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Die Internationale Musikfest ist Geschichte – Ein Rückblick erklärt die GründeKein Platz mehr in veränderten Zeiten

ALSFELD. Es waren stets Tage gewesen, in denen Alsfeld internationales Flair umgab, in denen die Stadt für Musikfreunde in aller Welt auf der Karte auftauchte. Es waren auch Tage, in denen Tausende Gäste Geld in Alsfeld ausgaben. Aber sinnigerweise liegt es nun vor allem am Geld, dass es das Internationale Musikfest nicht mehr geben soll, das seit 1968 alle vier Jahre stattfand. Der Begründer Karl-Heinz Dechert und Lothar Wiese, Vorsitzender der gastgebenden show and brass band schauen im Gespräch Jahrzehnte zurück, um das heutige Problem zu erklären.

Was hat er nicht alles mit den Internationalen Musikfesten in Alsfeld erlebt, schwärmt der über 80-jährige Karl-Heinz Dechert beim Rückblick auf das volle Dutzend Veranstaltungen, das seit 1968 stattgefunden hat. Jedesmal lockte das Fest mit seiner Kombination aus Pokal-Wertung und öffentlichem Schaulaufen über vier bis fünf Tage Militärmusiker aus ganz Deutschland sowie aus vielen Ländern in die Stadt. Und zwar Tausende. Das war schon 1968 so, als er damals noch mit dem Spielmanns- und Fanfarenzug den ersten Deutschlandpokal ausrichtete: Auf Anhieb kamen über 2100 Musiker von 48 Vereinen – unter ihnen vier ausländische Musikkorps. Die Anzahl wuchs stetig bis zum zahlenmäßigen Höhepunkt 1991, als nicht weniger aus 4095 Musiker von 91 Vereinen – 20 aus dem Ausland – sich in Alsfeld einfanden.

Musikkapellen aus der ganzen Welt

Die guten Verbindungen des Begründers in ganz Deutschland und auch unermüdlicher Einsatz für das Projekt ermöglichten die Großveranstaltung alle vier Jahre wieder – und ließen die Besetzung immer bunter werden. Gut in Erinnerung noch: Bei der letzten Auflage 2011 marschierte auf dem Marktplatz auch die Militärkapelle der mongolischen Armee mit. Die norwegische Königsgarde aus Oslo war in Alsfeld zu Gast, und die Liste zum Teil exotischer ausländischer Gäste ist lang: Das Musikkorps „The Wind Orchestra of St. Petersburg“ war 2003 dabei oder das Ehrenwachorchester der Litauischen Armee in Vilnus, das Orkiestra Deta Wyszkow aus Polen, und wer kennt sonst das Gradski Puhacki Orkestar Drnis aus Kroatien? 1999 nahm auch eine thailändische Musikkapelle teil.

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Rückblende: Axel Pries im Gespräch mit Karl-Heinz Dechert und Lothar Wiese. Foto: jal

Besonders stolz ist Karl-Heinz Dechert aber auch darauf, dass es ihm gelang, noch zu Zeiten des Kalten Kriegs das Militärorchester der Tschechoslowakei – damals kurz CSSR – über den Eisernern Zaun bekommen zu haben. „Ich hatte die einfach mal angeschrieben.“ Die 120-köpfige Kapelle kam tatsächlich über die damalige DDR angereist, begleitet von zehn Polizisten. Für diesen „Coup“, so lacht Dechert noch heute, musste er sogar diplomatische Stellen beruhigen, denn die Tschechen machten für den Besuch zur Bedingung, mit ihren Militäruniformen in die Bundesrepulbik einreisen zu können – was damals auch ein  Affront hätte sein können. Die Gäste kamen alle zusammen in einer Schule unter: Das war eine andere Bedingung für die Reiseerlaubnis.

Von solchen Verhandlungen bekam man in Alsfeld wenig mit – aber von den unübersehbaren Gästen: bunte Uniformen in allen Straßen, Musik, Zelte auf dem Stadthallen-Parkplatz. Unvergessen der große Schauauftritt beim Internationalen Deutschlandpokal 2011 auf dem Marktplatz vor Hunderten Zuschauern, aus dem das Hessenfernsehen eine große Fernsehsendung produzierte.

