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Kirchenpräsident Volker Jung hält bewegendes Plädoyer für den Frieden in EuropaJung: „Wir stehen vor riesigen Herausforderungen“

LAUTERBACH (ol). „Wir stehen vor riesigen Herausforderungen.“ – spürbar betroffen und in großer Sorge schilderte Volker Jung der Synode des Dekanats Vogelsberg, was ihn derzeit in seinen Ämtern als Kirchenpräsident der EKHN und Ratsmitglied der EKD beschäftigt.

Zur Tagung in der vergangenen Woche ins Bernshausen konnte Präses Christa Wachter neben 53 Synodalen auch zahlreiche Gäste begrüßen unter anderem die Präses des Nachbardekanats Alsfeld Sylvia Bräuning. Nach einem Gottesdienst, den Pfarrer Peter Sachs leitete und einem Kurzportrait der gastgebenden Kirchengemeinde durch Kirchenvorsteher Chris Gohlke stand als Haupttagesordnungspunkt die Rede Volker Jungs zu wichtigen Fragen in Kirche und Gesellschaft an.

Einleitend skizzierte Volker Jung die Ergebnisse der letzten Kirchenmitgliedschaftsstudie von 2014. „Wofür steht ihr? Für wen seid ihr da?“, das seien die Fragen der Menschen an die Kirche. Wichtig sei vor Ort das Zusammenwirken eines dichten Netzes an Kirchengemeinden, konkreter Hilfeleistung und diakonischem Engagement. Aber auch die kontinuierliche Einmischung in die politische Debatte ist Aufgabe von Kirche. So habe aktuell etwa die klare Positionierung der Evangelischen Kirche in Deutschland in der Flüchtlingsfrage viele beeindruckt. Aber: „Es wird darauf ankommen, dazu zu stehen, wenn der gesellschaftliche Wind uns ins Gesicht bläst. Es wird darauf ankommen, auch dann eine Kirche mit Ecken und Kanten zu sein und den Mumm zu haben, für Menschen einzustehen, auch wenn uns andere weglaufen.“ Zugespitzt: „Ist die Flüchtlingsfrage eine Bekenntnisfrage?“ Von Vertretern der AfD beispielsweise und in ihren Programmen werden Menschen diskriminiert und man schotte sich ab gegen Not. Daher halte er es nicht für christlich vertretbar, die AfD zu wählen, so Jung.

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Der Kirchenpräsident der EKHN, Volker Jung, hält es nicht für christlich die AfD zu wählen. Foto: Timo Rieg

„Mir machen nicht die Menschen sorgen, die zu uns kommen, sondern die Menschen, die Positionen vertreten, von denen wir dachten, wir hätten sie längst hinter uns gelassen. Natürlich müssen wir seelsorglich mit Menschen reden. Ängste kann man nicht übergehen. Aber es braucht die nötige Klarheit wofür wir stehen.“ Vor einigen Tagen sei er mit dem Rat der EKD zu Gesprächen im Europaparlament gewesen: „Das was wir in Brüssel gehört haben, klang sehr deprimierend.“ EU-Politiker verschiedener Couleur sähen Kirche aktuell wieder als eine Kraft, die zum Zusammenhalt einer Gesellschaft beitragen könne – eine Sicht, die ihn zum einen gefreut, aber auch erschreckt habe: „Sind wir das wirklich? Haben wir wirklich diese Kraft?“

Die Prognosen zur Kirchenmitgliedschaft seien alle eingetroffen. „Ja, wir werden weniger.“ In soziologischen Studien wurden längst der demographische Wandel, die Säkularisierung der Gesellschaft sowie eine kritischere Haltung gegenüber Institutionen als Gründe für sinkende Mitgliederzahlen identifiziert. „Aber haben wir uns in den letzten Jahrzehnten nicht allzu sehr von Strukturfragen zerfressen lassen?“ fragte Jung in die Runde. Schließlich stehe auch dem Dekanat Vogelsberg eine Fusion mit dem Dekanat Alsfeld bevor – eine Entscheidung der Kirchensynode, die in der Region auf laute Kritik und Unverständnis stieß. Wie zum Beweis, dass auch ein verabschiedetes Gesetz den Widerstand keineswegs mindern kann, brachte Pfarrer Martin Bandel im Anschluss an Jungs Rede die Einwände gegen die Dekanatsfusion erneut umfangreich zur Sprache.

