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Zweiter Prozesstag gegen den Doppel-Brandstifter von Alsfeld – Zeugen sagen ausDer Angeklagte und die Probleme mit den Frauen

ALSFELD/GIESSEN. Der zweite Tag im Verfahren beim Gießener Langericht gegen den Mann, der im Januar in Alsfeld gleich zwei Brände gelegt haben soll, ist vor allem den Zeugen gewidmet. Dabei geht es nicht nur darum, seine Beteiligung an den Bränden zu klären, sondern auch seine Schuldfähigkeit. Deshalb sitzt auch ein Sachverständiger als Gutachter im Saal.

++9.10 Uhr++ Erster Zeuge des Prozesstages ist ein Polizeibeamter, der mit dem Angeklagten S. nach der Tat im Krankenhaus gesprochen hat und ihn auch vernommen hat. S. habe ihm von seiner Scheidung vor vielen Jahren, von seinen Problemen mit anderen Menschen, insbesondere Frauen erzählt. Dabei rückte offenbar irgendwann auch der Besitzer des Alsfelder Tchibo-Geschäfts in seinen Fokus: Den habe er verantwortlich gemacht dafür, dass Frauen ihm in dem Geschäft immer merkwürdig begegnet sei. Und generell habe er sich überwacht gefühlt und gemutmaßt, im Internet gebe es Filme über ihn. Er habe dann irgendwann beschlossen, sich umzubringen – und dabei die Tchibo-Filiale mitzunehmen. Bei der Ausführung habe er sich geärgert, dass das Gas zu früh zündete. Er habe auch erklärt, dass ihm das Ganze sehr leid tue und dass er nicht mehr leben möchte.

Auf die Frage der Vorsitzenden Richterin, wie ihm der Angeklagte begegnet sei, antwortet der, dass S. auf ihn einen wachen, verständigen Eindruck gemacht habe. Er habe flüssig erzählt, dass nicht viele Rückfragen nötig gewesen seien.

++9.35 Uhr++ Ein zweiter Polizeibeamter schildert die Lage auf dem Marktplatz nach der Tat als „wildes Durcheinander“, in dem er den Angeklagten mit sichtbaren Brandverletzungen vorfand, „Das Gesicht war ganz rot.“ Die Haare sahen versengt aus. Der Verletzte  habe erklärt, dass er sich umbringen wollte, weil die Frauen ihn überall nur auslachen würden – und der Inhaber des Tchibo-Geschäfts sei schuld daran. Deshalb habe er bei dem auch schon einmal die Reifen zerstochen.

Der Verteidiger legt Einspruch ein gegen Verwertung dieser Aussage des Angeklagten in dem Verfahren– auch nicht als Spontanäußerung. Der Polizeibeamte habe den Angeklagten auf dem Marktplatz vernommen, ohne ihn zu belehren. Der Polizist hatte das auch eingeräumt, aber erklärt, dass es zu der Zeit gar nicht um eine Vernehmung gegangen sei, sondern nur um eine Klärung der Lage vor Ort, bei dem ihm noch gar nicht klar gewesen sei, wer überhaupt Täter sein könnte.

Drei bis vier Meter lange Stichflamme aus dem Auto

++9.47 Uhr++ Ein dritter Zeuge schildert, wie er beim Blick aus dem Fenster die Fahrt des brennenden Autos über den Marktplatz erlebte: „Ich dachte noch: Der fährt viel zu schnell, um noch irgendwie abzubiegen.“ Dann sei auch schon der Einschlag passiert, das Auto prallte danach mehrere Meter wieder ab. Als er auf den Marktplatz runter ging und in das Auto sah, bemerkte er die Gasflsche auf dem Beifahrersitz – aus der nach kurzer Zeit eine drei bis vier Meter lange Sichflamme schoss. Zum Glück, so der Zeuge, war die nächste Hauswand weiter entfernt, „sonst wäre Alsfeld heute um eine historische Altstadt ärmer.“

++10.08 Uhr++ Beim vierten Zeugen für den Vorfall auf dem Marktplatz, der gerade den Gerichtssaal wieder verlassen hat, gab es ein Problem: Der alte Mann ist offenbar sehr schwerhörig und versteht die Fragen nicht. Aber auch er schildert, wie ein von innen leuchtendes Auto mit hoher Geschwindigkeit über den Marktplatz raste. Von 50 bis 60 Stundenkilometer hatte schon der Zeuge davor gesprochen.

