu verwehren. „Es gibt aber auch heute noch Kollegen, die ihre Kinder mit auf die Reisen nehmen und diese dann alle drei bis vier Wochen die Schule wechseln.“ Trotz allem war es notwendig, dass die Kinder an den Wochenenden und in den Ferien dabei waren, denn anders ginge es einfach nicht, gibt der Münchener zu.

Seine Kinder durften frei entscheiden, welche Laufbahn sie später einmal einschlagen möchten. Distels Tochter hat sich für den akademischen Weg entschieden und hat gerade ihr zweites Staatsexamen im Jurastudium erfolgreich abgeschlossen. Der Sohn hingegen hat sich dazu entschlossen die Familientradition fortzuführen – und das in der mittlerweile vierten Generation. „Eigentlich wollte er Medizin studieren, aber dann hat er sich doch für das Leben des Schaustellers entschieden. Seine Oma hat ihm den „Jumbo-Flug“ vermacht, nachdem sein Opa gestorben ist“. Vater und Sohn führen nun gemeinsam das Familiengeschäft. Normalerweise gehört das Kinderkarussell Distels Sohn, aber dieser ist während der Pfingsttage auf einem anderen Markt in Ingolstadt mit dem zweiten Fahrgeschäft der Familie, einem Autoscooter, unterwegs.

150 Tage im Jahr unterwegs

Aber wie lebt es sich denn nun so als Schausteller? Hat man überhaupt ein Haus oder verbringt man sein Leben im Wohnwagen beziehungsweise mobil? Distel und seine Frau verbringen 150 Tage im Jahr in ihrem 37 Quadratmeter großen Wohnwagen. „Das ist natürlich alles etwas luxuriöser als ein normaler Camping-Wagen. Wir haben eine Waschmaschine, Spülmaschine und alles was man so braucht.“ Vor allem im Winter und zwischen den Festen verbringt die Familie ihre (freie) Zeit in ihrem Haus in München. Dort ist auch ihr Büro, denn heutzutage ist das Leben eines Schaustellers ein hartes Geschäft, das von vorne bis hinten durchgeplant werden muss. „Der Kampf mit der Bürokratie wird immer mehr und raubt einem leider zusätzliche Zeit.“ Auf den Jahrmärkten selbst verbringen die Schausteller mindestens eine, oft aber mehrere Wochen, je nach Länge der Veranstaltung. „Wir reisen immer eine Woche vorher für den Aufbau an, der Abbau braucht oft nur einen Tag.“

Die Planung beginnt im Winter, wenn es wenige bis keine Jahrmärkte gibt. Im Februar ist das Jahr dann bereits vollkommen durchgeplant und die Verträge unterschrieben. „Wer sich im Februar noch nicht gekümmert hat, der wird es schwer haben das Jahr voll zu bekommen“, so Distel.

Der Familienbetrieb bestreitet im Jahr zwölf Veranstaltungen, 80 Prozent davon in Bayern, drei in Hessen: das Schützenfest in Fulda, das Lullusfest in Bad Hersfeld und den Pfingstmarkt in Alsfeld. Auf dem Schützenfest und dem Pfingstmarkt fungiert Distel als Mitveranstalter – und das seit den Anfängen der beiden Märkte. „Im Jahr 1948, also kurz nach dem Krieg hatten die Städte keine Nerven dazu solche Veranstaltungen auszurichten. Also übernahmen dies die Schausteller und es war eine Win-Win-Situation für beide.“ So ist es gekommen, dass die Familie seit nun fast 70 Jahren den Pfingstmarkt ausrichtet und ihn stetig im Dialog mit den restlichen Veranstaltern verbessert.

