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Reuters: Wie kamen dort vier Blitzer hin?Ein kleines Dorf zwingt den Fuß vom Gaspedal

REUTERS/VOGELSBERGKREIS. Wir schreiben das Jahr 2014. Rasender Autoverkehr hat ganz Hessen besetzt, durchdringt alle Ortschaften. Ganz Hessen? Nein, ein kleines Dorf im Vogelsberg leistet erfolgreich Widerstand und zwingt Autofahrer konsequent zum Schleichen. Reuters, eine kleine Ortschaft auf der 254. Je nach Sichtweise als Segen oder Schrecken wird es von vier „Starenkästen“ bewacht – den bekanntesten der Region. Das hätte manches andere Dorf auch gerne. Fluch oder Vorbild?

Wer einst aus Richtung Alsfeld gen Lauterbach fuhr, der wusste in der Regel von der Radaranlage, die da hinter dem Ortsschild unter dem Baumgrün lauerte. Wer erwischt wurde, erntete meist Häme. Dann kam der zweite Blitzer für die Gegenrichtung hinzu – und stellte sich, 30 Meter vor dem Ortsschild postiert, vor allem im Dunkeln als Schreckgespenst heraus, das für den unachtsamen Autofahrer „unerwartet“ zuschlagen konnte.

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So kennt man aus Richtung Alsfeld die Einfahrt nach Reuters. Knapp 100 Meter dahinter stand viele Jahre ein „Starenkasten“. Jetzt sind es zwei.

 

Inzwischen haben die beiden Geräte Geschwister bekommen, höchst moderne in futuristischem Design: Zwei weitere, automatische Polizisten machen Reuters zur vielleicht bestgeschützten Ortschaft in Hessen: Ein- und ausfahrender Verkehr wird permanent überprüft. Gemessen an der Einwohnerzahl ist die Spitzenstellung nicht einmal unwahrscheinlich: vier Tempomessgeräte für 180 Einwohner, von denen nur eine Handvoll an den 400 Metern Bundesstraße wohnt. Unabhängig von der Abneigung der Autofahrer gegen die „automatisierte Abzocke„– so etwas hätte man in leidgeprüften Bundesstraßen-Dörfern wie Angenrod (580 Einwohner), Leusel (825) Eudorf (490) oder auch Lehrbach (360) auch gerne, um die täglich über 12000 Fahrzeuge wenigstens tempomäßig im Zaum zu halten. „Zu teuer“ lautet unisono die Antwort an der Stelle. Ein Gerät kostet unter Umständen über 20 000 Euro. Und wie hat das Lauterbacher Dorf Reuters das hingekriegt?

Eine Firma trägt Kosten und Risiko

Durch beharrlichen Einsatz! So lautet das Fazit von Ralf Krömmelbein, dem Leiter des Lauterbacher Ordnungsamts, das für die Anlagen zuständig ist. Einsatz, gepaart mit einem pfiffigen Finanzierungsmodell, das die Stadt Lauterbach nicht nur fast kein Geld kostete, sondern dem Stadtsäckel stetigen Erlös einbringt: Ein privates Unternehmen, die Firma Limitec in Hann.-Münden, stellte die Anlagen demnach auf eigene Kosten und ist auch für alles Weitere zuständig: Wartung und gegebenenfalls Modernisierung. Die Stadt ließ lediglich für den Monteur einen Weg zu den Radaranlagen bauen – der praktisch gar nicht genutzt wird, wie ein Anwohner grinsend berichtet: „Der parkt immer auf der anderen Seite und geht über die Straße.“.

Das auf Verkehrskontrollsysteme spezialisierte Unternehmen schloss mit der Stadt Lauterbach einen Vertrag, dass es im Gegenzug einen Teil der ermittelten Geldbußen behalten kann. „Gibt es im Januar einen Schneesturm, und niemand fährt zu schnell, gibt es kein Geld“, fasst der Ordnugnsamtsleiter zusammen: „Das Risiko trägt das Unternehmen.“

Anfrage bei der Polizeischule in Wiesbaden

Klingt einfach, ist es aber nicht und erklärt auch nicht die Häufung in Reuters. Die wiederum sei das Ergebnis des Einsatzes im Dorf, erläutert Krömmelbein. Schon der frühere Ortsvorsteher Karl-Heinz Völsing machte sich sehr für die Verkehrsberuhigung stark, und sein Nachfolger Jürgen Martin tue es ihm gleich. Entsprechend rührig seien die jeweiligen Ortsbeiräte gewesen, bis sie in Lauterbach erhört wurden. Oder wie Hans-Helmut Möller, Pressesprecher der Stadtverwaltung, formuliert: „Es ist uns wichtig gewesen, hier ein Zeichen zu setzen.“ Dafür habe sich auch Bürgermeister Rainer Hans Vollmöller eingesetzt.

Man machte sich auf den Instanzenweg für die Erlaubnis zur Aufstellung. Denn immerhin sollte eine Bundesstraße überwacht werden. Dazu muss erst das Einvernehmen mit der  Polizeischule in Wiesbaden eingeholt werden. Die kontrolliert, ob ein Ort nach den Richtlinien berücksichtigt werden kann – und wenn ja, wie stark. Dann braucht es den Partner, der die technsiche Umsetzung schafft: jene Firma. Zunächst sollte eigentlich nur der Ortseingang Richtung Alsfeld stärker kontrolliert werden, doch ein tragisches Unglück bewirkte ein Umdenken. Mitten in der Abwägungsphase für die stationäre Geschwindigkeitsmessung kam am Ortseingang gen Lauterbach ein Fußgänger beim Überqueren der Fahrbahn durch einen Verkehrsunfall ums Leben – ein starker Wink, dem Einwohnerwunsch zu folgen. Jetzt müssen Auto- und Lkw-Fahrer in alle Richtungen auf der Hut sein.

Ein Dorf muss sich wirklich einsetzen

Einwohnerwunsch: Das sei auch ein Stichwort bei der Frage, wie Reuters zu dieser Sicherung kam, meint Krömmelbein. Dort habe es einfach eine gute Paarung von Bürgerengagement und Ortspolitik gegeben. „Es ist wichtig, dass eine Ortschaft wirklich dahinter steht.“

Von Axel Pries

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Das Blitzerpaar am Ortseingang: Reuters verfügt gleich über zwei Paar Radaranlagen.

 

 

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