67.400 Euro in bar abgehoben

++10.10 Uhr++ Ein Sparkassen-Mitarbeiter beschreibt, wie der Angeklagte einen hohen Geldbetrag abheben wollte, weil er das für sicherer halte – er sei doch im Internet und werde verfolgt. Der Zeuge erklärte, er habe für diesen Kunden sogar mehrfach im Internet geforscht, ob es Einträge über ihn gibt. Bei einem späteren Besuch habe der Angeklagte ihn angesprochen, eine seiner Kolleginnen würde ihn so komisch ansehen. Sie habe ihn ja wohl im Internet entdeckt. Worauf er, so erzählte der Zeuge, die Kollegin hinzugerufen habe. Die habe verneint, den Kunden in irgendeiner Art zu kennen, und gemeinsam habe man dann über ein Smartphone nach Einträgen über den Angeklagten gesucht – vergeblich. es gab nichts. Der Mann habe dann erklärt, dass er wegen der Internet-Einträge zwei Rechtsanwälte konsultiert habe. Bei einem der Besuche hob der Angeklagte, der schon lange Kunde bei der Sparkasse war, dann 67.400 Euro in bar ab – alles was auf dem Konto war.

 ++10.23 Uhr++ Die Verhandlung wird bis 11.30 Uhr unterbrochen.

++11.48 Uhr++ Es geht weiter mit der Zeugenvernehmung – geplant sind die Aussagen von fünf weiteren Zeugen. Im Zeugenstand sitzt nun die Mitbetreiberin des Tchibo-Geschäfts. Sie schildert den Moment, wie das Auto ins Schaufenster kracht. Kurz zuvor hatte ein älterer Mann sich einen Kaffee geholt, ein zweiter Kunde stand noch im Laden, wollte gerade bezahlen, „als es passierte“. Die Zeugin ist sichtlich aufgeregt, sie versucht, die Szene bildhaft zu beschreiben. Sie sei, nachdem das Auton in den Laden gekracht war,  vor die Tür gerannt und habe einem Verletzten geholfen. Den Täter habe sich nicht gesehen – und sie kenne ihn auch nicht. Auch vorher habe sie nichts von einer Annäherung des Autos bemerkt: „Es war ein ganz normaler Tag.“

„Es ist mir alles unverständlich!“

++12 Uhr++ Nun der Betreiber des Tchibo-Geschäfts im Zeugenstand. Er sei an dem Morgen nicht in Alsfeld gewesen. Auch den Täter habe er erst als Kunden erkannt, als er das Auto gesehen habe – weil er ihn früher ein paar Mal in den Wagen habe steigen sehen. Mit dem Angeklagten als Kunden habe er sich gelegentlich auch unterhalten – „über Belanglosigkeiten“. Es habe jedenfalls keine Verstimmung mit S. gegeben.  „Es ist mir alles unverständlich!“ Auch, dass seine Reifen zerstochen wurden.

Frage des Rechtsmediziners im Gerichtssaal: „Wenn Sie mal mit anderen Kunden vergleichen. Wie war der Angeklagte? Eher kontakfreudig oder eher verschlossen?“ Aber darüber kann der Zeuge keine Angaben machen: Er habe halt seinen Kaffee geholt und draußen „auf den Marktplatz geschaut.“

++12.12 Uhr++ Es wird ein Gutachten verlesen: Untersuchung von Brandschuttproben auf Reste von brennbaren Flüssigkeiten. Ergebnis: An vielen Proben der Kleidung wurden typische Rückstände von Stoffen verwendet, wie sie in Benzin, Lösungsmitteln und auch Grillanzündern verwendet würden.

++12.17 Uhr++ Wieder Unterbrechung der Sitzung, diesmal bis 14 Uhr.

„Frauen sind schuld“

++14.15 Uhr++ Es geht weiter. Ein Kriminalbeamter schildert, wie er den Brand in Altenburg erlebte – wo es offensichtlich eine Explosion gegeben habe. Er habe gesagt bekommen, der Täter sei mit dem Auto geflüchtet. Gerade, als er den Mann zur Fahndung ausschreiben wollte, habe er die Meldung gehört, das ein Auto auf dem Marktplatz brennend gegen ein Haus gefahren sei.

Auf Wunsch des Gerichts hat dieser Zeuge Protokolle der notärztlichen Versorgung des Täters mitgebracht – jedenfalls die der Alsfelder Notärzte. Ein Notarzt im Rettungshubschrauber habe sich geweigert, das Protokoll ohne schriftliche Aufforderung herauszugeben.

In dem Protokoll werden als Verletzungen unter anderem Verbrennungen zweiten und dritten Grades aufgeführt und der Patient habe offenbar Psychosen – er habe etwas gesagt von „Frauen sind schuld“. Blutuntersuchungen, so erklärt der Kriminalbeamte hätten ergeben: Alkohol war nicht im Spiel.