Schausteller sind Organisationstalente

Das benötigt viel Organisationsgeschick und vor allem Erfahrung. Verschiedenste Institutionen und Geschäfte müssen unter Vertrag genommen, Stromkapazitäten mit der Stadt abgeklärt und während der Veranstaltung muss dafür gesorgt werden, dass die 38 Betriebe, die auf dem Pfingstmarkt tätig sind, alle ein einheitliches Bild abgeben, trotz unterschiedlicher Philosophien. Am Ende müssen auch Kontrollen und Belehrungen durchgeführt werden. Man sieht: Das Leben als Schaustellers ist richtiges Business und erfordert Marketingkompetenzen, Planung und Steuerung. Aber auch deswegen liebt Distel seinen Job: „Es ist sehr abwechslungsreich. Mal kümmert man sich um die Werbung, dann um die Planung, später baut man die Geräte auf und wieder ab oder sitzt in der Kasse. Man trifft Manager, Politiker und alle möglichen Arten von Menschen.“

Aber es gibt auch die Schattenseiten, wie bei jedem anderen Beruf auch. „Als Kind habe ich mir zum Beispiel immer gewünscht in einem Verein sein zu können, da ich so gerne Fußball gespielt habe“, aber dafür konnte er viel von der Welt sehen, meint der zweifache Vater. Auf die Frage, ob der Beruf ein stressiger sei meint er: „Ja natürlich. Man bekommt immer nur Einjahresverträge und steht immer unter Zugzwang konkurrenzfähig zu bleiben.“.

Auch dieses Jahr dreht der Jumbo Flug der Familie Distel wieder seine Runden auf dem Alsfelder Pfingsmarkt. Foto: mb

Auch dieses Jahr dreht der Jumbo Flug der Familie Distel wieder seine Runden auf dem Alsfelder Pfingsmarkt. Foto: mb

Freundschaften statt versteckter Wäsche

Und wie steht es nun um die Vorurteile gegenüber den Schaustellern? Hängen die Menschen heute wirklich noch ihre Wäsche ab, wenn das „Jahrmarktvolk“ anrückt? „Nein, ganz im Gegenteil. Wir sind sehr beliebt und wenn ich nach Alsfeld komme, dann begrüßen mich alte Freunde aus der Stadt direkt und halten mir Parkplätze frei. Natürlich gibt es auch Ärger mit Anwohnern, aber das ist bei einem Innenstadt-Markt unvermeidlich.“ Die Schausteller haben in den verschiedenen Städten feste Freundschaften geknüpft, sei es nun innerhalb der Stadt oder auf dem Jahrmarkt selbst, auch wenn man sich teilweise nur einmal im Jahr sieht. „Die Kinder haben ja heute mit WhatsApp sowieso ganz andere Möglichkeiten und machen manchmal Jugendtreffen.“

Wie steht es um die Zukunft der Jahrmärkte?

Um den Beruf des Schaustellers macht sich Distel keine Sorgen. „Wir haben etwa 5.000 bis 7.000 Schausteller in ganz Deutschland. Zwar wird sich der Beruf selbst stetig verändern, aber aussterben wird er nicht.“ Im Gegensatz zu den Märkten. Distel ist der Auffassung, dass viele Märkte in Zukunft aussterben werden. Viele Freizeitangebote wie Fitnessstudios, Clubs und stetig wechselndes Wochenendprogramm machen den Märkten Konkurrenz. Um den Pfingstmarkt macht er sich allerdings keine Sorgen. „Der Pfingstmarkt hat Tradition und ist fest ins Stadtgeschehen eingebunden. Die Menschen fühlen sich mit dem Markt verbunden, das ist wichtig. Und auch die Stadt selbst tut sehr viel für die Weiterentwicklung des Marktes.“ Seit drei Jahren findet nun auch wieder der traditionelle Festzug statt, der aus Kostengründen viele Jahre nicht mehr Teil des Marktes war. Für Distel ist es sehr wichtig, das Rahmenprogramm und die Technik zu modernisieren, aber „Volksfeste leben von Traditionen“. Und davon hat der Pfingstmarkt viele.

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