Doch Volker Jung widersprach heftig dem Vorwurf Bandels, man habe in der Kirchenleitung die ländlichen Regionen aus dem Blick verloren. Seine Verantwortung als Kirchenpräsident sei es, den Gesamtblick zu haben. Dass es in Veränderungsprozessen immer Interessenkonflikte gebe und Regionen oder Gruppen, die sich benachteiligt sehen, sei einfach nicht zu vermeiden, aber man tue das Möglichste, um Härten abzumildern. Dennoch, die EKHN sei eine der reichsten Landeskirchen in der EKD aufgrund des hohen Kirchensteueraufkommens im Rhein-Main-Gebiet. Die durchschnittliche Gemeindegliederzahl von 1.500 pro Pfarrstelle liege deutlich unter dem Bundesdurchschnitt von 2.000 bis 3.000. Und auch andere Argument Bandels, wie etwa die unzumutbar langen Fahrzeiten aufgrund der großen Fläche lasse er nicht gelten, denn auch in der Stadt sei man für verhältnismäßig kurze Strecken lange unterwegs. Außerdem habe es sich auch andernorts als sinnvoll erwiesen, kirchliche Strukturen an Landkreisgrenzen anzugleichen.

Auch weitere Fragen aus dem Plenum bezogen sich auf Details in Struktur- und Finanzfragen, etwa die Entlastung der Pfarrämter in Verwaltungsaufgaben, die Nutzung der Haushaltsüberschüsse, um Anreize für Kooperationen zu schaffen oder die Nicht-Umsetzbarkeit der aufgabenbezogenen Zeitansätze für geringfügig Beschäftigte.

„Schade, dass wir nicht über die Dinge geredet haben, die meines Erachtens gesellschaftlich obenauf liegen. Wir sind wieder ins Klein-Klein zurückgefallen“ stellte Jung am Ende der Debatte ernüchtert fest. Das Evangelium, sei nicht etwas, womit man Werte und Ordnungen stabilisiere. Er lese die Bibel vielmehr als permanente Irritation, die immer wieder danach fragt: „Seid ihr auf dem richtigen Weg? Tretet ihr für Gerechtigkeit ein? Stellt ihr euch dem Unrecht entgegen?“ Bewegend am Schluss die Mahnung des Kirchenpräsidenten: „Wir haben mit Europa ein einzigartiges Friedensprojekt. Behalten Sie diese Entwicklung im Blick und sorgen Sie an Ihren Stellen dafür, dass wir nicht abkippen.“

Haushalt und Wahlen

Bereits bei der Synodaltagung im Februar 2016 wurden die meisten Beauftragungen für verschiedene Gremien und Themen erteilt. Wenige Wahlen wurden nun nachgeholt: In den Dekanatsdiakonieausschuss wurde Peter Mayr gewählt. Bei der Diakoniekonferenz wird Gretel Zeiger die Synode vertreten. Pfarrer Thorsten Backwinkel-Pohl ergänzt als drittes Mitglied den Partnerschaftsausschuss East Kerala und Pfarrer Jürgen Seng wurde als stellvertretendes Mitglied in die Gesellschafterversammlung der Neuen Arbeit Vogelsberg gewählt. Außerdem wurde der Haushalt 2016 in Höhe von knapp 1,2 Millionen Euro verabschiedet.

Altenseelsorgerin eingeführt

Während des Gottesdienstes der Dekanatssynode in Bernshausen wurde Pfarrerin Anke Göltenboth in ihren Dienst als Altenseelsorgerin des evangelischen Dekanats Vogelsberg offiziell eingeführt. Bereits seit Juli 2015 ist die 48-Jährige vor allem im Schlitzer Land unterwegs, um Unterstützungskonzepte zu entwickeln und ein Besuchsdienstnetzwerk aufzubauen. Ein Gottesdienst für an Demenz Erkrankte soll künftig regelmäßig stattfinden. Ebenso ist für den Herbst 2016 eine Qualifizierung für Seniorenbegleiter in Zusammenarbeit mit dem Diakonischen Werk geplant. Die stellvertretende Dekanin Luise Berroth bezeichnete Göltenboth als eine „seelsorglich zugewandte und behutsame Person“ und wünschte ihr Gottes Segen und Freude in ihrem Dienst. Präses Christa Wachter dankte für die bereits getane Arbeit und brachte ebenfalls ihre Freude zum Ausdruck, dass die Stelle so überaus gut habe besetzt werden können.

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Altenseelsorgerin Anke Göltenboth (M.) wurde in Bernshausen von der stellvertretenden Dekanin des Dekanats Vogelsberg Luise Berroth (l.) und Präses Christa Wachter in ihren Dienst eingeführt.

 

 

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