++14.27++ Aussage eines Einwohner als Augenzeuge. Auch er schildert, wie das Auto brennend über den Marktlatz fuhr und gegen das Haus. Zuvor habe es einen „dumpfen Knall“ gegeben. Der Mann kennt den Angeklagten. Er sei nach dem Aufprall auf ihn zugelaufen, habe ihn erkannt und habe ihn angerufen: „Was hast du denn gemacht?“ Der Angeklagte habe ihm geantwortet: „Ich bin ausgerastet!“

Nachfrage von Staatsanwalt Klaus Bender: Ob er denn nicht wissen wollte, warum er ausgerastet ist. In dem Moment, so sagt der Zeuge, sei ihm die Situation bedrohlich vorgekommen, er sei nicht darauf gekommen. „Ich war froh, dass er die Anweisung, die ich ihm gegeben habe, anstandslos gemacht hat.“

Frage des Verteidigers: Ist der Wagen schneller geworden bei der Fahrt über den Marktplatz? Antwort: „Er war sehr schnell“, sei aber am Ende der Strecke nicht mehr schneller geworden.

++14.37 Uhr++ Noch ein Zeuge erzählt vom Geschehen auf dem Marktplatz. Er habe auf dem Weg zum Marktplatz noch in der Neurathgasse einen Knall gehört. Von der Rittergasse aus habe er gesehen, wie das Auto brennend über den Marktplatz fuhr.“Der Wagen hat innen gebrannt.“ Als er nach dem Aufprall näher kam, sah er, dass in dem brennenden Auto ein Benzinkanister steht und versucht, ihn aus dem Haus zu holen. Er öffnete die Tür, aber die Flammen waren zu heiß. Eine Gasflasche habe er nicht vorgenommen.

Amphetaminartige Substanzen und Schmerzmittel im Blut

++14.47 Uhr++ Ein Professor für forensische Toxikologie stellt ein Gutachten über BLutproben vom Angeklagten vor. „Positive Befunde für amphetaminartige Substanzen“ und für Beruhigungs- sowie Schmerzmittel. Es geht um die Frage, wie weit diese Mittel seine Urteilsfähigkeit beeinflusst haben könnten.

Ein Ergebnis der Untersuchung: Einige Stoffe seien nur leicht anregend, aber hätten keine Auswirkungen auf die Steuerungsfähigkeit. Es wurden aber auch dämpfende Mittel gefunden, die als „Ko-Mittel“ verwendet würden und mit Amnesie einhergehen. Unter dem Einfleuss seien Menschen ansprechbar, aber willenlos passiv. Dazu gab es Stoffe in der Probe, die im Krankenhaus in der „Scheißegal-Spritze“ vor einer Operation enthalten seien. Insgesamt seien drei Substanz mit zentral dämpfender Wirkung gefunden worden, die auch miteinander wirken – ihre Wirkung verstärken.

Frage der Vorsitzenden Richterin Dr. Exler, wie stark die Wirkung nach der Tat im Gespräch mit der Polizei gewesen sein könnte, da der Angeklagte scheinbar klar geantwortet habe. Der Gutachter erklärt, wenn die Stoffe noch gewirkt hätten, hätten zum Beispiel typischerweise Fragen mehrfach gestellt werden müssen. Ob die Mittel den Angeklagten zu der Tat getrieben haben könnten, fragt der Verteidiger. Antwort des Professors: Die Mittel wirken dämpfend, „egal, wie krank ein Mensch ist.“

++15.18 Uhr++ Unterbrechung für fünf Minuten: Ein geladener Zeuge ist nicht erschienen. Staatsanwalt Bender hatte deshalb zuvor beantragt, eine Ordnungsstrafe über 200 Euro, ersatzweise vier Tage Haft, vorzubereiten. „Vielleicht kann er sich noch entschuldigen“, sagt er zur Vorsitzenden Richterin. Es wird versucht, den Zeugen zu erreichen.

++15.27 Uhr++ Der Zeuge ist nicht da, aber ein Video, das er vom Brandort in Altenburg erstellt hatte. Richter, Staatsanwalt, Verteidiger und Rechtsmediziner scharen sich um ein Notebook, das das Video abgspielt. Ergebnis: „Wir bräuchten den Zeugen nicht unbedingt mehr anzuhören“, sagt die Vorsitzende Richterin.

++15.43 Uhr++ Der Prozesstag ist um. Forsetzung ist am Montag, 2. Juni, ab 9 Uhr.

Von Axel Pries

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