Beinahe echt: Die militärhistorischen Gruppen stellen Szenen aus der Ziegenhainer Geschichte dar. Fotos: privat

SONDERTHEMA: Ziegenhain feiert 475 Jahre Wasserfestung – Sonntag historische SpielszenenEinen Tag geht es zurück in die Geschichte

ZIEGENHAIN (aep). Wer am kommenden Sonntag durch Schwalmstadt-Ziegenhain bummelt, wird sich die Augen reiben: überall historische Uniformen, historisches Gerät, historisches Handwerk – die Stadt scheint Jahrhunderte zurückgereist zu sein. Genau genommen sind es 475 Jahre: Ziegenhain feiert 475 Jahre Wasserfestung und Kirchenzuchtordnung. Daraus wurde die heute weltweit verbreitete Konfirmation. Für die Schwälmer Stadt ist das Anlass für zweitägige Feiern, von denen das Programm am Sonntag am meisten publikumswirksam sein dürfte: der stehende Festzug mit 25 Bildern aus der Historie der Stadt.

Der Arbeitskreis Wasserfestung organisiert den zweitägigen Veranstaltungreigen, dessen Höhepunkt am Sonntag, 11. Mai, zwischen 10.30 und 19 Uhr stattfinden soll. Den Auftakt bildet bereits am Samstag die große Tafeley in der ehemals von Napoleon errichteten Exerzierhalle der Festung, die heute als Reithalle genutzt wird. Der Raum wird zum Festsaal – aber diese Veranstaltung ist bereits ausverkauft, teilt der Arbeitskreis mit.

Viel Historie auf und um den Parardeplatz

Sonntag verwandelt sich die Stadt auf und um den Paradeplatz in eine historische Kulisse. Mit Hilfe zahlreicher heimsicher Darsteller, aber auch angereister Gruppierungen werden geschichtsträchtige Szenen seit der Gründung der Wasserfestung durch den Landgrafen Philipp „der Großmütige“ und der Begründung der Kirchenzuchtordung im Jahr 1539 nachgespielt und nachgestellt (detailiert nachlesbar auf der Website des Arbeitskreises).

Das Programm nennt Stichpunkte: die Begründung der Ziegenhainer Bürgergarde, die Festung lks Zufluchtsort im Dreißigjährigen Krieg, die Entstehung der Ziegenhainer Salatkirmes, die Beschießung der Festung im Siebenjährigen Krieg, die Zwangsrekrutierung hessischer Soldaten für den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, die Ziegenhainer Feuerordnung oder auch die kampflose Besetzung der Festung durch napoleonische Truppen.

Eine Spielszene stellt auch einen wahrhaft historischen Akt dar: die Begründung der Ziegenhainer Kirchenzuchtordnung im Zuge der Reformation. Damit wollte der Landgraf die verschiedenen kirchlichen Gruppierungen vereinen, die sich gebildet hatten. Im Kern sieht die Ordnung eine Bestätigung der Taufe im halbwüchsigen Alter vor – die Konfirmation, die bis heute weltweit Bestand hat. Das war 1539 – vor 475 Jahren.

1728: als die Ziegenhainer Salatkirmes entstand

Wer weiß denn eigentlich noch, wie die Ziegenhainer Salatkirmes entstanden ist? Auch darüber wird spielerisch aufgeklärt: Diese jährliche Großveranstaltung entstand aus dem Versuch des Landgrafen Karl von Hessen-Kassel im Jahr 1728, den Schwälmer Landwirten die Kartoffel als Grundnahrungsmittel nahe zu bringen. Er lud zu Kartoffel, Salat und Bier. Überliefert ist, die Kartoffel kam nicht so gut an bei den Bauern – aber Salat und Bier gefielen, und die führte man dann bei der nächsten Kirmes ein.

Die Festung Ziegenhain: Aus der Luft ist die Form noch gut erkennbar. Die historischen Befestigungen wurden schon zu Napoleons Zeiten teilweise abgebaut.

Passend dazu wird auch jede Menge historisches Handwerk zu bewundern sein – auch bereits am Samstag, wenn die Darsteller in zhiegenhain lagern – etwa das des Stellmachers, des früheren Wagenbauers. Auch an die Kinder wird mit eigenen Spielmöglichkeiten gedacht. Um die Spielszenen und Bilder lebensecht zu gestalten, konnte der Arbeitskreis Wasserfestung auch die Hessische Gesellschaft für Militär- und Zivilgeschichte in Fulda verpflichten, die mit Uniformen, Garderoben und Waffen nach Ziegenhain kommen. Lebensechten Kanonendonner bringen die Kanoniere des Schützenvereins Ossendorf mit – eine Abteilung, die Historie erlebbar machen möchte. Die Kanoniere ließen dafür eigens eine eigene Kanone gießen – einen Nachbau des preußischen Dreipfünders im 18. Jahrhundert. Die kann abgefeuert werden, und dann wird es laut in der Wasserfestung.

Dass die heute vor allem als Gefängnis dient, ist übrigens auch ein Stück Ziegenhainer Geschichte und Gegenstand einer Darstellung am Sonntag. Das begann nämlich bereits im Jahre 1842 nach der Auflösung der Ziegenhainer Garnison.