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Präzision auf dem Marktplatz: beim Schaulaufen 2011 mit hr-Kamera. Foto: Archiv/aep

Wenn gut 2800 Musiker vier Tage in Alsfeld nächtigen, machen sie im Grunde ein Fünftel der jährlichen Gesamtzahl an Übernachtungen aus – ohne in einer Statistik aufzutauchen, denn für die meisten von ihnen gab es andere Unterbringungen. Womit das Problem näherrückt.

„Die Zeiten haben sich einfach verändert“

„Die Zeiten haben sich einfach verändert“, stellt Lothar Wiese fest, der die unangenehme Aufgabe hat, das Ende der Tradition zu verkünden und zu erklären. Zusammengefasst heißt das: Eine durchgehende Kommerzialisierung der Leistungen und gestiegene Ansprüche machten dem Musikfest den Garaus. Denn es stellte sich heraus: Es ging nicht mehr alles so einfach wie früher. Rund 30.000 Euro, im Grunde eine überschaubare Summe angesichts der Größe der Veranstaltung, brauchte der heimische Verein für die Ausrichtung. Die größten Geldgeber blieben: die Hartmann-Stiftung zum Beispiel, die Sparkasse, die VR Bank. Aber andere Quellen waren schwerer zu erreichen – und viele Alsfelder Geschäftsleute, die einst ganz selbstverständlich unter anderem die Festschrift mit ihren Anzeigen ermöglichten, ließen sich zuletzt lange bitten.

Zugleich drohten die Kosten zu steigen. Die Stadthalle sollte es nicht mehr kostenlos geben, der Lindensportplatz stand nicht mehr frei zur Verfügung. Die Unterbringung in Kasernen und Schulklassen, einst vielfach geübte Praxis, haperte zunehmend an der Ausstattung: Kasernen stehen leer, und in Schulen gibt es oftmals keine Duschmöglichkeiten – aber die Ansprüche der Gäste waren gestiegen. „Wenn die verschwitzt von einem Auftritt kommen, wollen die duschen“, stellt Lothar Wiese fest. Und nicht nur die weiblichen Gäste probten zunehmend den Aufstand. Er suchte nach Abhilfe, erkundigte sich: Duschcontainer kann man mieten. Die hätten für die Zeit Hunderte Euro gekostet – pro Stück. „Es kostet alles zusätzlich Geld, das wir früher nicht brauchten.“ Letztlich neue steuerliche Hürden bei der Abrechnung: Das finanzielle Risko sei enorm angestiegen. Und dann: Der Hauptmotor der Großveranstaltung war der Begründer gewesen, und der hat die Aufgabe weitergegeben. Der Verein der show and brass band zog die Reißleine. Es wird 2015 kein Musikfest geben.

„Das geht der Stadt verloren“, grollt Karl-Heinz Dechert. 2011 war sein letztes Musikfest gewesen, und er mag das Ende nicht akzeptieren: „Es kann nicht sein, dass wir dafür keine Unterstützung mehr kriegen.“ Aber vielleicht könnte es einen kleinen Ersatz geben, grübeln er und Lothar Wiese. Ein Open Air-Fest auf dem Marktplatz vielleicht. Dafür müssten Tribünen geschaffen werden. Das kostet auch, denken beide laut. Und ob’s für die Kosten überhaupt genügend Zuschauer gibt, die bereit sind ernsthaft Eintrittsgeld zu zahlen? In einem Punkt ist Karl-Heinz Dechert sich jedenfalls sicher: Wenn 2015 kein Musikfest stattfindet, dann gar nicht mehr: „Wenn’s weg ist, dann ist es weg!“

Von Axel Pries

So war es auf dem Marktplatz: Eine Foto-Galerie erinnert an 2011.

Ein Ausschnitt der Aufzeichnung vom Hessischen Rundfunk 2011:

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